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Kognitive Dissonanz im Reitsport: Wenn Reiter sich selbst belügen


Bild vergrößern Kognitive Dissonanz im Reitsport

Pferde spiegeln ungeschönt das Gegenüber. Entsprechend reagieren sie. Vertrauensvoll oder ängstlich. (© Slawik)

Kaum ein psychologisches Phänomen ist so unangenehm und konfliktreich wie die kognitive Dissonanz. Weil wir uns selbst belügen und betrügen. Besonders im Reitstall tritt sie häufig zutage – mit Folgen für die Beziehung zwischen Mensch und Pferd. Was dahintersteckt.

Wir Menschen stecken voller Widersprüche und scheinen es selbst kaum zu bemerken. Dafür besitzen wir eine andere Kompetenz: Wir reden uns Unstimmigkeiten und Missverhältnisse schön. Doch das Gefühl innerer Spannung und Widerspruchs bleibt. Störgefühle breiten sich aus. Statt sich die erlebten Widersprüche bewusst zu machen, versuchen wir, sie zu rechtfertigen oder „logisch“ zu erklären. Nicht selten ist der Wunsch, diesen Konflikt unmittelbar zu beheben, so dringlich, dass wir Menschen bereit sind, uns selbst zu belügen, Ansichten spontan zu ändern oder Realitäten zu ignorieren – ein klassisches Beispiel für kognitive Dissonanz im Reitsport.

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So mancher Zeitgenosse tut fast alles, um sich eine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild oder Wahrnehmung und Wirklichkeit nicht eingestehen zu müssen. Das eigene Verhalten muss sozusagen mit aller Macht verteidigt und gerechtfertigt werden, damit man am Ende recht behalten kann – auch vor sich selbst. Im „Sozialgefüge“ Reitstall tritt dieses Phänomen der kognitiven Dissonanz besonders häufig auf.

Meister mentaler Widersprüche

Besonders häufig entsteht kognitive Dissonanz nach Entscheidungen, hinter denen viele attraktive Alternativen standen. Wer beispielsweise ein neues Pferd kauft, könnte bald an seiner Entscheidung zweifeln: Entspricht das Pferd wirklich den Erwartungen? Werden erste Defizite im Training sichtbar, rührt die Dissonanz oft weniger vom Pferd selbst als vom eigenen Selbstbild. Doch statt die eigene Entscheidungsfähigkeit kritisch zu hinterfragen, wird der Konflikt vielfach nach außen verlagert: Das Pferd, der Trainer oder die äußeren Umstände werden verantwortlich gemacht. Wunsch und Wirklichkeit klaffen auseinander – und die innere Spannung verlangt nach einer Auflösung, koste es, was es wolle.

Oft ist es einfacher, das Scheitern einem vermeintlich unzureichenden Pferd, unfähigen Trainer oder ungerechten Welt zuzuschreiben, als sich selbst zu hinterfragen. Glaubenssätze wie „Mit einem besseren Pferd wäre ich erfolgreicher“, „Niemand erkennt mein wahres Potenzial“ oder „Mein Pferd ist nicht kooperativ genug“ verschieben die Verantwortung nach außen und schonen das eigene Selbstwertgefühl. Die eigentliche Ursache bleibt unangetastet.

Eindecken: Kognitive Dissonanz im Reitsport

Kognitive Dissonanz im Reitsport

Das Phänomen „Kognitive Dissonanz“ im Reitstall (© Adobe Stock)

Dieses Muster lässt sich auch an scheinbar banalen Beispielen beobachten. Etwa beim Thema Eindecken von Pferden im Winter:
Viele Reiter übertragen ihr eigenes Temperaturempfinden auf ihr Pferd. Sie frieren bei 15 Grad und schließen daraus, dass auch ihr Tier eine dicke Decke benötigt. Fachliche Informationen, die belegen, dass Pferde eine thermoneutrale Zone zwischen fünf und 25 Grad Celsius haben und sich durch Fellwechsel hervorragend anpassen, werden oft ignoriert.

Stattdessen bleibt es beim bisherigen Verhalten – auch auf die Gefahr hin, dem Tier eher zu schaden als zu nützen. Hier prallen Glaubenssätze und Fakten aufeinander – und das unangenehme Gefühl, sich möglicherweise geirrt zu haben, wird lieber verdrängt als akzeptiert.

