Die Anpassung der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) sorgt für Spannungen: Während Tierärzte auf eine faire Bezahlung pochen, sehen sich viele Pferdebesitzer an ihren finanziellen Grenzen. Die Bereitschaft, den Tierarzt zu rufen, sinkt spürbar. Das bringt viele Pferdehalter in eine schwierige Lage. Zwischen Verantwortungsbewusstsein und wirtschaftlichem Druck müssen Entscheidungen getroffen werden. Das hat Auswirkungen auf die Pferdehaltung.
Erst ein leises Schluchzen, dann bricht eine Frau neben mir in Tränen aus. Sie sitzt mit geöffneter Tür auf dem Beifahrersitz ihres Autos vor der Pferdeklinik. Ich möchte nach einer Ankaufsuntersuchung in mein Auto steigen, was ich so aber nicht kann. In ihren Augen Trauer und Verzweiflung. Ich frage sie behutsam, ob sie reden möchte, und sie scheint erleichtert zu sein, mir ihre Geschichte erzählen zu können.
Vergangene Nacht sei ihre Stute als Notfall in die Klinik gekommen. Eine Kolik-OP konnte ihr das Leben retten. „Natürlich bin ich überglücklich, dass meine Stute es geschafft hat, ich liebe mein Pferd über alles“, sagt die Frau. „Aber die Kosten werden um die 18.000 Euro liegen, und ich weiß einfach nicht, woher ich das Geld nehmen soll.“ Sie wischt sich ein paar Tränen ab und fügt hinzu: „Ich habe nicht mit solch einer hohen Summe gerechnet. Ich pflege meinen Vater, habe zwei Kinder, einen ganz normalen Job, und mein Pferd war immer mein Hobby.“
Handle ich verantwortungsbewusst?
Ihre Geschichte beschäftigt mich noch die gesamte Rückfahrt. Für meine damals vierjährige Reitponystute hatte ich zu dem Zeitpunkt noch keine OP-Versicherung abgeschlossen. Jetzt, nach der erfolgreichen Ankaufsuntersuchung eines dreijährigen Reitponyhengstes, sind wir aber bald zu dritt. Hinzu kommen zwei große Hündinnen, von denen eine einen Herzfehler hat. Ich setze mich noch am selben Abend hin und schließe für meine beiden Reitponys eine OP-Versicherung ab. Zusätzlich informiere ich mich über weitere Optionen hinsichtlich Krankenversicherungen für meine Tiere. Allerdings fällt es mir diesbezüglich schwer, abzuwägen.
Mein Leben lang habe ich mit Pferden und Hunden verbracht. Jetzt stelle ich mir zum ersten Mal die Frage, ob ich verantwortungsbewusst handle, denn seien wir ehrlich: Auch ich könnte keine Tierarztkosten bis ins Unendliche zahlen. Dass Pferdehalter in den letzten Jahren mehr und mehr Tierarztbesuche hinausgezögert haben, ist mir aufgefallen. Auch wenn es sich hierbei um eine subjektive Beobachtung handelt. Ebenfalls wurde statt einer umfassenden Diagnostik einfach nur auf Entzündungshemmer und Schmerzmittel gesetzt. Das löst aber nicht automatisch jedes grundlegende Problem und führt in manchen Fällen dazu, dass Pferde (länger) leiden. Hier stellt sich die ethische Frage: Ist Warten in Ordnung?
Die GOT bei Pferden hat Konsequenzen für beide Seiten
Pflichtimpfungen werden zur finanziellen Belastung – auch hier wägen mehr Pferdehalter ab, ob sie die Kosten auf sich nehmen. (© Sabine Brose)
Seit der umfassenden Novellierung der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) im November 2022 spüren Pferdehalter in ganz Deutschland die Auswirkungen im Alltag – finanziell, organisatorisch und emotional. Die neue Regelung soll den tierärztlichen Beruf sichern, aber sie bringt auch große Herausforderungen mit sich. Die GOT bei Pferden besteht neben dem Verordnungstext aus einem Verzeichnis der tierärztlichen Leistungen sowie den zugehörigen Gebührensätzen.
Diese Auswirkungen hat Elena Karthäuser in einer umfassenden Masterarbeit an der Hochschule Osnabrück untersucht. Ihre Arbeit wurde 2025 mit dem GWP-Förderpreis der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft um das Pferd ausgezeichnet. Karthäuser führte dazu zwei Umfragen mit rund 14.000 Pferdehaltern sowie 250 Tierärzten durch, um deren Einschätzungen sowie Erfahrungen in Bezug auf die neuen Gebühren zu erfassen.
