Linda Tellington-Jones ist eine Pionierin. Ihre Methode basiert auf Respekt, Verständnis und sanfter Kommunikation. Im Interview spricht sie über ihre prägenden Aha-Momente, die Kraft der Intuition, die Bedeutung von Geduld und warum jeder – wirklich jeder – ihre Methode anwenden kann.
Linda Tellington-Jones ist eine international anerkannte Pferdeexpertin, Autorin und Entwicklerin der Tellington-TTouch®-Methode, einer sanften Körper- und Bodenarbeit zur Förderung von Vertrauen, Kooperation und Wohlbefinden bei Pferden. Ihre Methode basiert auf der Erkenntnis, dass sanfte Berührungen und bewusste Bewegungen nicht nur das Verhalten, sondern auch die körperliche und emotionale Balance der Pferde positiv beeinflussen.
Wie sie im Gespräch auftritt, ist genauso besonders wie ihre Methode: Zu spät. Die Technik hat gestreikt. Dann doch, die Verbindung nach Hawaii steht. Der Bildschirm flackert auf, zu sehen Regale voll mit Büchern, ein blumiger freundlicher Ort. Wärme strahlt bis ins winterliche Deutschland. Nur eine fehlt. Linda Tellington-Jones.
Sie hat offensichtlich aufgegeben nach der Warterei auf die Journalistin. Oder macht sich eine Tasse Tee. Nach wenigen Minuten tritt sie an den Bildschirm. „Oh, hello Karolin! How are you?“ Es ist der Beginn eines herzerwärmenden Gesprächs.
Die Tellington-TTouch®-Methode
Linda, was war der Schlüsselmoment in deinem Leben, der dich dazu gebracht hat, eine völlig neue Methode im Umgang mit Pferden zu entwickeln?
Linda Tellington-Jones: Oh, es gab tatsächlich drei Schlüsselmomente. Der erste war, als ich ein junges Kind war. Ich bin in Kanada aufgewachsen und musste die ersten sechs Schuljahre jeden Tag zur Schule reiten – es war großartig. Das Lustige daran ist, dass ich vorher noch nie geritten war. Als ich mit sechs Jahren eingeschult wurde, war der Weg zur Schule jedoch sehr weit. Also ging mein Vater zu einem Reitstall und sagte, er brauche ein Pferd für mich.
Ihren ersten Auftritt hatte Linda Tellington-Jones bei der EQUITANA vor exakt 50 Jahren. (© Gabriele Boiselle)
Das klingt bereits nach einer kuriosen Geschichte.
Das war es auch. Ich bekam eine schöne Stute namens Trixi. Sie setzten mich auf sie, und ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Sie lief einfach direkt wieder zurück zu ihrem Stall. Wir nahmen sie mit nach Hause, und von da an ritt ich jeden Tag zur Schule.
Mit neun Jahren habe ich mir Reitstunden durch Stallarbeit verdient. Die Reitlehrerin dort ritt junge Pferde noch auf dem „traditionellen“ Weg ein, indem sie sie im Round Pen ausbuckeln ließ. Eines Tages sah ich auf dem Heimweg einen alten Mann mit einem Buch – er hatte das mit dem Ausbuckeln mitbekommen – und er meinte, ich solle dieses Buch haben.
Linda Tellington-Jones: Pferde anreiten
Es handelte davon, wie man junge Pferde ohne Buckeln einreitet. Es war von einem Kavalleristen geschrieben worden. Als meine Eltern eine junge Vollblutstute kauften, arbeitete ich alle Schritte aus dem Buch mit ihr durch – ich ließ mir Zeit, und nach einem Monat konnte ich sie im Schritt und Trab im Gelände reiten. Von da an habe ich noch viele, viele Pferde angeritten – ohne Buckeln.
Der zweite Aha-Moment war, als ich Moshé Feldenkrais kennenlernte. Er sagte, dass eine Person durch eine positive Erfahrung mehr Gehirnzellen aktivieren und mehr Kapazität zum Lernen haben kann. Ich begann, seine Arbeit auf Pferde anzuwenden. Ich hatte eine 16-jährige Stute, die nicht einzufangen war.
