14 Jahre musste André Thieme auf den vierten Derby-Sieg seiner Karriere warten. Nun hat er erneut das Blaue Band gewonnen – dank Paule und eines klugen Plans. Nur einer hätte ihm den Sieg noch schwer machen können und scheiterte an einer Besonderheit des Derby-Parcours.
Das Derby ist das Derby – und das schreibt seine ganz eigenen Geschichten. Auch in diesem Jahr. André Thieme hat sich zum vierten Mal als Sieger in die Historie dieses Klassikers eingetragen. Eine Besonderheit, aber es kam noch kurioser.
Zwei Reiter hatten sich für das entscheidende Stechen qualifiziert: Mit den Nullrunden 164 und 165 in der Geschichte des Hamburger Springderbys schafften das der Spanier Esteban Benitez Valle mit C the Stars und André Thieme mit Paule S.
Der Buschreiter und das geliehene Pferd
Esteban Benitez Valle ist Vielseitigkeitsreiter. Der 33-Jährige war bei den Olympischen Spielen in Paris dabei, bestritt 2022 die Weltmeisterschaften in Pratoni del Vivaro und mehrere Europameisterschaften als Nachwuchs- und Seniorreiter. Seit 2016 lebt er in Deutschland, trainierte lange Zeit in Bad Segeberg und mittlerweile in Schneverdingen. Stefan Dubsky hat ihm den elfjährigen Contendro-Sohn C the Stars für das diesjährige Derby geliehen.
Sechs Wochen lang bereitete er sich mit ihm akribisch vor, um heute das erste Mal in den Parcours zu reiten, der als der schwerste der Welt gilt. „Ich habe das nicht erwartet“, sagte Esteban Benitez Valle. „Ich wollte dieses erste Mal nur genießen und eine gute Runde machen. Wir haben viel geübt, Stefan und ich zusammen. Den Wall und all die Hindernisse hier. In der ersten und zweiten Quali hatte ich ein super Gefühl. Ich hatte nur ein bisschen Angst vor dem Wall. In der zweiten Quali ist C the Stars ein bisschen schnell runtergegangen. Ich dachte, das geht nicht gut am Sonntag. Heute habe ich ‚brrr‘ gemacht und er hat geantwortet. In der zweiten Quali hatte er nicht geantwortet, da hat er gesagt: ‚Wir gehen runter.‘“
Ein bisschen Aberglaube spielte aber auch eine Rolle – in Form der Nummer 24. Er war heute der 24. Starter. „Bei den Olympischen Spielen hatte ich die Nummer 24, ich habe mich am 24. November 2024 verlobt. Als ich die Nummer auf der Starterliste gesehen habe, dachte ich, ich reite null.“
„Bleib ruhig, Junge, bleib ruhig“
Der zweite im Bunde: André Thieme. 2007 gewann er erstmals in Klein Flottbek das Blaue Band mit Nacorde, 2008 und 2011 gelang den beiden der Sieg erneut. Dieses Mal hatte er – wie schon in den vergangenen zwei Jahren – den Perigueux-Sir Shutterfly-Sohn Paule S dabei.
Den Plan, mit ihm beim Derby zu starten, hatte er bereits in Florida Anfang des Jahres geschmiedet. Er hatte Paule nach dem USA-Aufenthalt eine längere Pause gegönnt und vorige Woche in Hohen Wieschendorf das erste Turnier mit ihm geritten – allerdings nicht den Großen Preis, sondern auf dem Derby-Trainingsplatz der ehemaligen Reitanlage von Carsten-Otto Nagel. Das habe sehr gut geklappt. „Am Mittwoch sprang er in der ersten Derby-Quali so souverän und mit so viel Ruhe, dass ich hoffte, die Punkte reichen, um direkt am Sonntag starten zu können. Paule ist so ein nerviger, blutiger Kerl, dass, wenn das Adrenalin einmal bei ihm drin ist, man es nicht wieder rauskriegt.“
Thieme setzte alles auf eine Karte und verzichtete auf die zweite Qualifikation am Freitag. „Und heute war die erste Runde genauso, wie ich mir das schon immer bei Paule vorgestellt hatte. Es hat sich locker angefühlt vom ersten bis zum letzten Sprung. Ich reite ohne Sporen, ich sitz nur drauf und sag: ‚Bleib ruhig, Junge, bleib ruhig.‘ Er hat das alles von allein gesprungen. Ich war nur dafür da, ihn immer mal wieder auszubremsen. Ein tolles Gefühl, wie ein Pferd mit diesen Anforderungen so umgehen kann, wenn das alles gut geübt ist.“
Die Kuriosität mit der Wendemarke
So standen nun also zwei Reiter im Stechen. Esteban Benitez Valle musste vorlegen – wieder stilistisch schön anzusehen. Einen Hindernisfehler kassierte er – doch der viel unglücklichere Fehler wurde erst allen klar, als er schon im Ziel war: Er hatte eine Wendemarke des Parcours nicht beachtet. Diese kannte er aus dem Normalparcours, doch dass an dieser im Stechen nicht abgekürzt werden darf, wusste er nicht – und es hatte ihm auch im Vorfeld keiner gesagt.
„Als ich das vom Stadionsprecher hörte, war ’ne Menge los in meinem Kopf“, sagte der spätere Sieger André Thieme. „Damit war der Druck komplett raus. Ich habe nur gedacht: Jetzt nicht noch etwas Dummes machen. Nicht, dass da noch etwas passiert. Ich wusste, dass ich jetzt nur noch ins Ziel muss.“ Ein Hindernisfehler und vier Zeitfehler standen am Ende auf dem Konto – aber viel entscheidender: der vierte Derby-Sieg für André Thieme aus Plau am See.