Wie wirkt sich die Spezialisierung der Warmblutzucht auf die Gesundheit und das Training der Pferde aus? Das hat unsere Autorin eine der bekanntesten Pferde-Orthopädinnen gefragt: Dr. Sue Dyson – und diese findet klare Worte.
Die Spezialisierung der Warmblutzucht auf Dressur- und Springpferde begann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte die Mechanisierung der Landwirtschaft zu einem erheblichen Rückgang des Bedarfs an Pferden in der traditionellen Landwirtschaft, was eine Verlagerung der Zuchtziele mit sich brachte. Mit der zunehmenden Beliebtheit des Pferdesports richteten Züchter ihren Fokus verstärkt darauf, Pferde zu züchten, die speziell für Disziplinen wie Dressur und Springen geeignet sind.
Die weltweit renommierte Tierärztin und Expertin für orthopädische Erkrankungen bei Pferden, Dr. Sue Dyson, hat umfangreiche Forschungen zu Lahmheitsdiagnostik und physischer Leistungsfähigkeit von Pferden durchgeführt. Ihre Arbeit betont die Bedeutung der frühzeitigen Erkennung subtiler Anzeichen von Unwohlsein, um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Pferden zu optimieren. Doch welche Hauptprobleme sieht Dr. Dyson heute in der Warmblutzucht?
Die Spezialisierung der Warmblutzucht: Zusammenspiel aus Exterieur und Bewegung
Wie hat sich das Exterieur von Sportpferden infolge der Zuchtspezialisierung verändert?
Dr. Sue Dyson: Ich denke, dass man diese Frage nicht isoliert betrachten kann, weil Exterieur, Körperhaltung und Bewegung eng miteinander verbunden sind. Die Zucht hat den Schwerpunkt mehr auf Bewegung als auf Exterieur gelegt, obwohl sich auch das Exterieur verändert hat. Der Selektionsdruck hat zu einer Betonung auf auffällige Bewegungen geführt. Pferde zeigen dabei eine größere Bewegungsfreiheit und höhere Tritte sowohl vorne als auch hinten. Diese Pferde haben oft Körper, die sie als junge Tiere noch nicht tragen können.

Wenn die korrekte Fußfolge verloren geht, stimmt etwas nicht. Der Takt ist die Basis der Skala der Ausbildung des Pferdes. (© Stefan Lafrentz)
Worin liegt das Problem, das die Spezialisierung der Warmblutzucht darstellt, Ihrer Meinung genau?
Das Problem liegt darin, dass die Branche darauf ausgerichtet ist, junge Pferde schnell zu produzieren, zu beurteilen und zu verkaufen. Dadurch werden diese Pferde oft in einer Körperhaltung trainiert, die sie nicht aufrecht erhalten können, was wiederum ihre natürliche Entwicklung hemmt. Anstatt die notwendige muskuläre und koordinative Stärke aufzubauen, werden viele Pferde mit verkürzten Hälsen geritten, um ihre „Überschwänglichkeit“ zu kontrollieren. Das schränkt aber auch ihr Potenzial weiter ein.
Auch das Temperament moderner Pferde spielt eine Rolle: Ihre Energie und Ausdruckskraft führen oft dazu, dass restriktive Trainingsmethoden angewandt werden, um sie handhabbar zu machen. Die langfristige Folge ist, dass die Branche kurzfristige Ergebnisse über die Langlebigkeit der Karriere eines Pferdes stellt.
Wie beeinflussen Zuchtentscheidungen für Exterieur und Bewegungsmuster die Anfälligkeit von Pferden für Verletzungen während des Trainings und im Wettkampf?