Teuer: Langfristige Gesundheitseinschränkungen
Die Ergebnisse zeigen, dass die Reform tiefgreifende wirtschaftliche und praktische Konsequenzen für beide Seiten hat. So geben rund 40,3 Prozent der Pferdehalter an, seltener einen Tierarzt zu rufen, und sogar über 30 Prozent würden einer Kolik-Operation trotz Heilungschancen nicht zustimmen. Kein Wunder, dass etwa 48,3 Prozent der Pferdehalter die neue GOT für nicht angemessen halten. Doch es sind nicht nur die akuten Fälle.
Nahezu 45 Prozent der befragten Pferdehalter besaßen ein Pferd mit einer langfristigen gesundheitlichen Einschränkung – sei es Arthrose, Hufrehe oder Atemwegserkrankungen. Durch die gestiegenen Kosten sahen sich viele Besitzer dazu gezwungen, alternative Wege zu suchen, beispielsweise durch Selbstmedikation oder den Verzicht auf Routinekontrollen. Doch worin bestehen die konkreten Änderungen?
Die GOT bei Pferden: Was hat sich geändert?
Eine schwere Verletzung oder eine Operation kann ohne entsprechende Versicherung schnell zur finanziellen Zerreißprobe werden. (© Linda Rohde)
Die Gebührenordnung für Tierärzte ist für alle niedergelassenen Tierärzte in Deutschland gesetzlich verpflichtend. Erlassen wurde die Rechtsvorschrift von der Bundesregierung. Die GOT legt fest, welche Gebühren ein Tierarzt für seine Leistungen verlangen darf. Ziel der Reform im Jahr 2022 war es, die wirtschaftliche Grundlage tierärztlicher Praxen zu stärken.
Ein Schritt, der aufgrund des zunehmenden finanziellen Drucks in der Branche längst überfällig war. Die GOT unterscheidet zwischen landwirtschaftlichen Nutztieren und Haustieren. Pferde werden mittlerweile in der Regel als Haustiere eingestuft, was eine höhere Gebühr für tierärztliche Leistungen, insbesondere für Hausbesuche, zur Folge hat. Dazu gehören:
- Erhebliche Mehrkosten bei tierärztlichen Behandlungen
- Verpflichtende Hausbesuchsgebühr von mindestens 34,50 Euro pro Besuch
- Deutlich höhere Gesamtrechnungen im Vergleich zur alten GOT
- Massiv gestiegene Notdienstkosten außerhalb der regulären Sprechzeiten
GOT bei Pferden: Die Hausbesuchsgebühr
Alarmzeichen Kolik – ein Notfall, der unter der neuen GOT schnell hohe Kosten verursachen kann. (© Slawik)
Die Einführung der pauschalen Hausbesuchsgebühr führte bei vielen Pferdebesitzern zu Unmut. Ursprünglich für Kleintiere wie Hunde oder Katzen gedacht, deren Halter alternativ in die Praxis kommen können, ist ein Besuch auf dem Hof bei Pferden in der Regel der Normalfall. Die Gebühr wird auch dann fällig, wenn der Tierarzt gar keine Praxis hat, was bei Pferdetierärzten häufig der Fall ist. Außerdem wird sie zusätzlich zur Anfahrtspauschale sowie den Behandlungskosten berechnet.
Mit der GOT-Reform wurde festgelegt, dass bei jedem tierärztlichen Besuch außerhalb einer Praxis eine pauschale Hausbesuchsgebühr erhoben werden muss, die aktuell mindestens 34,50 Euro pro Besuch beträgt. Auch wenn mehrere Pferde an einem Stall behandelt werden, muss diese pro Tierhalter berechnet werden. Aus Sicht der Tierärzte soll die Hausbesuchsgebühr die Kosten für den mobilen Mehraufwand decken, denn ein Hausbesuch erfordert mehr Zeit, Organisation und Logistik als eine Behandlung in der Praxis.
Wann wird mit welchem Gebührensatz abgerechnet?
Die Wegezeiten, das Vorhalten mobiler Geräte und die reduzierte Zahl an Patienten pro Tag wirken sich wirtschaftlich aus. Die Pauschale soll diesen zusätzlichen Aufwand fair ausgleichen. Der Verband Deutscher Tierhalter (VDTH) weist darauf hin, dass bereits in den Jahren 2008 und 2017 eine Anhebung der Gebührensätze um jeweils 12 Prozent erfolgte. Weiterhin wurde das Wegegeld erhöht und 2020 eine Notdienstgebühr in Verbindung mit der verpflichtenden Abrechnung des zweifachen Gebührensatzes eingeführt.
