Billboard Eigenwerbung
Billboard Eigenwerbung

Adduktoren unter Druck: Warum Reiter besonders anfällig für Verletzungen sind


Bild vergrößern Anatomie der Adduktoren – der "Fesselträger" im Menschen.

Anatomie der Adduktoren – der "Fesselträger" im Menschen. (© UKE)

Reiten ist für Adduktoren eine echte Herausforderungen. Viele Reiter klagen über Probleme. Eine Sportärztin erklärt Ursachen, typische Fehler – und zeigt, wie man sich schützt und trainiert.

„Es sind überproportional viele Reiter, die Beschwerden, akute Verletzungen oder chronische Veränderungen im Bereich der Adduktoren, deren Sehnen und Knochen haben“, sagt Dr. Julia Schmidt. Sie ist Fachärztin für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin am Uniklinikum Eppendorf in Hamburg und hat vor Jahren eine Sprechstunde für Pferdesportler eingeführt, auch, weil sie selbst leidenschaftliche Reiterin ist.

Billboard Eigenwerbung

Die körperlichen Schwachstellen vieler Reiter sind ihr also bestens bekannt. Und dazu gehören die Adduktoren, sprich die Muskulatur an der Oberschenkelinnenseite, dort, wo‘s den meisten zwickt, wenn sie nach langer Pause mal wieder auf dem Pferd saßen. Julia Schmidt geht sogar so weit, dass sie die Adduktoren als den „Fesselträger“ der Reiter bezeichnet. „Der Fesselträger ist eine Region, in der Pferde häufig Probleme haben und die relativ viel Belastung aushalten muss, ob bei Sportpferden oder bei Freizeitpferden. Und so ist es bei den Adduktoren der Reiter auch“, sagt sie. Aber warum ist das so?

Aufbau und Funktion der Adduktoren

Um die Anfälligkeit der Adduktoren bei Reitern zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf deren Aufbau und Funktion. Die Adduktoren bestehen aus sechs Muskeln, die sich an der Oberschenkelinnenseite befinden. Sie entspringen am unteren Beckenknochen, am Schambein und im Bereich der Leiste. Sie verlaufen bis zum Oberschenkelknochen, teils bis in die Kniebeuge. Ihre Funktion: das Bein zur Körpermitte führen, die Adduktion.

Beim Überschlagen der Beine, Zusammenpressen der Oberschenkel, Spielen eines Balls mit der Fußinnenseite oder beim Reiten sind die Adduktoren aktiv. Die Gegenspieler der Adduktoren sind die Abduktoren an der Außenseite von Becken und Oberschenkelknochen. Sie bestehen aus drei Muskeln am Gesäß (Musculus gluteus medius, Musculus gluteus minimus und Musculus piriformis). Bei der Abduktion führen wir die Beine nach außen.

adductor muscles anatomy 3d medical vector illustration on white background

Die Adduktoren sind eine Muskelgruppe an der Innenseite der Oberschenkel. Sie besteht aus insgesamt sechs Muskeln. (© Redaktion)

Verletzungen: Über die Stränge geschlagen

„Das Problem sitzt meist in der Region, in der der Muskel in die Sehne übergeht oder die Sehne am Knochen befestigt ist“, stellt Julia Schmidt fest. Solche Strukturen haben im Vergleich zum Muskel einen schlechteren Stoffwechsel, regenerieren langsamer und benötigen mehr Zeit zur Heilung. „Deswegen sind die Adduktoren so anfällig“, erklärt die Orthopädin. „Häufig beginnt es mit einer Muskelproblematik: Der Muskel verspannt oder verkürzt sich und lässt sich nicht mehr verlängern. Aus diesen Muskelbeschwerden entstehen oft Entzündungen und Mikroverletzungen der Sehnenbereiche.

