Dr. Margit Zeitler-Feicht ist Ethologin und leitet die Abteilung Ethologie, Tierhaltung und Tierschutz am Wissenschaftszentrum Weihenstephan der Technischen Universität München. Mit HOOFORIA spricht sie über den Ist-Zustand bei artgerechter Pferdehaltung und Tierwohl im Pferdesport.
Dr. Margit Zeitler-Feicht ist auch Mitglied in verschiedenen Fachgremien, wie dem Arbeitskreis Pferd der Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT), Tierschutzbeirat der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), Expertengruppe „Leitlinien Pferdehaltung“ des BMEL.
Leitlinien Pferdehaltung: Bestandsaufnahme
Wie gut (oder schlecht) geht es unseren Pferden in Deutschland? Sind wir auf einem guten Weg in Richtung artgerechter Pferdehaltung?
Dr. Margit Zeitler-Feicht: Im Vergleich zu früher und im Vergleich zur Pferdehaltung weltweit und auch im Vergleich mit den meisten Ländern der EU geht es unseren Pferden in Deutschland mit am besten. Wir sind auf einem guten Weg in Richtung artgemäße Pferdehaltung, doch es ist noch viel Luft nach oben! Erfreulich ist, dass das Interesse an der Verbesserung des Tierwohls von Jahr zu Jahr bei Pferdehaltern, Reitern und Betriebsleitern steigt. Doch es hapert leider noch an der Umsetzung.
Wir haben zum Beispiel an der Technischen Universität München gemeinsam mit Partnern das Beratungstool „BestTUPferd“ entwickelt. Damit können Berater*innen alle Haltungssysteme in der Pferdehaltung bezüglich der Kriterien „fühlen sich die Pferde wohl“, „können sie ihr arttypisches Verhalten ausleben“ und „geht es ihnen gesundheitlich gut“ überprüfen. Die App beinhaltet ausschließlich wissenschaftlich fundierte Indikatoren, anhand derer die Haltungsbedingungen nach dem Ampelsystem überprüft werden.
Der Betriebsleiter erhält am Schluss ein Protokoll darüber wie tiergerecht seine Pferdehaltung ist und zusätzlich praktikable Handlungsempfehlungen, wenn Verbesserungspotential gefunden wurde. Die Entwicklung der App hat acht Jahre gedauert. Dabei haben wir eine Umfrage bei den Betriebsleitern durchgeführt, ob Interesse besteht. Rund 80 Prozent haben die Frage mit „ja“ beantwortet. Jetzt ist das Tool schon seit mehreren Monaten auf dem Markt, aber die Nachfrage nach einer Beratung ist leider noch sehr zurückhaltend. Auch das zeigt: Das Interesse an der Verbesserung des Tierwohls ist groß, aber es hapert noch an der Umsetzung.
Welche Interessengruppen arbeiten an den Leitlinien und wie sieht die Zusammenarbeit aus, wenn es darum geht, diese weiterzuentwickeln beziehungsweise umzusetzen?
Die Leitlinien zum Tierschutz in der Pferdehaltung und im Pferdesport wurden vom Tierschutzreferat des BMEL herausgegeben. Deshalb bestimmt auch das BMEL welche Interessengruppen daran mitarbeiten. Die ausgewählte Expertengruppe umfasst alle wichtigen Stakeholder der Pferdebranche bei uns in Deutschland. Dazu zählen Vertreter verschiedener Tierschutzverbände, Reit- und Fahrsportverbände unter anderem die FN und Vertreter der Wissenschaft sowie entsprechende Behörden. Bei den Leitlinien Pferdesport war der Expertenkreis deutlich größer als ehemals bei den Leitlinien Pferdehaltung. Der Expertenkreis ist im Anhang der Leitlinien aufgelistet.
Welche Vorgehensweisen gab es bei den unterschiedlichen Leitlinien?
