Unsere fünf Reiter und Reiterinnen kommen alle aus einer Pferdefamilie, haben alle das Pferdevirus mit der Muttermilch aufgesogen. Das Pferd stand bei ihnen stets im Mittelpunkt – das Wissen um sie und die Werte auch. Nun führen sie die hippologische Familiengeschichte fort – und gehen eigene Wege.
Lisette Robiné, 24, Online-Journalistin, Podcasterin
Lisette Robiné wuchs mit Pferden auf – heute verbindet sie familiäre Werte mit neuen Perspektiven als Journalistin und Podcasterin in der Pferdewelt. (© von Korff)
Ein klarer Rahmen mit vielen Freiheiten. Für uns Kinder, für unsere Pferde.
Meine Eltern züchten Pferde. Mein Vater bekam früh ein eigenes Pferd und ritt später Vielseitigkeit. Meine Mutter musste sich ihren Weg zu den Pferden mühsamer erarbeiten: Ponys putzen, Schritt führen, Stück für Stück. Als Studentenreiter lernten die beiden sich kennen und begannen später zu züchten. Unsere Pferde wachsen bei uns auf dem Hof auf, und wir bilden sie aus – diese ganze Entwicklung zu beobachten, das ist für meine Eltern bis heute die große Leidenschaft, ihre Erfüllung.
Kein Zwang – Aufwachsen mit Pferden
Sie legen viel Wert auf die Basics in der Erziehung – bei den Pferden und bei uns Kindern. Ich bin die Jüngste von drei Geschwistern, und bei uns galt immer: bitte, danke, hallo und auf Wiedersehen – das ist selbstverständlich. Das lässt sich auch auf den Umgang mit den Pferden übertragen. Du brauchst keine ausgefeilten Trainingsmethoden, wenn du von Anfang an klare Grenzen setzt und konsequent bleibst. So war es immer bei uns: ein klarer Rahmen mit vielen Freiheiten. Kein ständiges „Nein“, aber eine klare Orientierung. Für uns Kinder, für unsere Pferde. Es gab bei uns keinen Zwang, aber wenn man etwas macht, dann bitte richtig.
Unsere Eltern haben uns immer vorgelebt, was ihnen wichtig war und ist. Ich finde, man kann erzählen, was man will – wenn man es nicht selbst lebt, kommt die Botschaft nicht an. Eine davon war: Das Problem liegt nie beim Pferd, sondern bei einem selbst. Und wenn etwas nicht funktioniert, geh lieber zehn Schritte zurück. Meinen Vater bringt so schnell nichts aus der Ruhe, seine Gelassenheit hätte ich gerne – gerade in kritischeren Situationen. Aber in dieser Hinsicht komme ich eher nach meiner Mutter.
Nicht jedes Pferd ist für den großen Sport gemacht
Beim Reiten bin ich bestimmt nicht das geborene Talent, ich habe mir viel erarbeitet, auch durch Beobachten und Nachfragen. Es ist ein großes Privileg für mich, mit Pferden aufgewachsen zu sein. Ich durfte viel lernen – über das Wesen Pferd, über mich selbst. Was ich aber gerne früher gewusst hätte: Nicht jedes Pferd ist für den großen Sport gemacht. Und nicht jedes Pferd muss überhaupt in den Sport. In dieser Hinsicht falle ich aus dem familiären Muster.
Wir sind eine sehr sportliche Familie – ehrgeizig, detailverliebt, wollen uns immer verbessern. Meine Brüder Jasper und Jérôme waren meine Vorbilder. Jérôme hat vorgemacht, wie man die Karriereleiter erklimmt und dass das sogar mit einem selbst gezogenen Pferd möglich ist. Ich dachte lange, das schaffe ich auch. Ich hatte großen Ehrgeiz – bis Corona kam. Die Zwangspause hat mir gezeigt: Es gibt noch mehr als Sport. Mit Easy Peasy bin ich international Zwei-Sterne-Vielseitigkeit geritten – weiter, als viele es ihm je zugetraut hätten. Aber irgendwann wurde mir klar: Das ist sein Limit. Und es war okay. Ich habe gelernt zu fragen: Was will mein Pferd?
