Überstürzte Crashbergung? Das muss nicht sein! Immer mehr Feuerwehren sind mit einer Spezialausrüstung ausgestattet, um Pferden in Notsituationen sicher helfen zu können. Eine erfolgreiche Rettung gelingt aber nur, wenn Einsatzkräfte und Tierärzte ihr Know-how bündeln.
Am Montagabend ist ein Pferd in einen Graben gestürzt. Durch den vielen Regen war der Boden der Wiese aufgeweicht, es rutschte aus und fiel fast zwei Meter in die Tiefe. Aus eigener Kraft konnte es sich nicht mehr aus seiner Lage befreien. In solchen Notsituationen ist eine Pferderettung durch die Feuerwehren gefragt. Sie befreien verunfallte Pferde aus Schlammlöchern, Wassergräben, Güllegruben, Fressständen, Boxen oder Transportern.
„Die Zahl der Großtiereinsätze nimmt zu“, sagt Peter Berger, stellvertretender Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr (FF) aus dem bayerischen Pöring. Gemeinsam mit seinen Kameraden hat er bislang mehr als 30 solcher Rettungsaktionen erfolgreich durchgeführt.
Fehlendes Wissen: Keine Ausbildung zur Bergung
Doch hierzulande gibt es ein Problem: „Anders als in anderen Ländern, wie beispielsweise England und der Schweiz, bieten die offiziellen Feuerwehrschulen in Deutschland derzeit keine Ausbildung zur Bergung von Großtieren an, obwohl heute viel höhere Anforderungen an den Tierschutz gestellt werden als früher“, berichtet er. Da das herkömmliche Equipment und die einstudierten Techniken der Wehren ungeeignet seien, gleiche die Rettung oft einem Glücksspiel, meint der Experte. Zudem fehle es an Know-how im Umgang mit den Vierbeinern.
„Werden Gurte oder Seile beim Heranziehen oder Heben der Pferde falsch befestigt, weisen die Tiere häufig Verletzungen auf, die bei einer sachgemäßen Bergung nicht entstünden“, gibt Dr. vet. Josefa Eisenreich aus dem bayerischen Salmannskirchen zu bedenken. So könne Nervengewebe irreversibel geschädigt werden und zu viel Zug am Kopf aufgrund des hohen Gewichts massive Wirbelsäulenverletzungen erzeugen. Und würde nicht auf die mit wenig Muskelmasse bedeckten Beine geachtet, wären Sehnen schnell verletzt oder Gelenke eröffnet. Das habe oft schlimme Folgen, von Unreitbarkeit bis zu lebensbedrohlichen Zuständen.
Hohes Gefahrenpotenzial – Pferderettung

Außer Kontrolle: Schnell werden Größe und Gewicht der Tiere zu einem Risiko für Unbeteiligte! (© Slawik)
Eine unsachgemäße Pferderettung bringt nicht nur den verunfallten Vierbeiner, sondern auch alle beteiligten Helfer in Gefahr. Um dies zu verhindern, hat die Tierärztin gemeinsam mit der FF Pöring sowie weiteren Veterinärmedizinern der Pferdekliniken Aschheim, Parsdorf und Wolfesing an speziellen Lehrgängen des Großtierrettungsdienstes Schweiz und Liechtenstein (GTRD) und der Animal Rescue Academy in Österreich teilgenommen.
Für die Praxisanwendungen stand ein 200 Kilogramm schwerer Dummy aus Kunststoff zur Verfügung, mit dem Übungen und schwierige Szenarien beliebig oft wiederholt werden konnten, bis die Techniken reibungslos funktionierten. Hinzu kamen weitere Übungstage mit den Rettungskräften, um auf gemeinsame Einsätze optimal vorbereitet zu sein. „Wenn man weiß, wie eine Feuerwehr arbeitet, tut man sich in der Zusammenarbeit um einiges leichter“, erzählt die Tierärztin.
Pferderettung: Risikoeinschätzung für Tier und Mensch