Bei den beiden Leitlinien gab es ehemals eine etwas unterschiedliche Vorgehensweise. Bei den Leitlinien Pferdehaltung wurde ein Expertenkreis einberufen, der dann gemeinsam die alten Leitlinien aus dem Jahr 1995 in mehreren Präsenzsitzungen Satz für Satz diskutierte und überarbeitete. Orientierungshilfe war dabei schon ein diesbezügliches Positionspapier der Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT, 2008). Bei den Leitlinien Pferdesport wurde ebenfalls ein Expertenkreis vom BMEL einberufen. Diesem wurde aber gleich zu Beginn ein erster Entwurf vorgelegt. Dieser Entwurf basierte maßgeblich auf einem diesbezüglichen Positionspapier der TVT (2014) und auf einer Stellungnahme der FN.
Wie stellen Sie sich die Weiterentwicklung der Leitlinien in den kommenden Jahren vor? Was sind die nächsten wichtigen Schritte, um die Pferdehaltung tierschutzgerecht und nachhaltig zu gestalten?
Die Leitlinien Pferdehaltung sind in die Jahre gekommen! Sie wurden 2009 fertiggestellt, das heißt sie sind bereits vor über 15 Jahren erstellt worden und repräsentieren nur noch unzureichend den aktuellen Wissensstand an eine artgemäße und tierschutzkonforme Pferdehaltung. Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) hat aus diesem Grund einen Expertenkreis einberufen, um ein diesbezügliches Positionspapier zu erstellen.
Satz für Satz wurden die alten Leitlinien überarbeitet und hinsichtlich neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und einschlägiger Praxiserfahrungen aktualisiert. Zudem wurde die aktuelle Rechtsprechung berücksichtigt. Das Positionspapier wurde bereits 2022 dem BMEL persönlich überreicht mit der Bitte diesen Vorschlag zugrunde zu legen, wenn die dringend notwendige Überarbeitung der Leitlinien Pferdehaltung erfolgen wird. Soviel ich weiß, will auch die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) ebenfalls einen Vorschlag beim BMEL vorlegen.
Bis heute ist jedoch noch keine Überarbeitung seitens des BMEL in Angriff genommen worden. Ich hoffe sehr, dass das BMEL Tierschutzreferat zeitnah wieder ein Expertengremium einberuft und den Startschuss für die Überarbeitung der Leitlinie Pferdehaltung gibt. Halten wir uns die Daumen, dass es noch dieses Jahr sein wird.
Mit den Leitlinien Pferdesport für mehr Tierwohl
Wie sieht es mit den Leitlinien Pferdesport aus?
Die Leitlinien Pferdesport wurden 2020 von einer Expertengruppe vollkommen überarbeitet. Fr. Prof. König von Borstel und ich vertraten dabei die Wissenschaft. Es gab insbesondere heftige Diskussionen, was „den Beginn der zielgerichteten Ausbildung zum vorgesehenen Nutzungszweck“ anbelangt (s. Kapitel 5.1.2). Insbesondere der Galopperverband wehrte sich heftig gegen die Formulierung „Pferde früher als im Alter von 30 Lebensmonaten in die zielgerichtete Ausbildung zum vorgesehenen Nutzungszweck zu nehmen, verletzt in der Regel die dargestellten Grundsätze“.
Wie allgemein bekannt werden Vollblüter bereits ab dem zweiten Lebensjahr zum Rennen eingesetzt. Das heißt sie werden schon mit etwa eineinhalb Jahren angeritten. Es konnte bei den Sitzungen keine Einigung erzielt werden, so dass das BMEL sich dazu entschied ein Forschungsprojekt, das die Forderung „Beginn der zielgerichteten Ausbildung erst mit mindestens 30 Monate“ überprüft, durchführen zu lassen. Seitdem sind mittlerweile vier Jahre vergangen. Die Ergebnisse werden wohl bald bekannt werden. Anhand dessen wird es voraussichtlich nochmals eine Sitzung der Expertengruppe gebe.
Zum Punkt „Tierwohl im Reitsport“: Wie bewerten Sie den Ist-Zustand und was sind aus Ihrer Sicht die nächsten Schritte, die notwendig sind, um hier noch mehr für die Pferde zu erreichen?
