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„Das Pferd sagt mir schon, wann es den nächsten Schritt mit mir gehen kann“


Bild vergrößern Gianna Regenbrecht und Nicolai bei den Deutschen Meisterschaften in Balve.

Gianna Regenbrecht und Nicolai bei den Deutschen Meisterschaften in Balve. (© Stefan Lafrentz)

Nach der Verletzung ihres Pferdes schien der Traum von den Deutschen Meisterschaften für Gianna Regenbrecht vorbei. Doch mit dem 20-jährigen Nicolai ergab sich plötzlich eine neue Chance. Viel Zeit, zusammenzufinden, hatten sie nicht – und schafften es doch. Wie? Darüber spricht die Para-Reiterin im Interview.

Para-Dressurreiterin Gianna Regenbrecht hatte die Deutschen Meisterschaften in Balve bereits abgeschrieben. Ihr Pferd Tommi hatte sich kurz nach einem erfolgreichen Turnierwochenende in Hagen verletzt – somit war Balve abgehakt. Ihre Freundin Anna Stahnke aber bot ihr an, ihr Pferd Nicolai zu reiten, um im Training zu bleiben. Vor genau drei Wochen. Das Duo „Gianna und Nico“ funktionierte so gut, dass Balve prompt wieder ein Thema wurde.

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Gianna, wie ist das für dich, in so kurzer Zeit dich auf ein neues Pferd einstellen zu müssen?
Zum einen ist es aufregend, aber zum anderen auch sehr schön. Weil ich wieder einmal merke, wie toll die Pferde sich auf uns einstellen.

Du sprichst von dir und deinen Kolleginnen aus dem Para-Reitsport. Woran merkst du, dass die Pferde sich so auf den neuen Menschen einstellen?
Ich glaube, Pferde, die mit ganz viel Geduld und Liebe ausgebildet wurden, arbeiten gerne mit uns Menschen zusammen. Jetzt komme ich mit einer anderen Art zu reiten in das Leben eines Pferdes, das schon 20 Jahre alt ist. Und er gibt sich so viel Mühe, mich zu verstehen, und macht das direkt so toll, dass ich glaube, er hat auch Spaß daran. Denn ich kann es ja nicht erzwingen.

Wie kam es dazu, dass du in Balve mit Nicolai startest?
Mein Pferd Tommi hat sich leider verletzt. Ich war megatraurig, weil wir gerade wirklich gut unterwegs waren. Anna hat mir angeboten, Nico zu reiten. Für meinen Körper ist es superwichtig, am Reiten zu bleiben, sonst bekomme ich Rückenschmerzen, und mein Handicap beeinträchtigt mich im Alltag mehr. Eigentlich ging es also nur darum, dass ich am Reiten bleibe – an Balve hatte ich zu dem Zeitpunkt gar nicht gedacht. Weil es aber so schnell so gut funktioniert hat zwischen Nico und mir, habe ich mit unserer Bundestrainerin Silke (Fütterer-Sommer) gesprochen und ihr gezeigt, wie das gerade bei uns aussieht. Sie war begeistert, und ich durfte meinen Startplatz, den ich eigentlich mit Tommi hatte, behalten.

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Wie war es, als du das erste Mal auf Nico gesessen hast?
Ich bin aber auch sehr entspannt an die Sache rangegangen. Ich hatte keine Erwartungen. Beim ersten Mal ist Nico auch gar nicht richtig angetrabt, als wäre er sich nicht sicher gewesen, was ich von ihm wollte. Ich kann mit meinen Beinen nicht viel ausrichten – das kannte er nicht. Als ich das zweite Mal drauf saß, verstand er mich schon viel besser. Das Antraben klappte jetzt, als hätte er alles schon besser verknüpft. So kamen wir nach wenigen Malen schon ins richtige Trainieren. Dass wir jetzt drei Wochen später hier in Balve am Start sind, damit habe ich gar nicht gerechnet.

Wie versuchst du mit den reiterlichen Hilfen, die dir zur Verfügung stehen, dem Pferd Sicherheit zu geben, damit er sich gut fühlt?
Also am Anfang nehme ich mir in diesem Fall Anna, die Besitzerin von Nico, dazu. Sie hat ihn bekommen, da war sie 13 Jahre alt, sie hat ihn über die komplette Ausbildung hinweg als Reiterin begleitet – von der ersten E-Dressur bis zur Klasse S. Sie ist seine Bezugsperson. Anna hat ihn warmgeritten, damit er locker ist. Dann erst habe ich mich draufgesetzt. Anna hat mich an die Longe genommen, vom Boden aus unterstützt und Sicherheit gegeben. So haben wir uns peu à peu kennengelernt. Immer wenn wir das Gefühl hatten, Nico hat etwas verstanden, konnten wir einen Schritt weitergehen. Ich glaube, wenn man am Anfang mit viel Geduld und Ruhe an die Sache rangeht, geht’s nach hinten heraus viel schneller. Diese wichtigen Schritte am Anfang haben viel mit Vertrauen zu tun. Da bin ich immer vorsichtig und lieber ein bisschen zu langsam. Ich versuche, genau aufs Pferd zu achten. Das Pferd sagt mir schon, wann es den nächsten Step mit mir gehen kann.