Sanfte Berührungen, ein Lächeln, tiefe Dankbarkeit. Lindas Rezept für eine Partnerschaft mit dem Pferd. (© Gabriele Boiselle)
Damals hatten wir bereits ein Buch geschrieben, das auf den Massagetechniken meines Großvaters basierte – aber wir hatten es nicht mit der Idee geschrieben, wie ein Pferd lernt, Probleme zu überwinden. Also behandelte ich diese Stute und überlegte: Wie kann ich diesem Pferd ein neues Bewusstsein geben, sodass es wieder offener für das Lernen wird? Ich arbeitete vielleicht 20 Minuten mit ihr. Danach kam sie das erste Mal von sich aus zum Koppeltor. Ich fand es faszinierend, wie sich das Verhalten eines Pferdes verändern kann, indem man ihm einfach Aufmerksamkeit schenkt.
Jeder unserer Gedanken ist Energie
Aber was wirklich interessant ist: Jeder Gedanke, den wir haben, jede Absicht, ist Energie. Es macht einen großen Unterschied, wie wir auf unsere Pferde wirken und wie wir sie bewegen. Von da an sah ich Pferde anders – und begann, die Feldenkrais-Methode an ihnen anzuwenden.
1983 hatte ich mein drittes großes Aha-Erlebnis. Ich gab einen Workshop in einer Tierklinik. Ein Pferd schnappte immer nach Menschen, wenn es gesattelt oder geputzt wurde. Ich legte meine Hände auf diese Stute, und ihre Besitzerin fragte erstaunt: „Warte mal, warum schnappt sie nicht nach dir? Warum schlägt sie nicht mit dem Schweif und wendet sich nicht ab?“ Ich sagte: „Vergiss, was ich tue – lege einfach nur deine Hand auf die Schulter und bewege sie im Kreis. Jeder kann das.“
Welche Rolle spielt Intuition in deiner Arbeit?
Wenn ein Pferd widersetzlich ist, überprüfe, ob es ihm körperlich gut geht, stelle sicher, dass es keine Schmerzen hat und zeige ihm, was du willst – anstatt es für das zu bestrafen, was du nicht willst.
– Linda Tellington-Jones –
Intuition basiert auf Erfahrung. Das Schöne an unserer Arbeit ist, dass wir einen sehr logischen Weg haben, sie zu erlernen. Das Wichtigste ist die Einstellung, die Haltung zum Pferd. Wenn Pferde dominant, stur oder widersetzlich wirken, liegt das in der Regel an Schmerzen oder daran, dass sie einfach nicht verstehen, was wir ihnen sagen. Sie lassen uns nicht absichtlich dumm dastehen.
Wenn also ein Pferd widersetzlich ist, überprüfe, ob es ihm körperlich gut geht, stelle sicher, dass es keine Schmerzen hat, und zeige ihm, was du willst – anstatt es für das zu bestrafen, was du nicht willst. Das ist nur ein anderer Ansatz der Betrachtung. Das berührt die Menschen. Denn es gibt viele, die ihr Pferd gar nicht dominieren wollen. Sie möchten mit ihrem Pferd eine Partnerschaft aufbauen, die auf gegenseitigem Respekt basiert.
Reiten ohne Zaumzeug: Linda Tellington-Jones
Schenken wir den Pferden und dem Pferdewohl genügend Beachtung?
Es gibt einige Menschen, die genau das tun, und es gibt auf YouTube beispielsweise tolle Beispiele: Tierärzte, die ihr Wissen teilen und erklären, woran man Schmerzanzeichen beim Pferd erkennt. Das ist neu und eine großartige Möglichkeit, mehr über Pferde zu lernen. Ich hoffe, dass sich das Bewusstsein dafür weiter verändert.
Wie erklärst du jemandem, der noch nie vom TTouch gehört hat, warum diese Methode so wirkungsvoll ist?
