Erste Hilfe beim Pferd: Checkliste für Verletzungen & Stallapotheke


Bild vergrößern Verletztes Pferd

Ob Schramme oder Schnittwunde – Erste Hilfe beim Pferd beginnt mit schnellen, richtigen Handgriffen. (© Konstantin Tronin/Adobe Stock)

Verletzungen beim Pferd sind keine Seltenheit. Entscheidend ist zu wissen, welche Erste Hilfe Sie leisten können und wann der Tierarzt übernehmen muss.

Eine Rangelei auf dem Paddock, Bocksprünge auf der Wiese, ein herausstehender Nagel am Weidezaun – kleinere Verletzungen sind im Pferdealltag üblich. Dennoch ist der Moment, in dem der Reiter eine blutende Wunde entdeckt, jedes Mal ein kleiner Schock. Und ein sofortiges Abwägen: Muss ich meinen Tierarzt anrufen? Oder kann ich selbst erste Hilfe beim Pferd leisten?

Die gestiegenen Tierarztkosten verstärken den Wunsch vieler Pferdebesitzer, mehr selbst zu übernehmen – allerdings ohne das Risiko, ernste Verletzungen zu verkennen. Wir geben Ihnen deshalb eine praktische Orientierung: Wann sollten Sie den Tierarzt rufen? Was ist bis dahin zu tun? Und wie versorgen Sie kleine Verletzungen selbst? Schließlich beginnt Erste Hilfe nicht mit dem Griff zur Salbe, sondern mit dem richtigen Blick auf die Wunde.

Wie beurteile ich eine Wunde?

Wer eine Wunde richtig einschätzen kann, der hat bereits die halbe Diagnose. Nach diesen Kriterien lassen sich Verletzungen einteilen:

  1. nach ihrer Tiefe,
  2. ihrem Ort und
  3. ihrem Alter.
Wundversorgung beim Pferd

Das Säubern und das Desinfizieren von Wunden sind das A und O für eine gute Wundheilung. Hier ist jedoch Vorsicht geboten! (© Reimar Gaertner / Adobe Stock)

Die gute Nachricht: Oberflächliche Schürfwunden, kleine Bissstellen oder Hautrisse lassen sich meist selbst versorgen. Anders sieht es aus, wenn die Verletzung in der Nähe eines Gelenkes ist, stark blutet oder eine auffällige Schwellung ins Spiel kommt. Auch übler Geruch oder weißlich gelbe Beläge sprechen für ein größeres Problem. Manche Wunden wirken harmlos, sind aber durch ihre Lage potenziell kritisch. Gelenke, Sehnenscheiden, die Nähe zum Auge oder zur Hufkrone – an diesen Stellen kann schon eine kleine Verletzung Komplikationen nach sich ziehen. Wer sich nicht sicher ist, sollte den Tierarzt konsultieren. Der berühmte Satz „Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig“ gilt hier zu Recht.

Das Alter der Wunde ist entscheidend: Erste Hilfe beim Pferd

Eine Frage, die sich ein Reiter oft stellt: Lässt sich die Wunde noch verschließen? Entscheidend ist der Zeitpunkt. Typisch für frische Wunden sind glatte Ränder, eine aktive Blutung und das Fehlen von Belag. Solche Verletzungen lassen sich primär schließen, zum Beispiel mit einer Naht, Klammern oder chirurgischem Kleber. Sind die Wundränder hingegen eingerollt, das Blut eingetrocknet oder ist bereits neues Gewebe sichtbar, spricht man von einer älteren Verletzung. Hier können Zellen, die zur Heilung benötigt werden, nicht mehr an den Ort des Geschehens gelangen. Wenn man diese Wunde nähen würde, entstünde ein Hohlraum. Deshalb muss sie von innen heraus heilen, dort, wo noch gesundes Gewebe vorhanden ist.

Befinden sich hingegen Beläge auf der Wunde, kann das ein Zeichen für eine Infektion sein. Hier ist es wichtig, dass der Tierarzt die Wunde beurteilt, ob noch zusätzliche Schritte wie Spülungen oder das Entfernen von Gewebe nötig sind. Gut zu wissen: Bereits nach sechs bis acht Stunden gilt eine Verletzung als „alt“. Diese Blessuren müssen „sekundär“ heilen, also von innen nach außen. Der Grund: Es können Keime und Dreck in die Wunde gelangen. Wird die Wunde jetzt genäht, führt das zu Entzündungen, die Heilung stockt.