Journalismus statt Sport: Aufwachsen mit Pferden
Durch meinen Job als Journalistin konnte ich mich weiterbilden – auch in ganz andere Bereiche. Ich bringe dieses Wissen mit nach Hause. Meine Mutter ist total offen, möchte alles wissen. Mein Vater – klassischer Landtierarzt – ist anfangs skeptisch, aber wenn er sieht, dass etwas funktioniert, ist er offen. So haben wir zum Beispiel unsere Aufzucht verändert – angestoßen durch meine Recherche zu Wildpferden in der „Thüringeti“.
Ich wollte eigentlich Bereiterin werden, eine Sportkarriere machen. Es kam anders – und das ist in Ordnung. Dinge zu akzeptieren, das ist meine größte Stärke. Wenn eine Tür zugeht, öffnen sich fünf andere. Ich will einfach machen. Zum Online-Journalismus kam ich zufällig – der Studienort war in der Nähe, ich konnte mit meinem Pferd zu Hause bleiben. Ganz pragmatisch. Das Studium selbst war zäh, aber in den Praktika habe ich gemerkt: Das ist mein Ding. Ich liebe es, Menschen zu begeistern für das, was mich selbst begeistert. Dass ich in der Pferdebubble bleiben kann, ist ein Geschenk. Ich kann mein Wissen einbringen und bin gleichzeitig offen für neue Perspektiven. Denn ein „Das haben wir immer schon so gemacht“ ist keine Argumentation.
Kenzie Dysli, 33, Pferdetrainerin, Showreiterin und Schauspielerin
Kenzie Dysli vereint das Aufwachsen mit Pferden und vielfältige Reitweisen – geprägt von Westernkultur, spanischen Pferden und der Schule des Feingefühls. (© Alisa Konrad)
Die Arbeit mit Pferden hält dir jeden Tag den Spiegel vor.
Mein Vater Jean-Claude Dysli war gebürtiger Schweizer und entschied sich, nach seiner Bauingenieursschule in die USA auszuwandern. Er lebte zehn Jahre in Amerika und wurde dort zum Cowboy ausgebildet. In den 70er-Jahren brachte er das Westernreiten nach Europa und erhielt große Aufmerksamkeit in der Pferdewelt. Meine Mutter Magda Dysli, gebürtig aus Ägypten, entdeckte früh ihre Leidenschaft für Pferde und begann zu reiten, obwohl ihre Familie nie etwas mit Pferden zu tun hatte. Sie ritt Araber, bis sie meinen Vater kennenlernte. Durch ihn lernte sie wiederum das Westernreiten kennen und kam mit ihm zusammen. Im Laufe der Zeit und durch ihren Umzug nach Spanien entwickelte sich die Liebe zu den spanischen Pferden und der Doma Vaquera.
Pferdetraining: Feeling, Balance, Timing
In unserer Familie wurden schon immer verschiedene Reitweisen praktiziert und je nach Bedarf auch miteinander kombiniert. Jede Reitweise hat ihre eigene Wissenschaft, und es ist so wertvoll, die Möglichkeit zu haben, verschiedene Ansätze kennenzulernen. Der Satz meines Vaters, der alles Wichtige für das Pferdetraining auf den Punkt brachte, war: „Feeling, Balance, Timing.“ Man braucht Gefühl im Pferdetraining, man braucht die richtige Balance zwischen den Übungen und Pausen, und man braucht das richtige Timing, um einem Pferd etwas beizubringen.
Geduld und Gleichmut sind Eigenschaften, die meine Eltern mich früh gelehrt haben und die für das Pferdetraining essenziell sind. Beim Aufwachsen mit Pferden habe ich gelernt, wie wichtig es ist, eine Verbindung zum Pferd vom Boden aus aufzubauen, Vertrauen zu gewinnen, damit es später mit mir durch dick und dünn gehen kann. Ich habe gelernt, meine Körpersprache klar und eindeutig einzusetzen, um Missverständnisse zu vermeiden und mich auf ihre Art der Kommunikation einzulassen. Gleichermaßen habe ich gelernt, zuzuhören und die Pferde zu lesen.