Jeder kann sie anwenden. Dazu gibt es auch eine Anekdote. 1975 gab ich eine Präsentation auf der Equitana: Ich ritt ohne Zaumzeug. Ein Pferdesportmagazin schrieb damals, das sei das Gefährlichste, was die Pferdewelt je gesehen habe, und dabei würden noch viele Menschen ums Leben kommen. Zwei Jahre später, während der nächsten Equitana, veröffentlichten dieses Magazin einen wirklich schönen Artikel darüber, wie man ohne Zaumzeug reitet.
Daraufhin schrieb mir eine Leserin. Sie ritt in einer Reitschule, und ihr Pferd musste immer ausgebunden werden, weil es sie sonst biss und buckelte. Ich sagte ihr: „Wenn du in die Reitstunde gehst, nutze die Minute der Vorbereitung und berühre die Stirn deines Pferdes. Sag ihm, dass du es schätzt, dass du es wirklich magst.“ Sie antwortete mir später, dass sie es kaum glauben könne – das Pferd habe nicht mehr mit dem Schweif geschlagen, nicht mehr geschnappt und sei viel entspannter gewesen. Sie hatte wirklich nicht viel Zeit, vielleicht eine oder zwei Minuten – es dauert nicht lange.
Grenzen mit Freundlichkeit und Geduld
Hat es damit zu tun, dass die beschriebene Frau durch dieses Ritual entspannter war, weil sie das Pferd berührt hat? Wenn ich mir die Zeit nehme, das Pferd auf diese Art und Weise zu berühren, macht das etwas mit dem Pferd, aber auch mit dem Menschen selbst.
Total. Jeder Gedanke, selbst wenn wir nur „Hallo“ zum Pferd sagen, ist Energie, und es passiert etwas. Es ist so interessant. Es gibt nur zwei Gefühle: Liebe und Angst. Wenn du dein Pferd an der Stirn berührst und an Liebe oder zumindest an Wertschätzung denkst – ich nenne es Respekt. Respekt heißt, zu sehen. Wenn du dein Pferd siehst, ist das eine andere Welt – es passiert etwas. Und noch etwas ist wichtig: zu vergeben.
Wir können das Pferd nicht einfach machen lassen, was es will. Wenn es keine Grenzen hat, ist es nicht sicher. Wenn du die Grenzen mit Freundlichkeit und Geduld gestaltest. Viele Menschen versuchen es noch härter, wenn das Pferd nicht macht, was es soll. Wir sagen: „Warte mal, was können wir tun, damit das Pferd mich besser versteht?“ Und wenn es noch immer nicht versteht, dann überprüfe, ob etwas mit ihm nicht stimmt.
Du betonst, dass Pferde uns viel über uns selbst lehren können. Was war die wichtigste Lektion, die du von Pferden gelernt hast?
Geduld. Das ist das große Ding. Das habe ich schon von meinem Großvater gelernt. Er hat immer gesagt: „Wenn du deine Hand auf ein Pferd legst, lass dein Pferd wissen, dass du es magst.“ Und wenn du frustriert bist und die Fassung verlierst, steige ab, bringe dein Pferd weg und setze dich unter einen Baum, um dich zu beruhigen. Heute haben wir mit der Tellington-Methode aber noch so viel mehr Möglichkeiten. Wir bestrafen das Pferd einfach nicht, sondern zeigen ihm, was es alles kann.
Dem Pferd die Welt der eigenen Möglichkeiten zu eröffnen, das ist Teil der Arbeit von Linda Tellington-Jones. (© Gabriele Boiselle)
Linda Tellington-Jones über glückliche Pferde
Wie kann ein Pferdebesitzer erkennen, ob sein Pferd wirklich glücklich ist?
Eine gute Frage. Die Partnerschaft beginnt mit dem Umgang, mit der Pflege des Pferdes. Wenn das Pferd nicht stillsteht, mit dem Schweif schlägt oder mit dem Kopf schlägt, hat das einen Grund. In den 80er Jahren besuchte ich einmal eine Dressurreiterin, die auch an den Olympischen Spielen teilnahm: Sie holte ihren Hengst heraus und stellte ihn einfach mit Halfter in die Stallgasse, ohne ihn anzubinden. Dann ging sie los, um ihren Sattel zu holen – und er blieb völlig entspannt stehen.
