Nicht wenige Pferde sind trageerschöpft. Dies kann fatale Folgen für den Körper und die Psyche haben. Was das bedeutet und was Sie tun können, erklärt unsere Expertin Dr. Sandra Ruzicka.
Trageerschöpfung ist in aller Munde. Allerdings handelt es sich nicht um eine Modeerscheinung. Betroffene Pferde gab es schon immer. Leider zeigt aber aktuell der größte Teil der Tiere Symptome unterschiedlichen Ausmaßes. Pferde besitzen keine Schlüsselbeine. Ihr Rumpf ist stattdessen über Weichteilgewebe zwischen den Vorderbeinen aufgehängt. Wenn dieses System adäquat federn kann, dient es der Stoßdämpfung, Allerdings kann es zu Bewegungseinschränkungen kommen. Diese führen zu Kompensationsmustern und dadurch zu Folgeschäden im restlichen Körper. Diese Situation bezeichnet man als Trageerschöpfung.
Trageerschöpfung hat vielfältige Symptome
Aber warum ist sie so schwer erkennbar? Obwohl sie weit verbreitet ist, ist sie aufgrund der Vielfalt der körperlichen Veränderungen nicht leicht zu identifizieren. Trageerschöpfte Pferde können völlig unterschiedlich aussehen. Die landläufige Meinung ist: „Das sind doch die überbauten Pferde mit Hohlkreuz und atrophiertem Trapezmuskel.“ Oft ist das richtig. Aber nicht immer.
Auf den ersten Blick suggeriert das Bild oben zwar ein passables Gleichgewicht. Allerdings ist dieser Körper nicht in der Lage, verschleißfreie Bewegungsmuster auszuführen. Das bedeutet in anderen Worten: Der Körper sieht irgendwann so aus, wie er genutzt wird. Gutes Training bildet die sogenannte Reitpferdemuskulatur aus und trägt einen erheblichen Teil zur langfristigen Gesunderhaltung bei. Im Gegensatz dazu sind ungesunde Bewegungsmuster „nicht nur Folge von“, sondern vor allem „auch Ursache für“ Trageerschöpfung.
Wege zu einem tragfähigen Pferderücken
Ein Pferd zeigt sich plötzlich widersetzlich. Ist es jung, wird es womöglich noch als Übermut gewertet. Doch bleibt das Problem bestehen, kommt es nicht selten zu Zwangsmaßnahmen. Oder es werden Leistungen von einem Pferd verlangt, die es aufgrund körperlicher Grenzen nicht erbringen kann. Dazu muss jedoch gesagt werden, dass de meisten Pferdebesitzer und Reiter bemüht sind, das Beste für das Wohl ihrer Pferde zu geben. Dazu gehört es sich auch mit der Anatomie und Biomechanik unserer Vierbeiner zu beschäftigen. So können wir alle zum Beispiel eine effektive Gesundheitsvorsorge betreiben, wenn wir uns mit dem Thema Trageerschöpfung und den Warnsignalen durch eine Überlastung beschäftigen.
Das Thema ist komplex und dennoch sehr wichtig. Die Autorin des Buches „Trageerschöpfung beim Pferd“ Dr. Sandra Ruzicka möchte zum einen aufklären, aber auch Wege zu einem tragfähigen Pferderücken aufführen. Das Buch sowie dieser Artikel ersetzen keinesfalls Tierärzte, Therapeuten oder gute Trainer. Dennoch werden Behandlungs- beziehungsweise Trainingsmöglichkeiten aufgezeigt.
Exkurs: Pferde-Exterieur
Mit dem Exterieur werden die äußeren Merkmale des Pferdes, also sein Gebäude beschrieben. Der aktuelle Zustand wird sowohl durch die Genetik als auch die körperliche Entwicklung bestimmt.
- Als Menschen haben wir keinen Einfluss auf die Länge der Knochen. In gewissem Maße jedoch auf deren relative Ausrichtung.
- Das eine perfekte Exterieur gibt es nicht. Je nach Disziplin und Nutzung des Pferdes werden völlig unterschiedliche Anforderungen an den Körperbau gestellt.
- Durch gutes Training, Kooperation und Spass an der Arbeit können bestimmte Mängel kompensiert werden.
- Aus der seitlichen Perspektive (lateral) sieht man die Anzeichen einer Trageerschöpfung am besten. „Der Körper erzählt auch ohne Bewegung bereits einiges über vorherrschende Gangbilder, weil sich seine Form in der Art und Weise aufbaut, wie er genutzt wird“, erklärt Dr. Sandra Ruzicka.