Jung und ehrgeizig: Aufwachsen mit Pferden
Bei uns zu Hause galt es als No-Go, ein Pferd einfach nur zu benutzen. Wenn du ein Pferd aus dem Stall geholt hast, galt es, das Pferd zu putzen, Hufe auszukratzen, ordentlich zu satteln und es nach der Arbeit zu pflegen, zu waschen und sauber in die Box zurückzustellen. Ich habe viel von meinen Eltern gelernt, jedoch gab es Erfahrungen, die ich selbst machen musste und bei denen mir die Pferde die besten Lehrmeister waren – wie zum Beispiel die Balance zu finden und stets fair zu bleiben.
Gerade am Anfang, wenn man jung und ehrgeizig ist und viel erreichen möchte, ist es nicht immer leicht, die richtige Balance im Training zu finden. Doch die Pferde haben mir sehr schnell gezeigt, wann ich eine Grenze überschritt oder unfair wurde. Diese Erfahrung musste ich selbst machen, und die Pferde machten mir unmissverständlich klar, wie weit ich gehen durfte. Es gibt natürlich Dinge, die ich sicher gerne früher gewusst hätte – zum Beispiel:
Mehr Zeit: Geduld ist die größte Stärke
Auch wenn ein Pferd mehr Zeit braucht, um zu lernen als gewohnt, ist es nicht unmöglich, ihm diese Übung beizubringen. Geduld ist hier die größte Stärke. Dennoch muss ich sagen: Auch wenn manche Wege früher nicht die direktesten waren, war es wichtig, genau diese Umwege zu gehen und diese Fehler zu machen, um all das zu lernen und diese Erfahrungen zu sammeln, die ich heute habe. Ich habe mir nie Gedanken gemacht, wo ich in der Pferdebranche lande. Ich liebe Pferde seit frühester Kindheit und wollte immer mit ihnen arbeiten, neue Dinge erfahren und Herausforderungen annehmen. So hat sich mein Weg recht schnell von selbst ergeben.
Pferde sind faszinierende Wesen. Die Arbeit mit ihnen hält dir täglich den Spiegel vor, an dir selbst zu wachsen und dich weiterzuentwickeln. Geduld, Gleichmut, Fairness, Selbstreflexion und Ausdauer sind Eigenschaften, die man in der Schule der Pferde lernt und die einen ein Leben lang prägen. Diese Chance, mit den Pferden leben zu dürfen und dieses Wissen weiterzugeben, ist mein größter Antrieb.
Nisse Lüneburg, 36, internationaler Springreiter und dreifacher Derby-Sieger
Für Nisse Lüneburg war das Aufwachsen mit Pferden zugleich Alltag und Antrieb – heute zählt er zu den erfolgreichsten Springreitern Deutschlands. (© van Korff)
Wer mit Pferden lebt, übernimmt Verantwortung. Wir mussten uns kümmern.
Meine Eltern sind früher hobbymäßig geritten. Später kauften sie einen heruntergekommenen Resthof in der Marsch und begannen mit der Pferdezucht. Diese wuchs stetig – genauso wie unsere Familie: Wir sind fünf Geschwister, davon sind vier auch viel geritten, gerade in jungen Jahren. Unsere selbst gezogenen Pferde haben wir meist auch selbst ausgebildet und auf Turnieren vorgestellt. Die Pferde haben unseren Alltag geprägt. Unsere Eltern haben uns immer unterstützt, aber es war auch klar: Das Aufwachsen mit Pferden bedeutet, früh Verantwortung zu übernehmen. Wir mussten uns kümmern und mitziehen. Und eines haben uns unsere Eltern besonders mitgegeben: die Achtung, den Respekt vor dem Pferd.
Aufwachsen mit Pferden – Demut entwickeln
Beim Aufwachsen mit Pferden in einer Zuchtfamilie erlebt man hautnah, wie lang der Weg von der Bedeckung der Stute bis zum fertigen Sportpferd ist – und entwickelt dabei automatisch eine gewisse Demut. Ich kann durchaus stur sein, wenn ich von etwas überzeugt bin. Aber ich sage auch: Tu nur, was du wirklich vertreten kannst. Gerade im Umgang mit Pferden hilft mir mein ruhiges Temperament – und die Bereitschaft, mich selbst zu reflektieren.