Aber es ist nicht nur das Reiten. Worauf achtest du noch, um Nico so gut wie möglich kennenzulernen?
Ich versuche, viel Zeit mit ihm zu verbringen, mich eng mit Anna auszutauschen. Jedes Pferd hat seine Eigenheiten. Ich möchte ihn nicht in eine Situation bringen, die er nicht mag. Das kann Anna nun mal am besten einschätzen. Wenn er mit mir das Gefühl hat: „Hey, mit der im Rollstuhl habe ich eine gute Zeit“, dann, glaube ich, öffnet sich ein Pferd automatisch gegenüber dem Reiter.

Was für ein Typ ist Nico?
Nico ist ein in sich ruhendes, abgeklärtes Pferd. Der weiß auf jeden Fall, wie das Leben funktioniert. Er hat solch eine innere Gelassenheit, die mich beeindruckt hat. Er guckt sich alles an, ohne dabei hektisch zu werden. Das ist etwas – wenn man mal einen Schritt weiterdenkt in die Pferdezucht – wo alles richtig gemacht wurde.

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Du bist im Nachwuchskader der Para-Dressurreiter, hast ganz sicher auch sportlichen Ehrgeiz. Diese Herangehensweise, das eigene Ego und die Leistungslust deutlich zurückzunehmen, sich auf die Komfortzone eines Pferdes einzulassen und diese Stück für Stück zu erweitern – ist das ein Punkt, der in der Reiterei allgemein schon gut genug umgesetzt wird?
Ich glaube, dass das viele schon machen. Ich glaube, unheimlich viele Reiterinnen und Reiter gehen heutzutage so bewusst ans Pferd heran, nehmen sich die Zeit und machen sich vor allem viele Gedanken um die Ausbildung ihrer Pferde. Da hat sich in den letzten Jahren schon einiges getan, und wir sind auf einem guten Weg. Aber es geht ja immer noch mehr – und das brauchen wir nicht in Frage zu stellen. Gleichzeitig freue ich mich aber, dass ich dahingehend ein Positivbeispiel sein darf. Dass ich zeigen kann, dass ein Dressurpferd, das im Sport bis zur schweren Klasse erfolgreich war, auch mit 20 so locker und mit gespitzten Öhrchen durch so ein Viereck trabt – und gerne mit den Menschen zusammenarbeitet. Ich hoffe, dass dieser Spirit rüberkommt – auch außerhalb der „Pferde-Bubble“.

Mit welchen Erwartungen bist du nach Balve gefahren?
Ich bin völlig ohne Erwartungen nach Balve gekommen. Für mich ist es schön, hier dabei zu sein, weil es ein unglaubliches Turnier ist und die Parareiter mittendrin sind. Das macht Spaß und ist ein tolles Zeichen, dass der Parasport dazugehört und als so normal angenommen wird.

Am Ende wurde es Platz vier in der Gesamtwertung…
Dass wir es in die Siegerehrung geschafft haben, war das Sahnehäubchen.

Wie blickst du jetzt weiter auf die Saison?
Wenn ich ehrlich bin, weiß ich das auch noch nicht so genau. (lacht) Zu Hause freut sich Tommi auf mich, ich verbringe viele Stunden bei ihm, damit er sich wohlfühlt. Ich glaube daran, dass er so schneller wieder gesund wird. Ich kann Nico weiterreiten, aber mir ist auch bewusst, dass man bei einem 20-jährigen Pferd mit den Kräften haushalten muss und einfach schauen muss, wie er sich gibt. Er wird uns schon zeigen, wie viel Lust er hat. Dann gucken wir mal, wie die zweite Sommerhälfte verläuft.

Vielen Dank für das Gespräch, Gianna.


Sie ist mit Pferden groß geworden und verbrachte jede freie Minute im Stall, im Sattel oder auf der Weide. Während ihres Studiums entdeckte sie ihre zweite Leidenschaft: den Journalismus – in Praktika und unzähligen Stunden als „rasende Reporterin“ auf Sportplätzen bei Wind und Wetter. 20 Jahre lang begleitete sie journalistisch die Fachzeitschrift Reiter Revue International – erst als Volontärin, dann als Redakteurin, und zuletzt als Redaktionsleiterin print. Zwischendurch machte sie für drei Jahre selbstständig, um an ihren Studienort Münster zurückzukehren (das private Glück konnte nur dort warten) und sich beruflich breiter aufzustellen. Später schrieb sie ein Kindersachbuch – natürlich über Pferde – und engagiert sich seit Gründung der Bewegung #doitride, deren Talks sie bis heute regelmäßig moderiert. Als Chefredakteurin von Hooforia möchte sie den Pferdesport mit konstruktivem Journalismus begleiten: kritisch hinsehen, Lösungen beleuchten, Kontext liefern – und den Dialog fördern.

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