Wird ein Kopf- oder Augenschutz benötigt, greift das Einsatzteam auf eine gepolsterte Maske zurück. (© Pöring)
Für Peter Berger und seine Kameraden sind Großtierrettungen immer Risikoeinsätze. „Die Unkontrollierbarkeit des Verhaltens und das hohe Gewicht der Tiere werden oft unterschätzt. Wenn wir vor Ort ankommen, befinden sie sich oft in einer trügerischen Erschöpfungsphase“, berichtet er. Die Tierärztin stimmt ihm zu: „Pferde wirken in einer Notlage, aus der sie keinen Ausweg finden, zunächst ruhig – so, als würden sie kooperieren oder leicht zu handeln sein.
Wenn sie aber eine kleine Chance sehen, sich aus ihrer Lage zu befreien, setzen sie alle Kräfte in Bewegung und arbeiten mit ihren Beinen, um sich zu befreien. Da bekommt man schnell einen Tritt ab.“ Das mache es vor allem für Pferdebesitzer, die häufig verzweifelt versuchen würden, ihr Pferd zu retten, extrem gefährlich. Nicht selten wählten sie den Notruf erst nach einem misslungenen Rettungsversuch.
Praktische Tipps: Was tun im Notfall?
Jedes Pferd kann in eine Notlage geraten. Gut, wenn der Pferdebesitzer vorbereitet ist und weiß, was er jetzt tun kann.
- Im besten Fall haben Sie alle wichtigen Telefonnummern (Feuerwehr, Tierarzt) bereits auf Ihrem Handy gespeichert.
- Rufen Sie in einer Notsituation zuerst die 112 an. Halten Sie Ihr Telefon griffbereit und frei von eingehenden Anrufen.
- Fragen Sie bei der Feuerwehr nach, ob diese mit einem Tierarzt zusammenarbeitet, oder rufen Sie Ihren eigenen Tierarzt an.
- Schicken Sie Fotos vom Unfallgeschehen an das Rettungsteam, damit sich dieses auf der Anfahrt ein Bild von der Lage machen kann. Das spart Zeit.
- Versuchen Sie niemals, ein Pferd aus einer Notsituation zu retten, die Sie selbst in Gefahr bringen könnte. Nur wenn es gefahrlos möglich ist, können Sie dem Pferd vorab ein Halfter anlegen, um den Kopf zu sichern.
- Bleiben Sie gelassen. Pferde reagieren auf menschliche Ängste, und Sie könnten es durch Ihre Aufregung unnötigerweise weiter verängstigen.
- Halten Sie das Umfeld der Unfallstelle so ruhig wie möglich. Jede Person an einem Rettungsort, die nicht mit den Techniken zur Großtierrettung vertraut ist, stellt ein Risiko dar.
- Lassen Sie sich nicht von Schuldgefühlen, Angst oder Wut leiten, denn dann könnte Ihr Verhalten das Vorgehen der Rettungskräfte beeinträchtigen.
- Bereiten Sie die Rettung vor: Sorgen Sie für ein Halfter, einen Strick, eine Decke, Futter und Wasser. Räumen Sie den Rettungsweg frei und überlegen Sie sich einen sicheren Bereich, in den das Pferd nach der Rettung verbracht werden kann.
- Lassen Sie die Rettungsdienste ihre Arbeit tun. Es gibt standardisierte Verfahren und Abläufe, die zu befolgen sind, um die Sicherheit von Mensch und Tier zu gewährleisten.
Pferderettung: In der Ruhe liegt die Kraft

Festgelegen: In einem Notfall sollten Sie nicht selbst tätig werden, sondern die Feuerwehr alarmieren. (© Slawik)
Wird die FF Pöring alarmiert, leitet die Einsatzzentrale den Notruf an insgesamt sechs Tierärzte in der näheren Umgebung weiter. Schnell klären diese untereinander, wer sich auf den Weg zum verunfallten Pferd machen kann. Ein solches Vorgehen schaffe einen großen Zeitgewinn, erklärt der stellvertretende Kommandant. Dann geht es mit Blaulicht und Sirene los. Kurz vor der Ankunft werden beide Signale ausgeschaltet, um das gestresste Tier nicht weiter zu verängstigen. Es folgen die Sicherung des Unfallortes, die Lagebeurteilung und die Planung der Pferderettung einschließlich der Risikoeinschätzung für Tier und Mensch.
„Viele denken, dass ein Pferd ganz schnell aus einer Notsituation befreit werden muss. Wenn es aber dort, wo es sich nach einem Sturz befindet, atmen und leben kann, haben wir etwa 20 bis 30 Minuten Zeit für die Rettung. Überstürzte Crashbergungen sind unnötig“, sagt Dr. vet. Josefa Eisenreich. Sie würden nur weitere Verletzungen und unkalkulierbare Gefahren provozieren. „Wenn Menschen zu Schaden kommen, kümmert sich keiner mehr ums Tier. Das ist zwar überspitzt gesagt, aber es ist die übliche Vorgehensweise, die dann zu Lasten des Pferdes geht“, bekräftigt Peter Berger. Beide raten dazu, Ruhe zu bewahren und den Anweisungen der Experten vor Ort Folge zu leisten.
Variierende Kosten für den Feuerwehreinsatz
„Bevor das Einsatzteam anfängt, schätzen wir Tierärzte die Verletzungen des Pferdes ein, auf die während der Bergung eventuell Rücksicht genommen werden muss. Dann wird besprochen, wie man das Pferd am besten birgt. Kann man es schleifen oder muss man es heben? Wie stark muss es sediert werden? Und wo lässt man es nach der Bergung frei?“, so Dr. vet. Josefa Eisenreich. In den meisten Fällen genügt eine starke Sedierung wie bei einer Zahnbehandlung. Dabei kann das Pferd noch stehen, reagiert aber nicht mehr abwehrend auf sein Umfeld.
Ohne ein entsprechendes Beruhigungsmittel ist es in der Regel nicht möglich, ein Großtier aus einer Zwangslage zu befreien. Die Kosten dafür trägt übrigens der Pferdebesitzer. Die Kosten für den Feuerwehreinsatz variieren bundesweit, da jede Gemeinde selbst festlegt, wie viel ihre Wehr in Rechnung stellen darf. In Hamburg beispielsweise musste der Besitzer eines Pferdes, das im Jahr 2021 in einen Graben gefallen war, rund 1.600 Euro für die Rettung bezahlen. In Bayern wäre der Einsatz kostenlos gewesen.
Pferderettung: Hebe- und Schleiftechniken