Meine Eltern haben uns beigebracht: Das Wohl des Pferdes steht immer an erster Stelle. Oft sogar über dem eigenen. Wir alle in der Familie ticken so: Wenn das Pferd gut versorgt ist, spielt es eine geringere Rolle, ob man selbst gerade Freizeit hat oder eine Pause bräuchte. Einer der wichtigsten Grundsätze bei uns lautet: Lass es nicht am Pferd aus, wenn du einen schlechten Tag hast. Und solche Tage hat jeder. Aber die Pferde spüren das sofort.
Offenheit für Weiterentwicklung – jeden Tag
Unser Sport lebt davon, dass man sich täglich weiterentwickelt. Selbst wenn man ein Pferd schon viele Jahre begleitet, kann man trotzdem jeden Tag etwas verbessern und ein Pferd ein Stück weit neu kennenlernen. Ich glaube, diese Offenheit muss man mitbringen. Und Niederlagen gehören dazu. Genau diese Erfahrungen bringen einen langfristig oft weiter als die Siege. Das Aufwachsen mit Pferden hat mich geprägt, auch wenn ich erst mit elf oder zwölf Jahren selbst zu reiten begonnen habe. Der Reitsport hat mich früh fasziniert – nur aufs Pferd wollte ich zunächst nicht.
Dass ich später einmal beruflich reiten würde, war lange nicht absehbar. Erst nach dem Abitur ergab sich die Möglichkeit, bei Familie Herz in Hamburg zu reiten – eine Chance, die ich genutzt habe. Über 13 Jahre war ich dort aktiv. Heute weiß ich: Mein Leben wird immer mit Pferden zu tun haben. Natürlich gibt es auch andere Dinge, die mich interessieren würden, aber dafür fehlt schlicht die Zeit. Und ich möchte auch nicht riskieren, mich zu verletzen – ich bin nun mal auf meinen Körper angewiesen.
Aufwachsen mit Pferden: Freunde an der Arbeit
Die Freude an der Arbeit mit den Pferden ist mein größter Antrieb. Sie bringt mich jeden Tag früh aus dem Bett, motiviert mich, alle Pferde zu reiten, auf Turniere zu fahren. Während in der Gesellschaft über Vier-Tage-Wochen diskutiert wird, ist so etwas in unserem Beruf nicht denkbar. Wir investieren extrem viel Zeit und Energie – das funktioniert nur mit Leidenschaft. Seit knapp zwei Jahren bin ich jetzt selbstständig. Das war ein großer Schritt.
Man beginnt im Grunde wieder bei null: Pferde aufbauen, Vertrauen gewinnen, wirtschaftlich denken. Manchmal muss man auch ein sehr gutes Pferd verkaufen – obwohl man es sportlich gerne behalten würde. Aber dieser Sport funktioniert ohne Kompromisse nicht. Vernunft gehört dazu. Umso emotionaler sind dann Momente wie das Derby. So viel Schweiß, Arbeit, Rückschläge stecken hinter so einem Start – und ich hatte das Glück, dort mal sonntags zu siegen. Solche Augenblicke vergisst man nie.
Janne Sosath-Hahn, 39, Mental-Coach, Springreiterin
Janne Sosath-Hahn wuchs mit Pferden und Zuchttradition auf – heute kombiniert sie Reitsport, Mentalcoaching und Hofleben mit Weitblick. (© Anna Christians)
Der Blick für das besondere im Pferd hat mich nachhaltig geprägt.
Unser Hof in Lemwerder blickt auf eine lange Geschichte zurück – bis ins Jahr 1647. Früher wurden hier Arbeitspferde gehalten, später kam die Pferdezucht hinzu. Die Stammstuten, die heute in den Pedigrees auftauchen, sind aus der Zucht meines Großvaters. Uns ist bewusst, was für eine besondere Tradition wir hier weiterleben. Darauf bin ich ein bisschen stolz. Inzwischen hat mein Bruder Hendrik den Hof übernommen, um ihn später an die nächste Generation weiterzugeben.
Der Blick für das Besondere im Pferd
Das Aufwachsen mit Pferden auf unserem Hof hat unser Leben stark geprägt. Die Pferde standen bei uns immer im Mittelpunkt. Wir sind kein reiner Verkaufsstall, sondern ein Zuchtbetrieb, bilden Pferde aus und stellen sie auf Turnieren vor. Die enge Verbindung zum Pferd war uns immer wichtig – sie aufzubauen, zu pflegen und dankbar dafür zu sein. Denn wir leben zu hundert Prozent von den Pferden. Mein Vater ist ein Extrembeispiel für diese Leidenschaft. Er hat so hart gearbeitet, um sich sein Traumleben zu erschaffen. Wir Kinder haben durch den Reitsport Möglichkeiten bekommen, die es früher nicht gab – wir durften an großen Turnieren teilnehmen, internationale Kontakte knüpfen. Das alles verdanken wir den Pferden.