Pferde, die für extravagante Bewegungen gezüchtet werden, sind anfälliger für wiederkehrende Belastungsverletzungen, weil diese Bewegungen im Training übermäßig oft wiederholt werden. Zum Beispiel neigt man dazu, eine fortgeschrittene diagonale Fußfolge im Trab zu bevorzugen. Anstatt gleichzeitig mit dem linken Hinterbein und dem rechten Vorderbein aufzusetzen, landen diese Pferde oft mit dem linken Hinterbein vor dem rechten Vorderbein. Dadurch trägt das linke Hinterbein das gesamte Gewicht des Pferdekörpers, während in einem klassischen Trab die Last gleichmäßig auf die diagonalen Gliedmaßen verteilt wird.
Betrachtet man Standbilder junger Pferde im Galopp, erscheinen sie oft beeindruckend, mit ihrer Vorhand deutlich im Bergauf und dem weit unter den Körper gezogenen Hinterbein. Ihre Körper sind jedoch nicht ausreichend entwickelt, um diese extremen Belastungen zu bewältigen. Jede Landung belastet den Unterstützungsapparat enorm, der übermäßig und wiederholt beansprucht wird. Mit der Zeit erhöht dies die Anfälligkeit des Pferdes für Verletzungen. Zusätzlich vermute ich eine genetische Prädisposition für Verletzungen der Fesselträgerbänder bei Warmblütern, die zu einer regelrechten Epidemie dieser Verletzungen beiträgt.
Die extremen Bewegungsmuster, die wir heute bei jungen Pferden sehen, sind ein direktes Ergebnis der selektiven Zuchtziele. Diese Pferde sind jedoch oft nicht für Amateure geeignet. Sie werden für erfahrene Profis gezüchtet, um die Anforderungen des Spitzensports zu erfüllen. Dies wirft die Frage auf: Wie viele dieser Pferde erreichen tatsächlich das höchste Wettbewerbsniveau? Viele werden in sehr jungen Jahren überbeansprucht, was ihr langfristiges Potenzial einschränkt. Im Springsport werden junge Pferde häufig beim Freispringen über enorme Hindernisse trainiert. Obwohl dies ihre Sprungtechnik verbessert, führt es auch zu erheblichen körperlichen Belastungen, die in einigen Fällen zu vorzeitigen Verletzungen führen.
Die Spezialisierung der Warmblutzucht: Welche Auswirkungen hat sie auf Jungpferde?

Aufzucht wie sie sein soll: Mit viel Bewegungsmöglichkeiten und frischer Luft. Damit Jungpferde gesund groß werden, sollten sie das ganze Jahr so leben. (© Christiane Slawik)
Berücksichtigen Züchter und Trainer Ihrer Meinung ausreichend die muskuläre und koordinative Entwicklung junger Pferde bei der Auswahl für extravagante Bewegungsmuster?
Meiner Meinung nach tun sie das nicht. Die aktuellen Trainingspraktiken sind grundlegend fehlerhaft, insbesondere in den frühen Entwicklungsphasen eines Pferdes. Das Training sollte viel allmählicher und progressiver erfolgen.
Und wie steht es um die Aufzucht?
In Europa gibt es vielerorts ein großes Problem mit der Haltung junger Pferde bis zum Alter von zwei Jahren. Viele werden in den Wintermonaten in Ställen gehalten und erhalten nur minimalen Auslauf, was dem natürlichen Entwicklungsprozess von Pferden widerspricht. Pferde sollten idealerweise täglich frei im Freien bewegt werden, da diese Bewegungsmuster entscheidend für die korrekte muskuläre und koordinative Entwicklung sind.
Durch diese Einschränkungen und die Zucht auf übertriebene Merkmale verschärfen wir die Probleme. Die ersten zwei Lebensjahre eines Pferdes sind entscheidend für die Entwicklung der Propriozeption, der Muskelkraft und der Koordination. Ohne diese Grundlage setzen wir sie bereits vor dem Reiten großen Herausforderungen aus.
Wie beeinflusst die moderne Zucht das Gleichgewicht zwischen Funktionalität und Haltbarkeit bei Pferden?