- Aber auch von vorne hinten und von schräg oben können Aussagen über die Symmetrie getätigt werden. Weitere Informationen liefern Gangbildanalyse und Abtasten.
- Exterieurbedingt bringen manche Pferde eine höhere Belastbarkeit und ein größeres Leistungspotenzial mit. So kann ein Gebäude mit guten Proportionen und regelmäßiger Gliedmaßenstellung die Energieeffizienz und Bewegungsfunktionalität erhöhen sowie den potentiellen Verschleiß reduzieren.
- Das Exterieur des Pferdes befindet sich immer wieder in Umbauprozessen und ist dadurch nie fertig.
Trageerschöpfung: Nicht einfach nur müde!
Trageerschöpfung ist ein aktuelles Thema und es könnte den Anschein haben, als sei sie eine Modeerscheinung. Doch betroffene Pferde gab es schon immer. Jedoch vermutet Dr. Sandra Ruzicka, dass die Anzahl aufgrund der modernen Reiterei und die aktuellen Zuchtziele verstärkt werde.
Gleichzeitig wird eine Trageerschöpfung häufig nicht so leicht erkannt. Das könne daran liegen, dass Pferde einen Mangel an Tragkraft auf individuelle Weise ausgleichen, wodurch sich etliche Kompensationsvarianten ergäben. „Trageerschöpfung ist bei Pferden weit verbreitet, jedoch kann sie aufgrund der Vielfalt der möglichen Veränderungen des Exterieurs und der Folgeschäden nicht leicht identifiziert werden“, betont Dr. Sandra Ruzicka und weist darauf hin: „Trageerschöpfung sieht nicht immer gleich aus!“
Wichtig zu wissen: Trageerschöpfte Pferde sind nicht in der Lage, einen Reiter zu tragen, ohne selbst dabei Schaden zu nehmen. Das Wort „Trageerschöpfung“ kann täuschen, denn die Pferde sind nicht einfach nur müde und können sich durch eine Pause regenerieren. Nein, sie haben ein viel grundlegenderes Problem, das diverse Folgeschäden nach sich ziehen kann. Ebensowenig muss eine Trageerschöpfung durch das Tragen eines Reiters entstanden sein. Allerdings kann Gewicht von oben eine Entwicklung in eine ungesunde Richtung beschleunigen.

Hier ist der Unterschied deutlich zu erkennen: Links ein tragkräftiges Pferd, rechts eines mit ausgeprägter Trageerschöpfung. (© Miriam Grau)
Überbelastung häufig erst spät erkannt
„Die Trageerschöpfung ist keine Erkrankung im eigentlichen Sinn. Es handelt sich um einen Oberbegriff für Schonhaltungen, die auf einem Mangel an Tragkraft beruhen“, so Dr. Sandra Ruzicka. „Insbesondere handelt es sich um eine – durch eine chronische Überlastung entstandene – Fehlentwicklung der Rumpfträger und die anschließend erfolgende Kompensation des restlichen Gebäudes.“ Mit der Zeit entwickeln sich durch Mobilitätseinschränkungen und Ausgleichsbewegungen dauerhaft ungesunde und verschleißende Gangbilder.
Diese machen es dem Pferd unmöglich, Last aufzunehmen, seine Leistungsfähigkeit wird beeinflusst und der Zustand kann in vielen Fällen auch abseits des Trainings schmerzvoll sein. Weitere mögliche Gründe, warum die Trageerschöpfung häufig erst spät erkannt wird: Sie ist ein schleichender Prozess und der Tierarzt wird häufig gerufen, um die Folgeschäden einer Trageerschöpfung zu behandeln. Ab einem bestimmten Stadium ist die Trageerschöpfung nicht mehr vollständig reversibel. Dennoch kann die Situation des Pferdes häufig noch verbessert werden.
Die vielfältigen Symptome der Trageerschöpfung
Die Liste der Anzeichen für eine Trageerschöpfung eines Pferdes ist lang. Dr. Sandra Ruzicka geht darauf explizit in ihrem Buch ein. Wir wollen Ihnen dennoch ein paar mögliche Symptome nennen. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass kein Pferd alle Anzeichen gleichzeitig zeigt, da sich einige gegenseitig ausschließen.