Von meinen Eltern habe ich vor allem eines gelernt: Respekt gegenüber dem Pferd. Sie haben uns beigebracht, Pferde als Persönlichkeiten zu sehen und ihre Stärken zu erkennen. Mein Vater sagte immer: „Wenn du einen Kracher willst, musst du ihn auch wie einen Kracher behandeln.“ Dieser Blick für das Besondere im Pferd hat mich nachhaltig geprägt. Was ich selbst lernen musste, war das Gefühl für das Pferd. Dieser besondere Moment, wenn man wirklich zu einer Einheit wird – das ist unbezahlbar.
Aufwachsen mit Pferden: Vorsicht ist gefragt
Natürlich gab es auch Verletzungen, die mit mehr Vorsicht vermeidbar gewesen wären. Ich werde oft gefragt, warum ich so vorsichtig mit Pferden umgehe – aber ich bin mit Hengsten aufgewachsen. Unsere Hengste sind unglaublich lieb, aber sie bleiben Fluchttiere. Sie meinen nichts Böses, können aber mal auskeilen, zur Seite springen oder zuschnappen. Da ist immer Aufmerksamkeit gefragt. Den Wert von Zeit hätte ich gerne früher erkannt. Als junger Reiter denkt man von Turnier zu Turnier, will alles sofort erreichen. Doch mit zu viel Ehrgeiz kommt man nicht unbedingt weiter. Pausen, Entwicklung und das große Ganze zu sehen – dieser Weitblick ist wertvoll.
Das Pferd, das mich am meisten geprägt hat, war Lordanos. Er war der Bravste von allen, eine Seele von einem Pferd. Zu Hause unglaublich lieb, auf dem Turnier voller Energie – mein Vater ritt mit ihm schwere Springen, und am selben Tag startete ich mit ihm ein A-Springen. Mit 18 bin ich mit ihm über eine Zwei-Meter-Mauer gesprungen, weil ich wusste: Auf ihn ist Verlass. Und das, obwohl ich eigentlich ein ziemlicher Schisser bin.
Schwierige Wege und Organisationstalent
Von meinen Eltern habe ich die Leidenschaft fürs Pferd mitbekommen, aber auch die Fähigkeit, schwierige Wege auszuhalten – und das organisatorische Geschick, damit alles läuft. Sie haben immer alles gegeben, für den Hof, die Familie und die Pferde. Urlaub? Kam für sie selten infrage. Mir war früh klar, dass ich mir mehr von der Welt anschauen wollte. Nur Lemwerder war nicht meins. Ich habe BWL studiert und später das Mentalcoaching für mich entdeckt – heute arbeite ich mit Reitsportlern als Coach und Kinesiologin.
Auf dem Hof bin ich für Veranstaltungen und Marketing zuständig. Diese Kombination ist für mich ideal: Ich liebe es, über den Tellerrand zu blicken, andere Reiter zu begleiten. In unserer Szene soll oft alles extrem schnell gehen, und nicht selten leidet die Ausbildung darunter. Trotzdem haben diese Reiter Erfolg. Gleichzeitig erlebe ich Pferd-Reiter-Paare, die sich großartig entwickeln, mit Herz und Hingabe – das begeistert mich. Ich glaube, es wird immer deutlicher, wie groß unsere Verantwortung ist. Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Fairen, pferdegerechten Sport zeigen – ob auf dem kleinen Dorfturnier oder auf internationalem Parkett.
Kathleen Kröncke, 35, internationale Dressurreiterin
Kathleen Kröncke verbindet das Aufwachsen mit Pferden und tiefes Vertrauen ins Tier – ihr Weg führt vom Familienstall bis auf internationale Dressurplätze. (© Lukas Kowalski)
Dieses Durchhaltevermögen und der Glaube an das Pferd – das habe ich von beiden Elternteilen.