Grundlagen und Phasen der Wundheilung

Blutende Wunde beim Pferd

Schwierig können Wunden mit Stichkanal sein, da anfangs nicht klar ist, welche tieferliegenden Strukturen verletzt sein können. (© Slawik)

Wundheilung ist kein Zufall, sondern Biologie in Etappen. Jede Wunde durchläuft bestimmte Heilungsphasen. Wer versteht, was in diesen Phasen passiert, trifft automatisch bessere Entscheidungen bei Diagnose und Behandlung.

  • Exsudationsphase: Sie bildet den Beginn der Wundheilung. In dieser Phase spült der Körper Keime und Schmutz mit Wundsekret aus – ein wichtiger Selbstreinigungsprozess, der meist ein bis vier Tage dauert.
  • Granulationsphase: In dieser Phase bildet der Körper neues Gewebe. Typisch ist die „fleischige“ Oberfläche der Wunde – ein deutliches Zeichen dafür, dass die Heilung aktiv voranschreitet.
  • Epithelisierung: In dieser dritten Phase schiebt sich neue Haut über das gebildete Gewebe und verschließt die Wunde Schritt für Schritt.

Erste Hilfe beim Pferd kann herausfordernd sein

Für die Versorgung bedeutet das: Anfangs sollte die Wunde offen bleiben und sauber gehalten werden – kein Abdichten mit Salben und kein zu starker Verbandsdruck. Erst wenn sich neues Gewebe bildet, helfen feuchte Auflagen, den Heilungsprozess zu unterstützen, ohne das empfindliche frische Gewebe zu stören. Bei Pferden kommt jedoch eine besondere Herausforderung hinzu: Als Fluchttiere sind sie von Natur aus ständig in Bewegung. Jede Wunde wird dadurch permanent belastet – durch Zug, Druck und Reibung der umliegenden Muskulatur und Haut. Diese ständige Beanspruchung erschwert den Heilungsprozess erheblich. Der Körper reagiert darauf häufig mit einer verstärkten Produktion von Heilungszellen, um das verletzte Gewebe zu reparieren.

Entsteht jedoch mehr neues Gewebe, als tatsächlich benötigt wird, bildet sich das sogenannte „wilde Fleisch“. Diese überschießende Granulationsbildung wächst über die eigentlichen Wundränder hinaus und verhindert, dass sich die Haut schließen kann. Stattdessen bleibt die Verletzung offen. In solchen Fällen ist ein Eingreifen des Tierarztes unumgänglich: Das überschüssige Gewebe muss chirurgisch abgetragen und die Wunde zusätzlich medikamentös behandelt werden, damit der normale Heilungsverlauf wieder einsetzen kann.

Das sind die No Gos bei der Wundversorgung

Rostiger Nagel

Rostige Nägel haben das Potenzial, schwere Verletzungen zu verursachen, denn oftmals bringen sie die Keime tief in die Wunde hinein. (© Adobe Stock)

Die Liste der Erste Hilfe Fehler ist lang – und viele davon entstehen in der besten Absicht. Das beginnt mit der falschen Salbe. Ein Beispiel: Jod ist zwar desinfizierend, wirkt aber zelltoxisch und verzögert die Heilung. Auch antibiotische Cremes sind problematisch. Zum einen wegen möglicher Resistenzen, zum anderen, weil sie die Wunde „verschließen“. Dasselbe gilt für Blauspray, das ursprünglich aus der Rindermedizin stammt und heute als überholt gilt.

Ebenso kritisch: zu viel Creme auf frischen Wunden. Salben bilden eine Barriere – und darunter kann es schnell warm und bakterienfreundlich werden. Besonders riskant wird es, wenn eine alte Tube zum Einsatz kommt, die selbst schon Keime enthält. Auch Fremdkörper sollten nicht vorschnell entfernt werden – sie könnten Strukturen verletzt haben oder in tieferliegende Gewebe reichen. Und ganz simpel, aber häufig vergessen: Immer Handschuhe tragen! Die gesunde Hautflora von Menschen unterscheidet sich von der Hautflora der Pferde und kann zu Heilungsstörungen führen.

Erste Hilfe beim Pferd – die größten No Gos:

  • Blauspray oder Jod auf frische Wunden
  • Zu viel Creme oder alte Tuben verwenden
  • Verletzungen ohne Handschuhe anfassen
  • Fremdkörper eigenmächtig entfernen
  • Druckverbände ohne Anleitung anlegen

Was passiert, wenn die Wunde ernster ist?