„Kompensationsmuskulatur ist kantig und sie ist aufgrund diverser Schmerzgeschehen meist hyperton (erhöhter Mukeltonus) oder stellenweise auch schlaffer als gesund“, sagt Dr. Sandra Ruzicka. Halsbasis und Lende seien immer verspannt. Zudem könne die Bemuskelung auffällige Verhärtungen bekommen. „Verspannte Muskeln schmerzen und bilden regelrechte Beulen aus“ so unsere Expertin. Sackt der Brustkorb ab, sinkt auch das Stockmaß des Pferdes.
Viele betroffene Vierbeiner stehen in einem sogenannten „Gliedmaßen-V“. Dabei ist die Vorhand rück- und die Hinterhand vorständig. Die Standfläche verkleinert sich. „Die Hinterhand sieht im Vergleich zur Vorhand meist unterentwickelt aus, als wären es zwei unterschiedliche Pferde“, betont Dr. Sandra Ruzicka. Es lohnt sich auch, einen Blick auf die Mimik zu werfen, denn trageerschöpfte Pferde wirken oft angespannt, aggressiv, apathisch oder haben einen schmerzerfüllten Ausdruck.
Tipp: An der Longe mit freiem Blick auf den Rücken können Sie mögliche Extensionsblockierungen der Wirbelsäule besonders gut erkennen. Bei Übergängen in eine niedrigere Gangart sinkt der Bereich des thorakumbalen Übergangs dabei ab, während er eigentlich stabil bleiben sollte.
Bewegung und Rittigkeit bei Trageerschöpfung
Eine Trageerschöpfung zeigt sich auch an veränderten Bewegungsmustern und hat dadurch Einfluss auf die Rittigkeit. Das Absinken der Halsbasis hat verheerende Folgen, erklärt Dr. Sandra Ruzicka: „Der nach vorn verlegte Schwerpunkt verstärkt die Vorhandlastigkeit, der Rücken ist sowieso die Brücke zwischen allem und wenn die Hinterhand beeinträchtigt wird, ist auch der Motor des Pferdes eingeschränkt.“
Hinzu kämen zudem systematische Schäden, das Fasziennetz verspanne und verklebe sich. „In fast allen Fällen stellt sich die tiefe Rückenmuskulatur fest und verursacht Blockaden“, so unsere Expertin weiter. Weil die Pferde hinten schwerer Last aufnehmen können, versuchen sie sich vorne mehr zu ziehen. Doch sie kommen auch mit der Vorhand nicht gut raus und viele Pferde schlurfen regelrecht. Manchmal wirbeln die Hufe Sand auf oder sie stampfen.
Trageerschöpfte Pferde können zudem häufig ihren Takt verlieren, sich schwunglos, schlaff oder verspannt bewegen. Betroffene Pferde wirken nicht selten müde, klemmig und energielos. Auch eine Passverschiebung im Schritt kann auf Rückenschmerzen hindeuten. „Die Gangbilder im Trab und Galopp wirken bergab und in den Boden hinein“ beschreibt Dr. Sandra Ruzicka. Nicht selten werde der Galopp unter dem Reiter sogar komplett verweigert, da der Rumpftragapparat in der Landung besonders gefordert sei, den Brustkorb aufzufangen. Gleiches gilt für das Springen.
Weitere Alarmzeichen sind vor allem plötzlich auftretende Rittigkeitsprobleme. Dabei seien selbst vermeintlich noch harmlose Warnsignale wie Schweifschlagen oder Kopfschütteln bereits als Warnsignale zu werten. Ein losgelassenes Wohlfühltempo ist schwierig möglich, wenn die Pferde ihrem Gleichgewicht hinterherrennen oder sich nicht mehr richtig bewegen möchten.
Koordination und Schiefe eines trageerschöpften Pferdes
In der Lendenregion des Pferdes entspringt das große Nervengeflecht, welches die Hinterhand versorgt. Bei einer Trageerschöpfung leidet aus diesem Grund nicht selten die Koordination. „Je nach Kompensationsmuster arbeitet die Hinterhand vermehrt nach hinten heraus oder fußt zwar weit, aber kraftlos vor“, erläutert Dr. Sandra Ruzicka. Manche Pferde werfen den Kopf in den Übergängen nach oben, um die fehlende Kraft der Hinterhand auszugleichen.