Mein Vater war der Erste in seiner Familie, der mit dem Reiten begann. Schon als Jugendlicher nutzte er jede Gelegenheit, um zu den Ponys zu kommen, etwa auf den Märkten, die es damals noch gab. Richtig zu reiten begann er mit 16, durch einen Schulfreund. Meine Mutter hingegen wuchs mit Pferden auf – ihr Vater, Fred Niemann, war ein bekannter Trabrennfahrer. Bei ihnen standen die Pferde direkt am Haus.
Respekt – Pferde sind von uns abhängig
„Begegne den Pferden mit großem Respekt – sie sind von uns abhängig. Geh so mit ihnen um, wie du dir wünschst, dass jemand mit dir umgeht.“ Dieser Satz meiner Eltern ist tief in mir verankert. Vielleicht sogar zu tief – ich bin extrem genau, wenn es um das Wohl meiner Pferde geht. Der Stall musste immer perfekt sein, jedes Detail stimmig. Ich könnte stundenlang den letzten Strohhalm zurechtrücken – einfach, weil ich es so gelernt habe.
Natürlich musste ich auch eigene Erfahrungen machen. Ich wollte am liebsten jedes Pferd behalten. Die Trennung fiel mir schwer – auch wenn wir immer liebevolle Plätze für sie gefunden haben, wenn sie nicht mehr im Sport gingen. Ich musste lernen: Ein Pferd kann es auch bei jemand anderem gut haben. Ich liebe den Sport – aber noch mehr liebe ich die Pferde. Verkäuferin wäre ich nie geworden, Bereiterin in einem klassischen Verkaufsstall wohl auch nicht. Ich brauche die Beziehung – zum Pferd und zum Menschen. Dieses Gefühl, ein Pferd wirklich zu kennen, es anschauen zu können und zu wissen: So kann ich dir helfen – das ist mein Ziel.
Profitabel und sich selbst treu bleiben
Von meinem Vater habe ich gelernt: Gib nicht auf, nur weil etwas nicht sofort funktioniert. Er sagte immer: „Egal, welches Pferd zu uns kommt – irgendetwas bekommen wir immer hin.“ Klar, manchmal gibt es physische Grenzen. Aber im Grunde haben wir aus fast jedem Pferd etwas gemacht. Und viele meiner Grand-Prix-Pferde waren solche, die sonst niemand mehr reiten wollte. Dieses Durchhaltevermögen und der Glaube an das Pferd, das habe ich von beiden Elternteilen. Meine Mutter hat ein unglaubliches Gespür, sie kann in Pferde hineinhorchen. Wir drei – meine Eltern und ich – ergänzen uns gut. Ich selbst bin sehr aufmerksam, frage viel, beobachte ständig. Wenn ich merke, etwas stimmt nicht, gehe ich der Sache nach. Ich will verstehen, um dem Pferd helfen zu können.
Als junge Reiterin wollte ich einfach nur reiten – von morgens bis abends. Doch wenn man damit seinen Lebensunterhalt verdienen muss, muss einem klar werden: Wie kann ich meine Werte leben und dennoch wirtschaftlich arbeiten? Diesen Balanceakt musste ich lernen – mir treu zu bleiben, aber auch profitabel zu sein. Mit dem Umzug nach England hat sich vieles verändert. Ich habe jetzt zwei kleine Töchter, arbeite aktuell nur mit eigenen Pferden, alles in kleinerem Rahmen. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt?
Tiefe Liebe zum Tier: Aufwachsen mit Pferden
Natürlich gibt es im Leistungssport Momente, in denen man sich fragt: Warum tue ich mir das eigentlich an? Doch diese Gedanken halten meist nur kurz. Die Motivation überwiegt. Ich habe nie ernsthaft daran gedacht, etwas ohne Pferde zu machen. Ohne sie wäre ich zutiefst unglücklich. Es klingt vielleicht kitschig, aber es ist diese tiefe Liebe zum Tier, die mich antreibt. Nicht zum Sport – zum Pferd. Es macht mir einfach Freude, mit ihnen gemeinsam Wege zu gehen. Diese Wege führen oft nicht geradeaus, sondern haben viele Grautöne. Manchmal sieht man es nicht auf den ersten Blick, aber Pferde erzählen uns so viel – wenn wir genau hinschauen. Sie geben so viel zurück. Das ist einfach unfassbar.