In bestimmten Regionen kann es bis auf den Knochen übergehen und zu einer Schambeinentzündung führen. Solche Verletzungen sehen wir auch häufig bei Fußballspielern.“ Denn Fußball funktioniert nicht nur mit Nach-vorne-schießen, sondern ähnlich wie beim Reiten durch Adduktion: Das Bein wird zur Körpermitte herangeführt. „Wir Reiter benutzen die Adduktoren, um uns auf dem Pferd zu fixieren und zu treiben, auch wenn es korrekterweise eigentlich nicht so sein soll.“ Diese ständige wiederholende Belastung fordert die Muskulatur, und kann sie unter Umständen überfordern.

Billboard Eigenwerbung

„Korrekterweise sollen wir mit der hinteren Oberschenkelmuskulatur und der Wade treiben und eigentlich auch gar nicht klemmen. Wir sollen nicht die Adduktoren um die Pferde kneifen“, sagt die Ärztin und Reiterin. „Aber natürlich ist es so, dass, wenn das Pferd sich bewegt, wegspringt oder landet, wir diese Muskelgruppen beanspruchen, sonst würden wir herunterfallen.“

Ursache: Ständig auf Zug

Doch wann kommt es wirklich zu Verletzungen der Adduktoren? Der Klassiker sind Traumata: abrupte Bewegungen nach außen, zum Beispiel durch ein Hängenbleiben in den Steigbügeln. Zerrungen, Muskel(faser)risse und Entzündungen sind dann die Folge.

Zum Risikopatienten werden die Adduktoren aber vor allem dann, wenn andere Muskelgruppen ihnen nicht anständig zuarbeiten. Von der muskulären Dysbalance ist die Rede, wenn beispielsweise der Gegenspieler, nämlich die Abduktoren, oder die Bauch- und Rückenmuskulatur zu schwach sind. Einseitige Bewegungen, häufiges Sitzen, unausgewogenes Training, schlechte Körperhaltung schwächen die Körpermitte. Das führt dazu, dass die Adduktoren noch mehr arbeiten müssen, und das kann zum Gesundheitsrisiko werden.

Denn: „Ein Muskel ist nur gut, wenn er gut verkürzen und verlängern kann. Diese Fähigkeit verliert ein Muskel, wenn er ständig unter Power steht“, erklärt Julia Schmidt. Muskelgruppen, die ständig unter Strom stehen, kriegen es nicht mehr hin, sich zu verlängern. Das wiederum erhöht den Muskeltonus, die Grundspannung des Muskels, und damit das Verletzungsrisiko und die Überbelastung. Es ist ein Teufelskreis. „Deswegen ist es so wichtig, die Adduktoren zum einen richtig zu trainieren und zum anderen die richtige Reittechnik zu lernen. Damit man eben nicht mit dem Bein klemmt und die Adduktoren überlastet“, sagt die Sportmedizinerin aus Hamburg.

Therapie: Aber wo zwickt’s denn jetzt?

Ein banaler Muskelkater oder eine traumatische Verletzung lasse sich gezielt und gut behandeln, sagt Julia Schmidt. „Schwieriger sind chronische Beschwerden, die sich langsam einschleichen.“ Hier müsse man die Ursachen erforschen: Von der Beinachse über die Fußstellung bis hin zur Ernährung und Stress. „Manchmal muss man weiterdenken, bis hin zu einer schlummernden Zahnentzündung.“

Bei Männern sollte der Arzt auch an Harnleiter- und Urogenitalentzündungen mitbedenken. „Das häufigste Problem sind jedoch muskuläre Dysbalancen, die 80 Prozent der Problematiken deutlich verbessern, wenn man sie in den Griff bekommt.“ Allerdings liegt die Ursache oft nicht dort, wo der Schmerz wahrgenommen wird. Eine Blockierung in den Kopfgelenken etwa kann die Muskelkette bis zum Steißbein beeinflussen. „Dann habe ich eine Fehlstellung, die wiederum meine Adduktoren negativ beeinflusst“, erklärt Julia Schmidt. Umso deutlicher wird hier der Wert des Ausgleichssports, um den eigenen Körper möglichst ganzheitlich zu stärken und geschmeidig zu halten.