Große Wunde am Pferdebein

So eine große Wunde sollte man unter keinen Umständen selbst behandeln, dies ist ein klarer Fall für den Tierarzt! (© Adobe Stock)

Bei größeren Verletzungen, starken Blutungen oder plötzlicher Lahmheit steht fest: Der Tierarzt muss her. Auch wenn es in den meisten Fällen nicht auf Minuten ankommt, fühlt sich das Warten oft endlos an. Umso wichtiger ist es, die nötigen Handgriffe zu beherrschen und die Zeit bis zum Eintreffen des Tierarztes sinnvoll zu nutzen. Und auch wenn das Pferd in eine Klinik gebracht werden muss, sollten Vorbereitungen getroffen werden. Und was hilft bei starken Blutungen? Nutzen Sie eine sterile Mullkompresse zur Kompression. Diese kann einfach mit einer selbstklebenden Binde befestigt werden, sodass die Blutung erst einmal gestoppt ist.

Wichtig: Auch hier muss darauf geachtet werden, dass der Verband zwar fest ist, aber nicht schnürt oder rutscht. Bei extremem Blutverlust kann ein Schockzustand entstehen. Erkennbar ist dieser an plötzlicher Kälte der Haut, blassen Schleimhäuten und der Apathie des Pferdes. Hierüber sollte der Tierarzt, auch wenn er schon unterwegs ist, sofort informiert werden. Das Pferd kann mit Abschwitzdecken warmgehalten werden. Befindet sich ein Fremdkörper im Huf oder in der Wunde, darf er keinesfalls entfernt werden. Oft übt er mechanischen Druck auf verletzte Gefäße aus und verhindert so stärkere Blutungen – wird er herausgezogen, können diese Gefäße ungeschützt offenliegen.

Wann blutet eine Wunde wirklich stark?

  1. Pulsierende Blutung – spricht für eine verletzte Arterie
  2. Konstanter, starker Blutfluss – spricht für eine Vene oder ein Kapillarnetz
  3. Verband ist innerhalb weniger Minuten komplett durchtränkt
  4. Blut läuft „in Strömen“ statt nur zu „sickern“
  5. Blutung lässt sich durch normalen Druck nicht stoppen

Wann sollte der Tierarzt kommen?

Erste Hilfe beim Pferd

Wenn man mit Mullbinden wickelt, wird der Verband stabiler. Sinnvoll: in Achter-Touren hoch und runtergehen. (© Slawik)

  • Tiefe oder großflächige Verletzungen
  • Starke Blutung
  • Nähe zu Gelenken oder empfindlichen Strukturen
  • Lahmheit, Schwellung, Hitze, Geruch
  • Unklare Verletzungsursache
  • Fremdkörper in der Wunde

Zur Not hilft ein Videoanruf beim Tierarzt

Ein guter Tipp: Viele Tierärzte nutzen mittlerweile digitale Möglichkeiten und bieten eine erste Einschätzung per Videoanruf an. Das ersetzt zwar keinen persönlichen Besuch, hilft aber, die Situation besser einzuschätzen und Anweisungen für die die erste Hilfe beim Pferd zu bekommen. Eine solche erste Einschätzung per Video kann wertvolle Zeit überbrücken – vor allem, bis der Tierarzt vor Ort ist.

In dieser Zwischenzeit gilt: Das Pferd sollte in eine nicht eingestreute Box gestellt und möglichst nicht bewegt werden. Solange unklar ist, ob operiert werden muss, darf es nichts fressen, da ein voller Magen den Kreislauf bei einer Narkose zusätzlich belastet.  Zur Beruhigung hilft es oft, den Boxennachbarn daneben zu stellen – das gibt dem Patienten Sicherheit. Wenn der Tierarzt gerade auf einem weit entfernten Einsatz ist oder aus anderen Gründen nicht sofort kommen kann, lohnt es sich, über einen direkten Transport in eine Tierklinik nachzudenken.

Erste Hilfe beim Pferd muss schnell gehen

Hufverband

So wird es nicht lange halten: Denn der Hufverband muss fest sein, darf nicht schnüren und sollte eine Sohle aus Isolierband haben. (© Slawik)

Dort steht rund um die Uhr geschultes Fachpersonal bereit, das die Verletzung sofort beurteilen und behandeln kann. Gerade bei schweren Verletzungen oder unklaren Lahmheiten kann dieser Schritt wertvolle Zeit sparen und die bestmögliche Versorgung sicherstellen. Die logistische Voraussetzung dafür: ein Pferdeanhänger. Häufig scheitert ein Transport – vor allem in kleineren Ställen – daran, dass weder ein Anhänger noch ein entsprechender Führerschein verfügbar ist.