Festliegende Pferde versuchen die Rettungskräfte mit bestimmten Schleiftechniken aus ihrer Notlage zu befreien. (© Pöring)
Der erste Schritt einer Rettungsaktion ist die Sicherung des Kopfes mit einem Halfter oder einem langen Strick. Dann wird versucht, festliegende Pferde mit Schleiftechniken zu befreien. „Diese sind risikoärmer als Hebetechniken und gelingen auch in beengten Bereichen“, weiß Peter Berger. Dafür nutzt das Team große, stabile Schleifplatten, extra breite und lange Gurte sowie bestimmte Fädeltechniken. Mit sechs bis acht Personen kann ein Pferd so über den Bauch, die Vor– oder Hinterhand in verschiedene Richtungen gezogen werden.
„Als Hebelpunkte zum Ziehen dürfen aber nie der Kopf, die Beine oder der Schweif verwendet werden“, warnt der Experte. Je nach Größe des Vierbeiners wird der Kopf zusätzlich mit einem Tragetuch angehoben. Muss das untere Auge beim Schleifen geschützt werden, greifen die Rettungskräfte auf eine gepolsterte Maske zurück. Maschinen wie zum Beispiel Trecker oder Radlader werden beim Schleifen nicht eingesetzt, weil damit das Feingefühl fehlen würde.
Spezielles Bergegeschirr für Großtiere
Nach Ausschluss aller alternativen Methoden wird die technische Pferderettung mittels Hebetechniken angewandt. „Für die horizontale Bergung nutzen wir ein spezielles Transport- und Bergegeschirr für Großtiere, das aus einem Netz und Sicherungsseilen besteht, die um die Vor- und Hinterhand des Pferdes gelegt werden“, erklärt er. Und Dr. vet. Josefa Eisenreich fügt hinzu: „In dem Netz verteilt sich der Druck gleichmäßig auf den Pferdekörper. Das Pferd hängt darin im Gleichgewicht, sodass es unter Vollnarkose bis zu 30 Minuten darin verbleiben kann.“
Besonders kritische Momente seien das Anheben und das Absetzen. Der Vierbeiner müsse so lange sediert sein, bis er wieder festen Boden unter den Füßen spüre und das Geschirr in Ruhe gelöst werden könne, erläutert die Tierärztin. Von selbst gebauten Hebekonstruktionen raten beide dringend ab. Neben einer falschen Druckverteilung und schweren Folgeverletzungen könnten die Tiere im schlimmsten Fall sogar aus dem Geschirr herausfallen.
Gründliche Nachsorge: Pferderettung