Prophylaxe: Der Teamwork-Trick

Wer seine Adduktoren gesund erhalten möchte, muss an Teamwork denken. Schwächen in der benachbarten Muskulatur fordern die Adduktoren heraus, können sie aber im Umkehrschluss auch unterstützen. „Ein vernünftiges Training besteht aus Kräftigung und dem Erhalt der Verlängerungsfähigkeit“, verdeutlicht Dr. Julia Schmidt. „Das kann man durch direktes Dehnen erreichen. Allerdings reagieren manche Muskelgruppen auf direktes Dehnen mit reaktiver Verkürzung.“ Die Sportmedizinerin ist deshalb ein großer Fan von indirekter Dehnung, auch antagonistische Hemmung genannt. „Ein Trick“, sagt sie, man trainiert den Gegenspieler und verlängert dadurch den Spieler.

Abduktoren und Rumpfmuskulatur.

Gegenspieler und Mitspieler der Adduktoren sind die Abduktoren (u.) und die Rumpfmuskulatur (r.). Sind sie fit, können sie die Adduktoren vor Überlastung schützen. (© UKE)

Das kann man ganz einfach am eigenen Bizeps testen: Streckt man den Arm, spannt der hintere Oberarmmuskel, der Trizeps, an, der Bizeps hingegen muss sich entspannen. „So erreiche ich beim Training einer Muskelgruppe ganz häufig die Verlängerung der gegenspielenden Muskelgruppe“, sagt Julia Schmidt und rät des Weiteren dazu, größer zu denken. „Es gibt nicht immer nur einen Partner für einen Muskel, sondern es sind ganze Muskelketten. Der Rumpf, der Hüftbeuger, die hintere Muskelkette, der Beckenboden und die gesamte Bauch- und Rückenmuskulatur bilden eine Einheit. Dysbalancen in diesen Bereichen erhöhen das Risiko, Muskelgruppen, die besonders belastet werden, zu verletzen.“

Es gibt eine Vielzahl an Übungen, die man in seinem Alltag machen kann, um die Adduktoren fit, kräftig und geschmeidig zu halten. Doch wenn der Schaden da ist, ist es je nach Schweregrad nicht allein mit gutem Training getan. „Weil man einen zu hohen Grundtonus oder eine Faszienverklebung nicht immer selbst therapieren kann“, sagt Julia Schmidt. „Begleitend ist die Physiotherapie sehr sinnvoll, auch um zu überprüfen, ob die Gelenke gut stehen und die Übungen korrekt durchgeführt werden. Denn wir sind alle ökonomisch veranlagt, deswegen nutzt unser Körper das, was energetisch ökonomisch ist.

Billboard Eigenwerbung

Heißt, wir steuern die Muskelgruppen an, die gut trainiert sind, die gut reagieren. Das sind aber dann womöglich gar nicht die, die wir trainieren wollen oder müssen. In solchen Fällen müssen wir also lernen, wieder Muskelgruppen anders anzusteuern und uns nicht durch die Übungen zu schummeln, denn dann wären sie nicht effektiv.“ Ein guter Trainer hilft dabei. Egal, ob nun der Schaden durch ein Trauma entstanden ist oder es ein schleichender Prozess war.

„Viele sagen, vor zwei Wochen war doch noch alles okay. Nein, war es nicht. Sie haben es nur nicht gemerkt. Der Körper kann lange kompensieren. Wenn das Problem spürbar wird, ist es meist schon dekompensiert und dann ist doch etwas mehr im Argen. Wenn man solche Beschwerden hat, sollte man sich Zeit geben und nicht frustriert sein, wenn es nicht gleich besser ist“, ermuntert Schmidt. „Ein Pferd mit einer Fesselträgerentzündung wird auch langsam wieder antrainiert, und so gilt das auch für sich bei einem Adduktoren-Problem. Stück für Stück steigert man die Belastung.“ Nur dass man mit sich selbst oft wenig Geduld hat.