In solchen Fällen ist es sinnvoll, im Vorfeld ein Netzwerk aufzubauen: etwa Freunde oder Stallkollegen, die im Notfall einspringen können, sei es als Fahrer oder mit einem Anhänger. Auch größere Nachbarställe können hier wertvolle Unterstützung bieten. Es gilt: Je mehr im Vorfeld abgeklärt ist, desto schneller geht es, wenn wirklich die Minuten zählen. Auch ein Pferd, was sicher auf den Anhänger geht, gehört dazu.

Richtige Wahl treffen: Klinik ist nicht gleich Klinik

Nicht jedes Bundesland verfügt über mehrere Tierkliniken in erreichbarer Nähe – in manchen Regionen dauert der Transport zum nächsten Facharzt bis zu zwei Stunden. Hilfreich sind daher vorbereitete Listen mit den Notrufnummern der Kliniken, ihren Fachgebieten und technischen Möglichkeiten.

Hat ein Pferd etwa eine Verletzung mit Gelenksbeteiligung, für die eine Gelenkspülung nötig ist, spart man wertvolle Zeit, wenn man direkt eine Klinik ansteuert, die für Arthroskopien ausgerüstet ist. Eine laminierte Liste ist zudem staub und feuchtigkeitsresistent und kann am Schwarzen Brett auch anderen Stallkollegen zugutekommen.

Erste Hilfe beim Pferd mit der richtigen Stallapotheke

Verbandskoffer für Erste Hilfe beim Pferd

Die Basics jeder Stallapotheke (© Adobe Stock)

Im Notfall zählt nicht nur Wissen, sondern auch, ob das richtige Material sofort zur Hand ist. Eine gut bestückte Stallapotheke ist kein Luxus, sondern unverzichtbar. Sie muss weder groß noch teuer sein – entscheidend ist, dass sie vollständig ist. Wer die Stallapotheke einmal sinnvoll ausstattet, spart im Ernstfall wertvolle Minuten. Dazu gehören: saubere Mullkompressen (am besten steril verpackt), selbsthaftende Binden, Einmalhandschuhe, Fieberthermometer, Schere, Taschenlampe sowie eine kleine Auswahl an Cremes oder Gelen für unterschiedliche Verletzungen. Bewährt haben sich Ringelblumensalbe für Schürfungen, Heparin Gel bei Prellungen oder Tritten und medizinische Honigsalbe zur unterstützenden Pflege. Unsicher, was passt? Ein sogenanntes Hydrogel ist vielseitig einsetzbar und eignet sich für alle Phasen der Wundheilung – erhältlich beim Tierarzt oder in der Apotheke.

Die Basics jeder Stallapotheke:

  1. Mullkompressen und eine Rolle Polsterwatte
  2. Selbsthaftende Binden
  3. Mullbinden
  4. Einmalhandschuhe
  5. Fieberthermometer und Schere
  6. Desinfektion (z. B. Octenisept)
  7. Pflegende Heilsalbe (Hydrogel, Wund- und Heilsalbe, medizinische Honigsalbe)
  8. Heparinsalbe für Pferde
  9. Essigsaure Tonerde
  10. Notrufliste: Tierarzt, Klinik, Besitzer, Anhängerverleih und Schmied

Erste Hilfe ist also keine Frage von Mut oder jahrelanger Erfahrung, sondern eine bewusste Übernahme von Verantwortung. Wer in einer Notsituation eingreift, muss Entscheidungen treffen – nicht aus dem Bauch heraus, sondern gestützt auf Wissen und mit einem klaren Verständnis der eigenen Grenzen. Es geht nicht darum, den Tierarzt zu ersetzen, sondern die Zeit bis zu dessen Eintreffen bestmöglich zu überbrücken, dem Pferd Sicherheit zu geben und Komplikationen zu vermeiden. Wer vorbereitet ist und ruhig handelt, kann entscheidend dazu beitragen, dass eine Verletzung kontrolliert und nicht schlimmer wird – und das gibt am Ende nicht nur dem Tier, sondern auch dem Menschen Sicherheit.

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