Es landet auf der Vorhand, wobei der Rücken in der Bewegung nicht nach oben schwingt, sondern nach untern. „Das können Sie daran erkennen, dass die Ohren des Pferdes im Takt nach hinten-oben, statt nach vorne-unten wippen“, rät unsere Expertin dazu. Ebenso sind Irritationen der Nerven nicht unnormal, welche Gleichgewichtsprobleme verursachen sowie das Risiko von Stolpern und Stürzen erhöhen können. Die Schiefe des Pferdes verstärkt sich, wenn der Brustkorb sinkt, was zu einseitigen Muskelverspannungen führt. Zu den typischen Folgen einer Trageerschöpfung gehören auch Anlehnungsprobleme.
Sattel und Abwehrreaktionen
Stimmt der tiefste Punkt des Rückens nicht mit dem Satteltiefpunkt und schon gar nicht mit dem Schwerpunkt überein, wird die Sattelanpassung schwierig bis unmöglich. Der Sattel rutscht dann häufig nach vorne gegen die Schulter oder bildet eine Brücke. „Auf einem deutlich trageerschöpften Rücken ist kein Sattel anpassbar, der keine Schmerzen hervorruft“, so Dr. Sandra Ruzicka.
Bemerken Sie bereits beim Putzen oder Absatteln Bereiche, die wiederholt durch Zucken reagieren, oder das Pferd Abwehrreaktionen zeigt, nehmen sie das ernst. Auch solche Anzeichen können auf Verspannungen und Schmerzen hinweisen. „Ein lockerer Muskel fühlt sich immer gleichmäßig weich an, aber nicht schlaff. Er lässt sich leicht bewegen und ist nicht schmerzhaft“ sagt die Autorin.
Trageerschöpfung und die Psyche des Pferdes
Sie betont, dass Trageerschöpfung immer auch psychische Auswirkungen habe. Ein trageerschöpftes Pferd könne seinen Körper nicht mehr effizient und sitautionsangemessen nutzen, was für ein Fluchttier nicht ohne Folgen bleibt. Als Ausgleich könne es zu einer erhöhten Alarmbereitschaft sowie einem gesteigerten Stresslevel kommen.
Dabei ist zu bedenken, dass Stress eine Trageerschöpfung bedingt und umgekehrt eine Trageerschöpfung wiederum Stress auslöst. „Insbesondere plötzliche Verhaltensänderungen sollten immer als Warnsignale ernst genommen werden“, sagt Dr. Sandra Ruzicka. Treten zum Beispiel plötzlich Probleme beim Aufsteigen auf, haben diese mit hoher Sicherheit eine körperliche Ursache“, erklärt Dr. Sandra Ruzicka.
Die Trageerschöpfung ist keine Erkrankung im eigentlichen Sinn. Es handelt sich um einen Oberbegriff für Schonhaltungen, die auf einem Mangel an Tragkraft beruhen. – Dr. Sandra Ruzicka –
Trageerschöpfung vorbeugen: Trainiere ich korrekt?
Was kaum ein Pferdebesitzer beziehungsweise Reiter gerne hört: Laut unserer Expertin liege der Hauptteil der Ursachen in unzuträglichen Trainings- und Ausbildungsmethoden. Dabei unterstellt sie niemanden eine Absicht. Vielmehr sollten jedoch regelmäßig Denkweisen und Verhalten überprüft werden. Auch hier kommen wir schnell wieder zum Faktor Stress. Nicht nur durch Zwangshaltungen oder gar Gewalt, sondern auch durch ein nicht pferdegerechtes Training, Kommunikationsproblemen oder fehlenden feinen Hilfen. Hat ein Pferd Angst, ist es nicht lernfähig.
„Psychische Überforderung ist ein wesentlicher Punkt, wenn es um die Ursachen von Trageerschöpfung geht“, sagt Dr. Sandra Ruzicka. Verständnis für die Natur des Pferdes sowie für die möglichen Ängste des Fluchttieres sind wichtig, so können Konfliktsituationen vermieden werden. Ein zu hohes Reitergewicht kann ebenfalls zu einer Trageerschöpfung beitragen. Es kommt aber auch auf die Qualität des Sitzes und die Art der (möglichst feinen) Einwirkung an.
Gutes Reiten findet auch im Kopf statt. Denn neben der Praxis ist Theorie unerlässlich. Informieren Sie sich weiter über Anatomie und Biomechanik des Pferdes und versuchen Sie so mehr und mehr Zusammenhänge zu verstehen. Im Training gibt es keine Abkürzungen. Gehen Sie also nicht den „schnellen“ Weg über Zwangsmethoden und sorgen Sie für ein vielseitiges Training. Behalten Sie dabei immer ein Gleichgewicht zwischen der möglichen sowie der tatsächlichen Belastung Ihres Vierbeiners im Auge, um Übertraining zu vermeiden.