Adduktoren dehnen

Reiter kräftigen ihre Adduktoren automatisch beim Reiten. Umso wichtiger ist es deshalb, diese direkt zu dehnen. Das hält sie flexibler, löst Spannungen und Verkürzungen. Knien Sie sich auf die eine Seite, stützen Sie sich mit den Händen ab, halten Sie kurz und verschieben Sie Ihren Schwerpunkt von einer Seite zur anderen. Wiederholung: zwei Durchgänge mit 12 bis 15 Wiederholungen pro Seite. Dazwischen eine kurze Pause.

Übung 1: Dehnen. (© Redaktion)

Gluetalaktivierung im Stand

Ziehen Sie ein Miniband um Ihre Oberschenkel. Stellen Sie sich mit dem Rücken zur Wand auf ein Bein. Das andere Bein winkeln Sie an und stützen sich damit an die Wand. Der Oberkörper ist nach vorne gelehnt, der Bauch nach innen gezogen, damit Sie nicht ins Hohlkreuz fallen. Rotieren Sie das an der Wand aufgestellte Bein nach außen. Das Knie führt die Bewegung. Der Fuß bleibt an der Wand. Wiederholung: zwei Durchgänge mit 12 bis 15 Wiederholungen pro Seite. Dazwischen eine kurze Pause.

Übung 2: Gluetalaktivierung im Stand. (© Redaktion)

Mobilisation der Brustwirbelsäule

Legen Sie sich mit der Brustwirbelsäule auf eine Faszienrolle und legen Sie das Gesäß auf den Boden ab. Strecken Sie einen Arm gesteckt nach hinten, der Daumen zeigt dabei in Richtung Boden. Der andere Arm stützt den Kopf. Bewegen Sie den gestreckten Arm nach hinten, unten, dadurch krümmt sich die Wirbelsäule automatisch leicht um die Rolle. Wiederholung: zehn Wiederholungen in langsamen Bewegungen.

Mobilisation der Brustwirbelsäule.

Übung 3: Mobilisation der Brustwirbelsäule. (© Redaktion)

Antirotation

Die Antirotation sorgt für Stabilität im Rumpf bei Rotationskräften. Hierfür stellt man sich in Schrittstelllung und nutzt entweder einen Seilzug oder ein Theraband. Das Band umschließt man mit beiden Händen. Führen Sie die Hände mit ausgestreckten Armen nach vorne, dann vor die Brust, die Schulterblätter ziehen Sie nach hinten unten und strecken Sie dann wieder die Arme gerade nach vorne aus. Bleiben Sie dabei stabil in Ihrer Hüfte, wie ein Fels in der Brandung. Je mehr Spannung Sie auf dem Band haben, desto anspruchs- voller wird die Übung für die Rumpfstabilität. Wiederholung: zwei Durchgänge mit 12 bis 15 Wiederholungen pro Seite. Dazwischen eine kurze Pause.

Übung 4: Antirotation. (© Redaktion)

„Ein Muskel ist nur gut, wenn er sich gut verkürzen und verlängern kann. Diese Fähigkeit verliert ein Muskel, wenn er ständig unter Power steht.“ Dr. Julia Schmidt

UNSERE EXPERTIN

Dr. Julia Schmidt

Sie ist Fachärztin für Orthopädie, Unfallchirurgie sowie Sportmedizin und selbst Reiterin. Am UKE hat sie vor Jahren die Sprechstunde für Pferdesportler eingeführt. Sie sagt: „Adduktoren sind der Fesselträger der Reiter.“

HOOFORIA - Logo - gold-1
Billboard Eigenwerbung
Hilfe Icon