Grundsätzlich sind Tierärzte berechtigt, im billigen Ermessen mit dem einfachen bis dreifachen Gebührensatz, im Notdienst mit dem zweifachen bis vierfachen Gebührensatz abzurechnen. „Im billigen Ermessen“ bedeutet, dass eine Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen, unter Berücksichtigung aller Umstände und in ausgewogener Weise getroffen werden soll – fair, sachlich und verhältnismäßig. Tierärzte müssen also die Umstände des einzelnen Falls, unter anderem den Zeitaufwand, sowie die Schwierigkeit der Leistung berücksichtigen.
Kein neues Tier mehr wegen der GOT bei Pferden
Die Tierarztrechnung wird zur Zitterpartie – viele Pferdehalte- rinnen sind finanziell überfordert. (© Adobe Stock)
So nachvollziehbar der Kostendruck ist, so alarmierend sind die Zahlen. Denn das Einsparen von Tierarztkosten kann das Tierwohl gefährden. „Die steigenden Kosten dürfen nicht dazu führen, dass Pferde leiden, weil notwendige Behandlungen hinausgezögert oder gar nicht durchgeführt werden“, so Elena Karthäuser. Deren Befragungen zeigen zudem, dass sich viele Pferdehalter unter den aktuellen Bedingungen kein neues Pferd mehr anschaffen würden oder Personen mit mehreren Pferden planen, ihre Bestände künftig zu verkleinern.
Die meisten Tierhalter haben bei der Anschaffung ihres Tieres keinesfalls verantwortungslos gehandelt. Sie haben berechtigterweise darauf vertraut, dass die Bundesregierung Gebührenerhöhungen mit Augenmaß und unter Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Tierhalter verordnen würde.
– Vereinigung Deutscher Tierhalter (VDTH) –
In Zukunft weniger Pferde
Auch wenn die neue GOT eine Belastung für viele Pferdehalter darstellt, ist es wichtig, ebenfalls die andere Seite zu betrachten: Vor der Anpassung konnten einige Tierärzte trotz sehr hoher Arbeitsbelastung kaum kostendeckend arbeiten. Zudem gab es für jüngere Tierärzte wenig Anreize, in eine Praxis einzusteigen oder diese zu übernehmen. Die Folge wäre ein zunehmender Tierärztemangel gewesen. Die Gesamtlage darf also nicht außer Acht gelassen werden: „Die Pferdehaltung, ob zu Freizeit oder Sportzwecken, war schon immer sehr kostenträchtig und ist in den letzten Jahren noch einmal deutlich teurer geworden“, so der FEI-Tierarzt Dr. Jürgen Martens.
Ein wesentlicher Faktor seien die Kosten für die Unterbringung und die Versorgung, aber zum Beispiel auch die Ausrüstung. Im Jahr 2022 betrug der Umsatz im Pferdebereich in Deutschland rund 6,7 Milliarden Euro. Davon entfielen 2,6 Milliarden Euro auf die Kosten der Pferdehaltung. 4,1 Milliarden Euro sind in den Einzelhandel und entsprechende Dienstleistungen geflossen. Von diesen genannten 4,1 Milliarden Euro entfielen ca. zehn Prozent auf Tierarztkosten.
Mehr Eigenregie aufgrund neuer GOT bei Pferden
Während Tierärzte auf eine faire Bezahlung pochen, sehen sich viele Pferdebesitzer an ihren finanziellen Grenzen. Die Bereitschaft, den Tierarzt zu rufen, sinkt spürbar. (© Slawik)
„Infolge der GOT 2022 sind diese um ca. 20 Prozent angestiegen“, so Martens. Auch er spürt in seinem Alltag als (Turnier-)Tierarzt, dass Pferdehalter versuchen, Kosten einzusparen. Sei es durch den Versuch, in Eigenregie zu behandeln, oder Behandlungen zu Notdienstzeiten strikter zu vermeiden. „Sehr aufwendige Behandlungen werden häufiger abgelehnt. Es wird nach günstigeren Behandlungsmethoden gesucht, und prophylaktische Maßnahmen werden kritisch hinterfragt“, stellt Martens fest. Vermehrt wird auch nach telemedizinischen Maßnahmen, wie Beratung über Telefon, Foto oder Video gefragt.