Was nicht passt, wird passend gemacht

Zwar wird die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit meist sehr wohl wahrgenommen, allerdings nicht aufgelöst. Vielmehr neigen Menschen oft dazu, erst schmerzhafte Wege zu gehen, um ihr Selbst (scheinbar) zu erhalten. Dabei sind der Kreativität kaum Grenzen gesetzt: Daten, Fakten und selbst überprüfbare Realitäten, die nicht zu den eigenen Ansichten passen, werden geleugnet oder wahlweise auch negiert. Widerspruch oder ein Diskurs werden nicht geduldet und bereits im Keim erstickt (= selektive Wahrnehmung/Leugnen).

Pferde spiegeln ungeschönt, wo Wunsch und Wirklichkeit beim Menschen auseinanderfallen.
– Susanne Kreuer

Gelegentlich geht es noch weiter: Gefangen in der eigenen Filterblase werden rigoros nur die Informationen hereingelassen, die die eigenen Ansichten bestätigen. Auf diese Weise können widersprüchliche Mitteilungen einen erst gar nicht quälen. Das gelingt zwar nur mit mäßigem Erfolg, erfreut sich aber trotzdem großer Beliebtheit (= selektive Beschaffung).

Schuldzuweisungen: Kognitive Dissonanz im Reitsport

Zwei Pferde

Klare Sache. Uneinigkeit gibt es auch bei Pferden, aber keine unklare Kommunikation. (© Slawik)

Noch populärer (und deutlich zerstörerischer) ist das Spiel mit der Schuld. Bei dem Versuch, seine eigens produzierten unangenehmen Emotionen abzustreifen, wird mit dem Finger auf andere gezeigt (= Schuldzuweisung). Tragen die anderen die Verantwortung, ist man selbst schuldlos und „reingewaschen“. Die vorausgegangenen Handlungen und Entscheidungen waren in der Tat „unfreiwillig“, ja regelrecht „erzwungen“. Bei genauerer Betrachtung – und zu dieser ist man nur selbst in der Gänze fähig – hatte man nie eine wirkliche Wahl…

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Um die genannten Strategien zu untermauern, kann es von „Vorteil“ sein, fadenscheinige Rechtfertigungen zu verbreiten. Je nach Persönlichkeitstyp auch lautstark und gebetsmühlenartig. Frei nach dem Motto: Was man oft wiederholt, wird irgendwann vom Kollektiv geglaubt!

Ausreden und Rechtfertigungen

Temporär scheint das zu gelingen und fühlt sich auch kurzfristig erleichternd an, währt aber nicht sehr lange, denn kognitive Dissonanz stellt sich trotzdem mit all ihren fiesen Begleiterscheinungen ein. Dazu gehört mitunter die unfreiwillige Selbstsabotage. Um widersprüchliche Kognitionen zu verhindern, werden präventiv Ausreden und Rechtfertigungen zurechtgelegt, wie „Der Richter mag mich nicht…“, „Mein Pferd wird sicher wieder zicken…“, „Ich konnte mich gar nicht richtig vorbereiten…“

Die auf diese Weise erschaffene selbsterfüllende Prophezeiung sorgt dafür, dass man sich das eigene Scheitern später nicht eingestehen muss. Das kann so weit gehen, dass durch einen hohen Stresspegel im Vorfeld körperliche Symptome entstehen, zum Beispiel Übelkeit, Kopfschmerzen oder starke Anspannung, die wiederum im Nachgang als Krankheitsausrede dienen. Die Dissonanz wurde „erfolgreich“ abgewehrt – aber auch jegliche Entwicklungschance eigenständig blockiert.

Eine Dissonanz kommt selten alleine

Pferd stoppt vor Sprung

Wer ist sich unschlüssig? Pferd oder Reiterin? Beides ist möglich. Denn schon ein „Jein“ im Kopf der Reiterin, sorgt für unklare Vorgaben und für Verunsicherung. (© Lafrentz)

Im Reitstall nehmen diese Strategien ein Ausmaß an, das auf den ersten Blick paradox wirkt: Es widerspricht sich, dass gerade das Zusammensein mit Pferden, die aus natürlichen Gründen immer auf der Suche nach innerer und äußerer Balance, Harmonie und Friedfertigkeit sind, nachweislich schwerwiegendere Dissonanzen auslöst. Warum? Pferde symbolisieren und lehren Natürlichkeit, Klarheit, Konsequenz, Aufrichtigkeit und vor allem Kongruenz. Ihre Körpersprache ist deutlich, ehrlich und niemals zweideutig, diskrepant oder gar „unlogisch“.