Was ist ein glückliches Pferd?
Das kann man sehen – im Ausdruck der Augen, der Ohren, des Mauls, des Schweifs. Dr. Sue Dyson hat dazu eine hervorragende und wichtige Arbeit geleistet.
Aber es gibt noch viel zu tun, oder?
Ja, es ist noch viel zu tun.
Zur inneren Ruhe finden
Ist der Pferdesport mit seinen Menschen bereit dafür?
Ich glaube, es ist schwer. Denn es ist so viel Geld im Spiel. Das ist ein Problem. Aber ich urteile nicht darüber. Denn wenn ich es beurteilen würde, bliebe ich nicht offen für mögliche Veränderungen. Ich weiß, dass jeder sein Bestes gibt.
Welche Rolle spielt die eigene innere Haltung, wenn man mit einem Pferd arbeitet?
Eine große Rolle. Wenn wir aufgeregt sind, den Atem anhalten oder Angst haben, spüren die Pferde das. Ein Teil unserer Arbeit besteht darin, dem Reiter zu zeigen, wie er zu innerer Ruhe findet. Wenn ich nur die Hand auf die Brust lege und mir ein Ziffernblatt vorstelle, verschiebe ich die Haut ganz leicht mit den Fingerkuppen.
Ich stelle mir ein Ziffernblatt einer Uhr vor und beginne bei 6 Uhr. Ich schiebe einen ganzen Kreis von 6 Uhr bis 6 Uhr und dann noch weiter bis 9 Uhr. Dann mache ich an einer anderen Stelle den nächsten Eineinviertel-Kreis. Das aktiviert das Oxytocin, dazu haben wir eine wissenschaftliche Arbeit gemacht. Wenn wir das mit einem Lächeln und mit Dankbarkeit kombinieren, aktiviert das Serotonin – das Wohlfühl-Hormon.
Linda Tellington-Jones: Pferde sehen
Helfen solche Übungen und Rituale, sich auf die Kommunikation mit Pferden einzustimmen?
Absolut. Wir müssen Ruhe in uns finden. Kommunikation ist für mich diese Verbindung. Wenn ich mir vorstelle, dass ich das Pferd als ein Licht sehe, als ein „Wow“, dass ich das Gute im Pferd sehe, ohne zu übersehen, welche Probleme es hat, verändert das alles.
Die Bewegung #doitride möchte das Bewusstsein für das Pferdewohl schärfen. Wie hat sich aus deiner Sicht der Umgang mit Pferden in den letzten Jahrzehnten verändert, und wo siehst du noch Verbesserungsbedarf?
Es gibt noch viel Platz für Verbesserungen und so viele Ideen. Aber was mir wichtig ist: Ich konzentriere mich auf solche Bewegungen. Mir ist wichtig, andere nicht zu tadeln oder zu beschuldigen. Sie geben ihr Bestes. Ich möchte mich auf das fokussieren, was gut ist.
Hello sunshine! Linda Tellington-Jones, so wie sie die Pferdewelt erobert hat. Mit offenen Armen. (© Gabriele Boiselle)
Welche Veränderungen würdest du dir in der Reiterwelt und Pferdehaltung wünschen, um das Wohl der Tiere weiter zu fördern?
Es ist die Idee, wenn ein Pferd widersetzlich ist, zu sagen: „Warte mal, wie kann ich dem Pferd helfen?“ Jeder Gedanke, jedes Gefühl ist Energie. Ich kann nur meine eigene Meinung und meinen Körper beeinflussen – der andere ist nicht mein Bier. Für mich ist wichtig, dass jeder sein Bestes gibt. Ich bewahre mir diesen Gedanken der endlosen Möglichkeiten.
Darum geht es mir in meiner Arbeit: das Pferd zu sehen und einen logischen Weg zu finden, ihm Grenzen zu setzen. Anstatt auf härter, lauter, schneller zu setzen. Wenn das Pferd dich nicht versteht, kratze dich am Kopf und denke nach.