Dr. Sue Dyson, MA, Vet MB, PhD, gehört zu den einflussreichsten Stimmen in der internationalen Pferdemedizin und beschäftigt sich seit Langem wissenschaftlich mit dem Thema Pferdewohl. Dabei ist ihr die Vermittlung und Anwendung ihres gewonnenen Wissens ein großes Anliegen. In diesem Portrait stellen wir Ihnen die Tierärztin, Verhaltensforscherin und ehemalige Spitzenreiterin vor.
Die britische Veterinärmedizinerin und passionierte Reiterin Dr. Sue Dyson qualifizierte sich 1980 an der University of Cambridge, sammelte erste Praxiserfahrung an der University of Pennsylvania und in der privaten Pferdepraxis, bevor sie nach Großbritannien zurückkehrte. Am Animal Health Trust in Newmarket leitete sie 37 Jahre lang eine hochspezialisierte Überweisungsklinik für Lahmheits- und Leistungsprobleme – Anlaufpunkt für Pferde aus dem gesamten Vereinigten Königreich, Irland und dem europäischen Festland.
Dr. Sue Dyson: Tierärztin und Turnierreiterin
Ihre Karriere ist geprägt von einer doppelten Perspektive: als Tierärztin mit wissenschaftlicher Akribie – und als erfolgreiche Turnierreiterin, die Pferde bis zur nationalen Spitze im Spring– und Vielseitigkeitssport ausgebildet hat. „Ich habe erkannt, dass sich ein geringfügiges Problem oft eher in einer Verhaltensänderung äußert als in einer deutlichen Lahmheit“, sagt sie. „Je länger ein Problem besteht, desto schwieriger wird es, das Pferd wieder in seine volle Leistungsfähigkeit zurückzuführen.“
Früh stellte Dyson fest, dass Reiter, Trainer – und selbst Kollegen – diese frühen Signale häufig übersahen. „Leistungsprobleme werden oft als Ungehorsam oder Faulheit abgetan, dabei stecken nicht selten Schmerzen dahinter“, erklärt sie. „Das Problem ist: Je später man handelt, desto mehr hat sich der Körper des Pferdes bereits angepasst – und desto schwerer wird die Rehabilitation.“
Das Schmerz-Ethogramm für Pferde
Aus dieser Erfahrung heraus entstand die Idee für ein objektives Werkzeug zur Schmerzerkennung: das Ridden Horse Pain Ethogram. Gemeinsam mit einer US-amerikanischen Verhaltensforscherin sichtete sie unzählige Videoaufnahmen, definierte zunächst 117 potenzielle Verhaltensweisen und filterte diese wissenschaftlich auf 24 Kernmerkmale. „Mein Ziel war es, ein Tool zu schaffen, das jeder – ob Profi oder Laie – einfach anwenden kann“, sagt Dyson. „Wenn ein Pferd innerhalb von 5–10 Minuten acht oder mehr dieser Verhaltensweisen zeigt, ist das ein starkes Indiz für muskuloskelettale Schmerzen.“
Das Ethogramm ist mittlerweile wissenschaftlich validiert und weltweit im Einsatz. Dyson betont jedoch, dass es nicht als isoliertes Urteil dienen darf: „Jedes Verhalten muss im Kontext gesehen werden. Man muss wissen, was es bedeutet – und was nicht.“

Sie ist Mitbegründerin des „Train with Trust Project“ und setzt sich über die Organisation „24 Behaviors“ dafür ein, das Bewusstsein für Schmerzen bei Pferden zu schärfen. (© Sue Dyson)
Die Wissenschaftlerin Dr. Sue Dyson
Neben ihrer klinischen Tätigkeit hat sie mehr als 430 wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht, Standardwerke wie Diagnosis and Management of Lameness in the Horse mitverfasst und weltweit auf Kongressen gesprochen. Für sie ist Aufklärung der Schlüssel: „Wenn die Menschen es einmal gesehen haben, können sie es nicht mehr ignorieren.“
Ihr Engagement wurde mit zahlreichen internationalen Auszeichnungen geehrt, darunter die Aufnahme in die University of Kentucky Equine Research Hall of Fame, der Frank J. Milne Award der American Association of Equine Practitioners und der Tierklinik-Hochmoor-Preis.
Wissen vermitteln und Bewusstsein schaffen
Heute arbeitet Sue Dyson als unabhängige Beraterin und wissenschaftliche Advisorin der Saddle Research Trust und des Moorcroft Rehabilitation Centre und widmet sich verstärkt der Wissensvermittlung. Mit dem Dokumentarfilm „Die 24 Verhaltensweisen des schmerzenden Pferdes“ will sie Reiter, Trainer und Tierärzte weltweit erreichen. „Die Aufmerksamkeitsspanne ist heute kurz – man muss Geschichten erzählen, um Menschen zum Hinschauen zu bewegen“, sagt sie.
Ihr Antrieb ist unverändert: „Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen und konsequent für das Wohlergehen des Pferdes einzutreten. Denn das sind wir den Pferden schuldig.“