Auf Ursachensuche
Dr. Sandra Ruzicka hat Gründe zusammengefasst, warum es beim Pferd überhaupt zu einer Trageerschöpfung kommen kann.
- Das Pferd besitzt kein Schlüsselbein: Zum einen würde die knöcherne Verbindung dem Pferd die nötige Flexibilität im Schultergürtel nehmen, zum anderen würde es bei einer Landung nach einem Sprung der Belastung nicht standhalten und brechen.
- Der Rumpf ist stattdessen über Weichteilgewebe zwischen den Boderbeinen aufgehängt. Der sogenannte Rumpftrageapparat beziehungsweise die thorakale Muselschlinge besteht aus Sehnen, Bändern, Muskeln und Faszien. Dazu gehören die Rumpfträger, also die Muskeln, die den Brustkorb aufhängen, sowie die Gliedmaßenträger, welche die Schultergliedmaße mit dem restlichen Körper verbinden. Als Hauptträger des Rumpftrageapparates dient der untere gesägte Muskel, der Musculus serratus ventralis.
- Das fehlende Schlüsselbein dient der Stoßdämpfung: Ein gut trainierter Schultergürtel, der Elastizität mit Stabilität vereint, ist in der Lage die auf den Rumpf wirkenden Kräfte abzufangen und umzuleiten. Sozusagen wie ein Katapulteffekt bei einem federnden Trampolin.
- Ein in seiner Funktion eingeschränkter Rumpftrageapparat wirkt sich negativ auf die Stoßdämpfung aus. Kann der Rumpftrageapparat nicht mehr physiologisch schwingen, übertragen sich die einwirkenden Kräfte direkt auf die Vordergliedmaße. Das erhöht vor allem deren Belastung im unteren Bereich.
- Sackt der Rumpf zwischen den Schulterblättern ab, wird die Situation als Trageerschöpfung bezeichnet. Verspannungen im Rumpftrageapparat fixieren den Brustkorb in der tiefen Position, was Probleme nach sich zieht.
- Der Schwerpunkt verlagert sich nach vorn. Das geschieht immer, auch wenn ein Pferd einfach nur temporäre Ausgleichsbewegungen nach vorne macht, da es den Gleichgewichtsverlust als unangenehm empfindet.
- Es folgen Kompensationen im restlichen Gebäude.
Die Kompensationsfolgekette bei Trageerschöpfung
Zunächst gibt es keine immer exakt gleiche chronische Reihenfolge einer auftretenden Trageerschöpfung. Zudem variieren auch de Ausgleichsbewegungen des Pferdes sehr. Aus diesen Gründen sind auch die Folgeerscheinungen individuell. „Dennoch gibt es Regelmäßigkeit“, erklärt Dr. Sandra Ruzicka. „Die Kompensationsfolgekette beginnt mit einem Absacken des Rumpfes. Schauen wir uns die einzelnen Schritte genauer an, die unsere Expertin zusammengefasst hat:
- Das Pferd ist nicht mehr in der Lage, sein eigenes Gewicht beziehungsweise das des Reiters zu tragen.
- Der Brustkorb rutscht nach vorn/unten ab. Dadurch verlagert sich der Schwerpunkt nach vorne.
- Die Schulter-Vorführer sowie die vorderen Brustmuskeln versuchen dagegen zu spannen.
- Indem die inneren und äußeren Schulterblattmuskeln verkrampfen, versuchen sie zu stabilisieren. Es kommt zu Verspannungen als Schutzmechanismus sowie zu Blockaden im Bereich der Halsbasis.
- Auch im Bereich der Lende sind Veränderungen zu erkennen: sie geht in eine kompensatorische Beugung. Dabei versuchen die Kruppenmuskeln und die inneren Lendenmuskeln den Rücken von hinten anzuheben. Schlägt der Versuch fehl, gerät die Lende schließlich in eine Dauerextension.
- Um das Becken zu stabilisieren halten die Sitzbeinmuskeln gegen. Dadurch überstrecken sich jedoch Knie und Sprunggelenk.
- Des Weiteren passt sich die Stellung der hinteren Gliedmaßen an. Meistens werden die Hinterbeine vorständig. Hier ist zu bedenken, dass eine überstreckte Hinterhand weniger Tragkraft hat und somit wiederum die Vorhandlastigkeit weiter steigt.