Für ihn ist klar: Es wird in den nächsten Jahren absehbar zu einer Abnahme der Pferdepopulation in Deutschland kommen. Konsequenterweise werden die Umsätze im gesamten Pferdebereich zurückgehen. Das liege aber nicht nur an der GOT: Seit Jahren sei ein schlechter werdendes Marktumfeld für Zucht und Handel feststellbar. Die Züchter würden Kosten reduzieren, indem sie weniger Stuten decken ließen.
„Die Nachfrage nach Pferden hat generell nachgelassen. Infolgedessen müssen auch Verkaufsställe sparen. Zudem hört man häufig von Reitern und Hobbypferdehaltern, dass sie sich aufopferungsvoll um ihre derzeitigen Pferde kümmern, sich aber zukünftig kein neues Pferd anschaffen werden.“ Somit bestätigt Martens auch die Ergebnisse von Elena Karthäuser.
Wirtschaftlicher Betrieb trifft Tierwohl
Von der neuen GOT wird auch Dr. Jürgen Martens Arbeit als Turniertierarzt beeinflusst. Da die GOT vorschreibt, am Wochenende mindestens mit dem doppelten Gebührensatz abzurechnen, seien die Kosten, die ein Turnierveranstalter für den tierärztlichen Turnierdienst zu tragen hat, deutlich gestiegen.
„Im Sinne des Tierschutzes und zur Sicherung des tierärztlichen Turnierdienstes in Anwesenheit (Vermeidung von Rufbereitschaft) gibt es zum Beispiel in Schleswig-Holstein im Einvernehmen mit den Tierärzten eine Vereinbarung mit der Tierärztekammer, die zulässt, den Turnierdienst am Wochenende mit dem Einfachsatz abzurechnen“, erklärt der erfahrene Tierarzt.
Doch wie geht er generell mit der Gratwanderung zwischen wirtschaftlichem Betrieb und Tierwohl um?
Tierschutz an oberster Stelle
Die oberste Handlungsprämisse der Tierärzteschaft ist der Tierschutz, also das Wohlergehen der uns anvertrauten Patienten. Es ist die tierärztliche Pflicht, Tiere kunstgerecht und angemessen zu behandeln.
– Dr. Jürgen Martens –
Trotzdem sei er schon immer in Einzelfällen, in denen der Tierhalter nachvollziehbar finanziell überfordert ist, in der Rechnungsstellung entgegenkommen. Dem fügt er jedoch hinzu, dass eine regelmäßige Finanzierung der Behandlungskosten durch zu niedrige Gebührensätze betriebswirtschaftlich unmöglich sei, da auch die Praxiskosten ständig steigen würden.
„Wir Tierärzte können einen hohen Standard an Kenntnissen, gutem Personal, moderner Ausrüstung und kostenträchtigen Bereitschaftsdiensten nur gewährleisten, wenn entsprechende Umsätze erzielt werden“, so Martens. „Und ja, es bleibt ein belastendes Dilemma, dass in manchen Fällen unseren Pferdepatienten aufgrund finanzieller Engpässe der Tierhalter eine fachgerechte und zielführende Behandlung verwehrt bleibt.“
Bald neue Gebühren nach der GOT bei Pferden?
„Die oberste Handlungsprämisse der Tierärzteschaft ist der Tierschutz, also das Wohlergehen der uns anvertrauten Patienten. Es ist die tierärztliche Pflicht, Tiere kunstgerecht und angemessen zu behandeln.“ (© Slawik)
„Eine erneute Novellierung der GOT ist aus meiner Sicht unbedingt notwendig, um den Fortbestand der Pferdehaltung sowie das Tierwohl zu sichern“, betont Elena Karthäuser. Hierbei dürfe aber auf keinen Fall die wirtschaftliche Lage der Tierärzte außer Acht gelassen werden. Vielmehr sollten Pferdehalter klarer über die Arbeit und die Kosten für die Arbeit von Tierärzten informiert werden, um die Notwendigkeit der höheren Tierarztrechnungen zu verstehen.
„Der Spagat zwischen der finanziellen Auslastung der Pferdehalter und der wirtschaftlichen Sicherung für Tierärzte ist groß, und diese Differenzen zu verhindern ist quasi nicht möglich. Eine Abschaffung der in meinen Augen nicht in jedem Fall gerechtfertigten Hausbesuchsgebühr könnte aber ein erster Schritt sein, der die Situation entspannen kann“, so Karthäuser. „Ein Kompromiss wäre, die Möglichkeit zu eröffnen, die Hausbesuchsgebühr anteilig zu berechnen“, ergänzt Dr. Martens.