Was sie wahrnehmen, das spiegeln sie unverblümt. Dabei ist keines ihrer Signale irrelevant oder bedeutungsschwach. Und kein einziges Pferd auf dieser Welt würde die Botschaften eines Artgenossen – mögen diese auch noch so subtil sein – nicht verstehen. Selbst dann nicht, wenn sie sich uneinig sind, wobei Uneinigkeit bei den Tieren weniger auf mangelndes Verstehen als vielmehr auf fehlendes Einverständnis zurückzuführen ist.

Lügen und betrügen: Kognitive Dissonanz im Reitsport

Bei uns Menschen sieht das ganz anders aus: Unsere verbale Sprache hat sich von unserem Ausdrucksverhalten längst verabschiedet. Diese Abspaltung hat zur Folge, dass wir Dinge sagen, die wir nicht meinen, etwas versprechen, das wir nie vorhatten einzuhalten, und Behauptungen aufstellen, für die es keine Grundlage gibt. Kurz: Wir sind imstande zu lügen und zu betrügen. Und wir wissen genau, wenn wir das tun. Unser zentrales Nervensystem lügt nämlich nicht.

Entsprechend ist es kaum möglich, unsere Körpersignale vollends von unseren Gedanken, Motiven und Handlungen abzukoppeln. Die Tiere sind fähig, die inneren Beweggründe ihres Gegenübers bisweilen recht schonungslos zu spiegeln. Ein Pferd, das sich abwendet, Kontakt vermeidet und das Weite sucht, trifft eine Aussage, und zwar eine demonstrative.

Auf unterschiedlichen Kanälen

Reiter führt Pferd

Klare Vorgaben seitens des Menschen, geben dem Pferd Sicherheit, selbst in ungewohnten Situationen. (© Lafrentz)

Tatsächlich senden wir aus unterschiedlichen Kanälen durchgängig Signale, die Pferden unmittelbar Aufschluss über unsere Gemütslage liefern. Die Tiere erfassen intuitiv das Zusammenwirken aus Körperausdruck, akustischen Signalen und emotionaler Einstellung. Selbstverleugnung und Täuschung funktionieren im Zusammensein mit Pferden nicht mehr. Wir können unsere Motive, Zwecke und Dissonanzen anderen Menschen gegenüber mit ein bisschen Übung recht gut verbergen, aber Pferde sind auf Ehrlichkeit und Authentizität angewiesen, weil sie keine Alternative kennen.

Wer kognitive Dissonanz vermeiden will, blockiert auch die Beziehung zum Pferd.
– Susanne Kreuer

Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass Pferde unkonkrete und doppeldeutige Botschaften nicht begreifen können. Passen die Eindrücke verschiedener Informationsquellen nicht zusammen, lösen sie beim Fluchttier Pferd aus instinktiven Gründen Angst, Unwohlsein, Ignoranz, Ablehnung oder Verweigerung aus. Oft neigen Reiter dazu, Aktion und Reaktion miteinander zu verwechseln, und dann hört man nicht selten: „Der spinnt heute wieder“ oder „Der sieht Gespenster!“. Dabei hat das Pferd auf eine Dissonanz reagiert. Was zunächst aussichtslos scheint, ist aber tatsächlich die Lösung.

Kein Wunschkonzert: Kognitive Dissonanz im Reitsport

Für uns bedeutet das: Wer eine echte Verbindung zu seinem Pferd aufbauen möchte, muss an seiner eigenen inneren Klarheit arbeiten. Authentizität statt Perfektion ist der Schlüssel. Es geht nicht darum, fehlerfrei zu sein, sondern ehrlich mit sich selbst. Pferde fordern keine makellosen Menschen, aber sie brauchen Verlässlichkeit, Entscheidungsfreude und Kongruenz.

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Darum verbinden sie sich mit dem, der authentisch, selbstsicher und deutlich auftritt sowie kommuniziert. Wer bereit ist, sich selbst zu reflektieren, Muster zu hinterfragen und neue Wege zu gehen, wird erleben, wie sich das Verhalten seines Pferdes positiv verändert.

Die Entdeckung der kognitiven Dissonanz

Leon Festinger, amerikanischer Sozialpsychologe, prägte 1957 den Begriff der kognitiven Dissonanz. In einer Studie beobachtete er Mitglieder einer Weltuntergangssekte: Obwohl der prophezeite Weltuntergang ausblieb, hielt die Gruppe an ihrem Glauben fest und verstärkte ihn sogar. Festinger zeigte: Menschen ändern lieber ihre Wahrnehmung der Realität, als ihr Selbstbild infrage zu stellen. Seine Theorie gilt bis heute als Meilenstein der Psychologie.

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