In einem Spezialanhänger kann ein verletztes Pferd schonend und sicher transportiert werden. (© Pöring)
Nach der Pferderettung ist der Einsatz aber noch nicht vorbei. Jetzt erfolgt ein Gesundheitscheck mit anschließender Symptombehandlung. Hat das Pferd einen Schock erlitten? Ist es unterkühlt oder dehydriert? Ist die Atmung beeinträchtigt? Liegen Wunden oder weniger offensichtliche Verletzungen vor? Muss eine Auffrischung der Impfung (z.B. Tetanus) erfolgen? Braucht das Pferd Infusionen?
„In vielen Fällen genügt zum Glück eine Wundversorgung, eine den Symptomen angepasste Medikation sowie die Vereinbarung eines Nachsorgetermins“, berichtet die Expertin. Je nach Grad der Verletzungen geht es in eine Klinik zur weiteren Diagnostik. Dafür steht ein speziell angefertigter Anhänger der Tierärztin bereit, in dem das Pferd wie in einer Art Hängematte transportiert werden kann, um körperliche Belastungen während der Fahrt zu reduzieren. „So können die Beine bei einem Fissurverdacht entlastet oder ein Niedergehen des Pferdes im Hänger verhindert werden“, erklärt sie.

Kann ein Pferd nach der Rettung im Heimatstall verbleiben, sollte es einen sicheren Bereich zur Genesung haben. (© Slawik)
Nach einem Unfall sollte der Gesundheitszustand des Pferdes noch einige Tage lang im Heimatstall regelmäßig beobachtet werden. Sind medizinisches und technisches Personal so gut geschult wie Dr. vet. Josefa Eisenreich und Peter Berger, führt ein koordiniertes Vorgehen zu einer schnellen und erfolgreichen Rettung. „Das ist aktiver Tierschutz, den die Pferde verdient haben“, so die beiden.
Ausritt mit Folgen – Spektakuläre Pferderettung
Im bayerischen Aufkirchen kam es im Jahr 2017 zu einem folgenschweren Unfall. Ein Pferd stürzte samt Reiterin in einen Kanal. Die anschließende Bergung war alles andere als gewöhnlich. Eine 17-jährige Reiterin war mit ihrem Pferd bei einem Wendemanöver in den Isarkanal gefallen“, schreibt die Freiwillige Feuerwehr Aufkirchen, die zuerst an der Unfallstelle ankam, auf ihrer Homepage.
Das Pferd befand sich mit den Hinterhufen zu nah am Abgrund und rutschte ab. Die Gestürzte wurde von zwei weiteren Reitern, die den Vorfall zufällig beobachtet hatten, aus dem Wasser gezogen. Diese alarmierten anschließend den Notruf. Der 22-jährige Wallach aber trieb etwa zwei Kilometer weiter bis zum örtlichen Wasserkraftwerk. Hier wurde er durch eine Fangvorrichtung für Treibgut gestoppt.
Pferd im Kanal – Bergung per Kran

Der Sturz eines Pferdes endete in einem Wasserkraftwerk. Um zum Vierbeiner zu gelangen, mussten die Einsatzkräfte ca. zwölf Meter überwinden. (© Herkner)
Während er versuchte, gegen die Strömung anzuschwimmen, schwanden seine Kräfte. Doch das Einsatzteam reagierte vorbildlich und sicherte zunächst den Kopf des Pferdes mit einem Gurt, bevor sie den Auffangbehälter schlossen. So konnte das sechs Meter tiefe Wasser abfließen. Es dauerte aber zweieinhalb Stunden, bis der Vierbeiner endlich wieder Boden unter den Füßen hatte. „Als wir ankamen, stand der Wallach schon am Boden, sodass ich, mit Sicherheitsgurt und Leine ausgerüstet, die etwa zwölf Meter zu ihm hinabsteigen konnte, um ihm ein Beruhigungsmittel zu verabreichen“, berichtet Dr. Josefa Eisenreich, die wenig später am Einsatzort mit der Freiwilligen Feuerwehr Pöring und weiteren Rettungskräften eintraf.
Dann wurde das spezielle Hebegeschirr am Pferd befestigt. Zur Sicherheit platzierten die Helfer noch eine Schleifplatte am Rand des Gitters, um weitere Verletzungen zu verhindern. Mithilfe eines Krans, der das Treibgut aus den Behältern entfernt, wurde der Vierbeiner nach oben gehoben. „Der war leider sehr kurz, sodass das Pferd an einem eigentlich ungeeigneten Ort direkt neben dem Auffangbehälter abgesetzt werden musste“, erinnert sich Peter Berger, stellvertretender Kommandant der Pöringer Feuerwehr.
Noch vor Ort wurde der Wallach von der Tierärztin gründlich untersucht. „Er hatte erstaunlich wenig Verletzungen, nur ein paar Schürfwunden, die teilweise genäht werden mussten, und stark verschärfte Lungengeräusche, die vermuten ließen, dass er Wasser aspiriert hatte“, berichtet Dr. Eisenreich.