Das Tierwohl im Reitsport steht aktuell im Fokus der Öffentlichkeit – und zwar zu recht! Die wenigsten Reiter erkennen nicht oder wollen nicht erkennen, dass das Pferd Stress oder sogar Schmerzen hat. Offene Mäuler, schlagende Schweife, Köpfe hinter der Senkrechten um nur einige Beispiele zu nennen, sind Alltagsbilder, zumindest auf Turnieren. Und was passiert? Viel zu wenig!
Was wir brauchen und zwar so bald als möglich, ist eine verpflichtende Schulung aller Ausbilder, Richter, Pferdehalter und nicht zuletzt Reiter bezüglich Tierwohl beziehungsweise zum Thema „Anhand welcher Merkmale erkenne ich wie sich das Pferd unter dem Reiter fühlt?“ Um negative Emotionen wie Angst, Stress und Schmerzen und natürlich auch um positive Emotionen wie Entspannung zu erkennen, muss man entsprechende Fachkenntnisse zum Ausdrucksverhalten des Pferdes haben.
Und dazu muss man die „Sprache“ des Pferdes kennen und auch verstehen! Wir Menschen kommunizieren primär akustisch, also über die Stimme. Unsere Pferde sind evolutionäre Fluchttiere und im Unterschied zu uns kommunizieren sie fast ausschließlich über das optische Ausdrucksverhalten. Um zu erkennen, wie sich ein Pferd fühlt, hat die Wissenschaft schon seit Jahren Displays für die Befindlichkeiten Schmerzen, Stress, Angst und Entspannung erstellt. Diese umfassen Mimik, Körper- und Schweifhaltung sowie Gestik. Ein wissenschaftlich fundiertes und gleichzeitig praktikables Informationsmaterial ist also bereits vorhanden!
Um das Tierwohl im Reit- und Fahrsport, aber auch bei der Nutzung als Freizeitpferd und allgemein im Umgang deutlich zu verbessern, wäre es meines Erachtens nach an der Zeit, einen verpflichtenden Sachkundenachweis bezüglich Tierwohl einzuführen! – Dr. Margit Zeitler-Feicht –
Wie steht es Ihrer Meinung nach um das Bewusstsein der Reiter und Pferdehalter in Bezug auf die Leitlinien? Wird hier Ihrer Ansicht nach ausreichend informiert oder was könnte noch getan werden?
Über die Leitlinien und ihre Bedeutung ist eigentlich schon viel informiert worden und zwar in allen Medien. Doch insbesondere die Verbände könnten noch mehr tun und ihre Mitglieder besser über die Bedeutung der Leitlinien aufklären. Es sollte allen, die mit Pferden zu tun haben – sei es in der Haltung oder im Sport – klar sein, dass die Einhaltung der Leitlinien eine Mindestanforderung ist! Doch leider werden die Leitlinien insbesondere in der Turnierreitszene noch nicht ausreichend ernst genommen. Deswegen mein Vorschlag von vorhin, man sollte einen verpflichtenden Sachkundenachweis bezüglich Tierwohl für alle Ausbilder, Richter, Pferdehalter und Reiter einführen!
In der Leitlinie Pferdehaltung steht zwar in der Einleitung, dass sie „eine wichtige Grundlage zur Selbstkontrolle für Pferdehalter bieten“ und dass sie „den für die Durchführung des Tierschutzgesetzes zuständigen Behörden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben hilfreich“ sind. Aber es steht in der Leitlinie Pferdehaltung auch der Passus, dass „Leitlinien keine Rechtsnormen und damit nicht rechtsverbindlich sind“. Sie sind lediglich „Orientierungs- und Auslegungshilfe bei der Anwendung der einschlägigen Rechtsvorschriften und nicht Rechtsgrundlage“. Das ist zwar absolut richtig, Leitlinien sind Handlungsempfehlungen und keine Verordnung, die eingehalten werden muss. Doch dieser Passus schränkt die Bedeutung der Leitlinien leider sehr ein.
Sehr gut ist allerdings, dass die Leitlinien Pferdehaltung mittlerweile als antizipiertes Sachverständigengutachten anerkannt sind und damit einen hohen Stellenwert vor Gericht haben.