Pferde können schwere Reiter tragen – aber dafür brauchen sie bestimmte Voraussetzungen, wie eine neue englische Studie bestätigt. Der Fokus liegt auf Röhrbein, Rücken und Lendenpartie.
Ab 62 Kilogramm inklusive Turnierkleidung ist Schluss! Das ist das Maximalgewicht für Reiter und Senioren in den Ponyprüfungen auf den Bundeschampionaten. Jockeys dürfen für Rennen nicht schwerer als 55 Kilogramm sein, und Vielseitigkeitsreiter wurden bis 1998 nach der Geländestrecke gewogen und mussten mindestens 70 Kilogramm auf die Waage bringen – inklusive Sattel. Es besteht augenscheinlich ein enger Zusammenhang zwischen Reitergewicht, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden unserer Pferde beziehungsweise Ponys.
Was sollten übergewichtige Reiter vor dem Reiten beachten?
Doch wie viel Gewicht kann ein Reitpferd tragen? Welches Gewicht passt zu welchem Pferd? Und vor allem: Wie schwer ist zu schwer? Damit hat sich die Veterinärin Dr. Sue Dyson aus dem englischen Norfolk beschäftigt. Gerade in Großbritannien wird das Thema Reitergewicht stark diskutiert, kämpfen dort doch laut einer Studie von 2017 mehr als 63 Prozent der Bevölkerung mit zu viel Körpermasse. Im April 2018 wurde sogar eine Zuckersteuer eingeführt, um den Drang der Briten nach Süßem einzudämmen. Menschen mit Übergewicht, die sich von stark geforderten Vierbeinern tragen lassen, sind in England kein seltener Anblick.
Dr. Sue Dyson hat für ihre wissenschaftliche Testreihe vier Reiter unterschiedlicher Gewichtsklassen (61 kg bis 142 kg) auf sechs verschiedene Pferde gesetzt. Bei den halbstündigen Ritten der Probanden wurde vor allem auf Veränderungen des Gangbildes sowie Anzeichen von Unzufriedenheit auf Seiten des Tiers geachtet. Das Ergebnis: Pferde können problemlos zehn Prozent ihres Körpergewichts tragen. Für einen durchschnittlichen Warmblüter von 600 Kilogramm entspricht das einem Reiter, der nicht mehr als 60 Kilogramm auf die Waage bringt.
Auch 15 Prozent sind unter normalen Umständen gut für das Pferd zu verkraften, so die Wissenschaftlerin. Ein Durchschnittswarmblüter kann also auch noch einen Menschen mit 90 Kilogramm tragen. 120 kg Lebendgewicht – 20 Prozent des Pferdegewichts – „erträgt“ das Beispielpferd nur noch unter „optimalen Bedingungen“.
Alle Reiter, die schwerer sind und sich trotzdem regelmäßigen den Sattel schwingen, können chronische Schäden an Muskulatur sowie Bewegungsapparat hervorrufen. Die Gleichung sehr schwerer Reiter braucht ein von Natur aus schwereres Pferd trifft es aber auch nicht.
Der Röhrenbelastungsinxex
Eine gängige Faustregel besagt, dass ein Pferd maximal 15 Prozent seines Körpergewichts tragen kann, ohne dauerhaft Schaden zu nehmen. Bei einem 500 Kilogramm schweren Pferd sind das 75 Kilogramm. Aktuell hat sich die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz diesem Thema erneut gewidmet und ein Merkblatt mit dem Namen „Reitergewicht: Beurteilung der Gewichtsbelastung von Pferden unter Tierschutzgesichtspunkten“ herausgegeben.
Demnach stimmt diese Faustregel nur zum Teil. Nicht allein das Gewicht des Pferdes ist ausschlaggebend – viel entscheidender für die Einschätzung, wie viel Gewicht ein Pferd tragen kann, ist der sogenannte Röhrbeinbelastungsindex (RI). Der ergibt sich aus dem Röhrbeinumfang in Zentimetern mal 100, geteilt durch das Körpergewicht des Pferdes in Kilogramm.
Je höher dieser Wert, desto mehr Gewicht kann ein Pferd tragen, schreiben die Autoren. Mini-Shettys haben mit 9,5 den höchsten RI. Erstaunlich: Süddeutsche Kaltblüter, die als Gewichtsträger gelten, haben mit 3,0 den niedrigsten RI der aufgelisteten Pferderassen. Die Autoren weisen darauf hin, dass ein Pferd mit hohem Eigengewicht weniger belastbar ist, als ein leichtes Pferd. Übergewichtige Pferde brauchen also leichte Reiter.
Ein Blick auf die Lendenpartie des Pferdes verrät außerdem einiges über dessen Trageigenschaften: Pferde mit einer breiten, gut bemuskelten Lendenpartie können mehr Gewicht tragen als gleichgroße Pferde mit schmaler Lendenpartie. Die besten Trageigenschaften haben demnach robuste, gedrungene Pferde. Grazile Pferde wie Araber können nur wenig Gewicht tragen.
Stark übergewichtige Reiter handeln tierschutzwiedrig
Um die Frage, wie viel Gewicht ein Pferd tragen darf, wirklich beantworten zu können, spielen weitere Parameter eine Rolle. Neben Gewicht und Größe des Pferdes auch dessen Alter, Trainingszustand, Bemuskelung, die Nutzungsart, -dauer und -intensität, Bodenbeschaffenheiten, Wetter, Jahreszeit und nicht zuletzt die Fähigkeiten des Reiters im Sattel.
Dennoch legen die Autoren sich fest: Bringt der Reiter 20 Prozent des Körpergewichts seines Pferdes auf die Waage, kann das bereits zu Muskelverhärtungen und -verspannungen beim Pferd führen. Steigt ein noch schwererer Reiter in den Sattel, der 25 oder gar 30 Prozent seines Pferdes wiegt, ist das tierschutzwidrig, finden die Autoren. Reiten ist also kein Sport für stark übergewichtige Menschen.
Das Merkblatt finden Sie hier.