- Infolgedessen sackt der Rumpf immer weiter nach vorn/unten ab. Er wird in dieser Position regelrecht fixiert und die natürliche Schiefe verstärkt sich.
- Die dysfunkionale Hinterhand sowie die Vorhandlastigkeit führen zu einer (zumindest temporären) Rückständigkeit der Vorhand. Bei einer Trageerschöpfung baut sich der Körper des Pferdes sozusagen um. Er passt sich an. Es kann dadurch zu diversen Folgerkrankungen kommen.
Trageerschöpfung sieht nicht immer gleich aus! – Dr. Sandra Ruzicka –
Tipps fürs Training
Darauf können Sie im Sattel achten, um Ihr Pferd gesund zu trainieren:
- Arbeiten Sie an Ihrem Sitz, zum Beispiel durch gezielte Sitzübungen. So können Sie Koordination und Balance verbessern. Behalten Sie dabei im Hinterkopf, dass Ihr Sitz unter anderem durch die große Hebelwirkung des Oberkörpers einen enormen Einfluss auf die Qualität der Bewegungsmuster hat.
- Wer klemmt, schiebt oder auswischt beim Aussitzen, kann den Widerrist des Pferdes nach unten drücken und so ein gesundes Bewegungsmuster verhindern. Das Pferd wird sozusagen aktiv in die Trageerschöpfung gedrückt.
- Der Sitz sollte zügelunabhängig sein und das Pferd sollte nicht mit zurückgelehntem Oberkörper gegen die Hand getrieben werden.
- Vermeiden Sie ein dauerhaftes Treiben, welches das Pferd zum einen abstumpfen lässt, zum anderen aber auch Ihre Hüftgelenke blockiert und ein Mitschwingen in der Mittelpositur verhindern kann.
- Sehen Sie die Zügel als feine Verbindung zum Pferdemaul und stellen Sie Ihr Pferd nicht zu eng oder tief ein. „Der falsche Gebrauch der Zügel ist einer der größten Ursachen für Blockierungen der Wirbelsäule und der Extremitäten“, sagt Dr. Sandra Ruzicka. „Er führt auch immer in eine Einschränkung der Tragkraft durch falsche Bewegungsabläufe und Körperhaltungen.“
- Verabschieden Sie sich von dem Gedanken Ihr Pferd mit der Hand „Durchstellen“ zu müssen. Eine korrekte Haltung ergibt sich aus korrektem Reiten.
- Reiten Sie unterschiedliche Halslängen. Verändern Sie also immer wieder das Zügelmaß, damit die Muskulatur nicht in einer Haltung zu sehr beansprucht wird.
- Pferde können sich aber auch „kaputt stehen“. Bewegung im richtigen Maß und angepasst an Alter sowie Ausbildungsstand beziehungsweise Trainingszustand des Pferdes ist wichtig.
- Lassen Sie die Nickbewegung im Schritt zu, das verhindert ein ziehendes Bewegungsmuster der Vorhand. Die Reiterhand sollte dazu passiv im Takt mitgehen.
- Zusätzlich zur Nickbewegung ist ein rhythmisches Pendeln des Hals aus seiner Basis heraus von einer Seite zu anderen spürbar. Die Nase beschreibt sozusagen ein Unendlichkeitszeichen.
Buchtipp: „Trageerschöpfung beim Pferd“
Trageerschöpfte Reitpferde sind keine Seltenheit. Dr. Sandra Ruzicka hat in ihrem Buch die wichtigsten Informationen zusammengestellt. Sie erläutert Ursachen, Symptome, Kausalzusammenhänge und kompensatorischen Auswirkungen auf den Körper des Pferdes. Zudem stellen Ausbilder Ansätze ihrer jeweiligen Methodik zur Tragkraftentwicklung vor.
Die Expertin: Dr. Sandra Ruzicka
Dr. Sandra Ruzicka ist zertifizierte Trainerin, Pferdephysiotherapeutin, Verhaltenstrainerin und Hufbearbeiterin. Sie bildet gemeinsam mit Dr. Vivian Gabor PferdeverhaltenstrainerInnen und mit Christine Hlauscheck deren MeistertrainerInnen aus. Sie ist Expertin für Trageerschöpfung. Ihr Fokus liegt auf einer ganzheitlichen Ausbildung. Ihre Website: aus-pferdesicht.com.