Es gibt nur wenige Studien, die den Anteil von Pferden untersuchen, die mit dem Training beginnen, ein Wettbewerbsniveau erreichen und langfristig eine erfolgreiche Karriere haben. Ohne konkrete, evidenzbasierte Informationen ist es schwierig, eindeutige Schlussfolgerungen zu ziehen. Subjektiv habe ich jedoch beobachtet, dass in Großbritannien nur wenige Pferde, die in Jungpferdeprüfungen erfolgreich sind, später auch auf höherem Niveau bestehen.
Dies ist nicht unbedingt ein Versagen der Zucht, sondern eine Folge dessen, was danach passiert. Es ist eine Kombination aus Faktoren: die Geschwindigkeit des Trainings, das Management in den ersten Lebensjahren und die Pflege während der Entwicklung. All diese Elemente sind miteinander verbunden.
Ein besonders interessanter Aspekt ist die Hufpflege. In Kontinentaleuropa habe ich einen höheren Anteil von Pferden mit deformierten Hufkapseln beobachtet als in Großbritannien. In Großbritannien wird offensichtlich mehr Wert auf eine regelmäßige Hufbearbeitung von klein auf gelegt. Idealerweise sollten die Hufe junger Pferde alle zwei bis drei Wochen bearbeitet werden, um die korrekte Ausrichtung zwischen Hufkapsel und Gliedmaßen zu erhalten. Eine Vernachlässigung dieser Pflege kann langfristig zu muskulären und skelettalen Problemen führen.
Gesunderhaltung von Sportpferden trotz Zuchtspezialisierung

Wenn junge Pferde häufiger zu solchen Höhenflügen ansetzen, kann dies für ihren Bewegungsapparat schädlich werden. (© Stefan Lafrentz)
Wie kann die Integration von Zucht- und Trainingspraktiken optimiert werden, um die muskuloskelettale Gesundheit von Pferden zu fördern?
Dafür müssten wir das wirtschaftliche Modell der Branche überdenken. Derzeit besteht ein enormer Druck, junge Pferde oft schon im Alter von drei Jahren zu verkaufen oder sie so früh wie möglich zur Körung vorzustellen. Dieser wirtschaftliche Druck schafft ein System, das kurzfristige Gewinne über die langfristige Gesundheit und Belastbarkeit der Pferde stellt. Für eine ausgewählte Gruppe von Züchtern und Trainern ist das Erreichen internationaler Erfolge mit ihren Pferden ein primäres Ziel. Für viele andere liegt der Fokus jedoch auf einem konstanten Umsatz durch Verkäufe.
Langlebigkeit und Belastbarkeit sind oft nachrangige Überlegungen, was sich erheblich auf das Wohlergehen dieser Pferde auswirkt. Die Lösung liegt darin, die Prioritäten der Branche neu zu bewerten und einen Rahmen zu schaffen, der nachhaltige Praktiken fördert. Dazu gehört die Förderung langsamerer, gezielterer Trainingsmethoden, die jungen Pferden die notwendige Zeit geben, sich sowohl körperlich als auch geistig angemessen zu entwickeln, bevor sie intensiven Belastungen ausgesetzt werden.
Wird Ihrer Meinung nach ausreichend Aufmerksamkeit auf die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen der Spezialisierung in der Warmblutzucht gelegt?
Nein, ich denke ehrlich gesagt, dass dem kaum Beachtung geschenkt wird.
Gibt es erkennbare Unterschiede im Exterieur zwischen Pferden, die für verschiedene Disziplinen gezüchtet werden?
Ja, man kann deutliche Unterschiede im Exterieur und den Bewegungsmustern zwischen erfolgreichen Dressurpferden, Springpferden und Vielseitigkeitspferden erkennen. Zum Beispiel zeigt kein Springpferd die übermäßige Bewegung, die man typischerweise bei einem Top-Dressurpferd sieht. Die Welt der Vielseitigkeitspferde hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten erhebliche Veränderungen durchlaufen.
Früher wurde sie von Vollblütern und Vollblutkreuzungen dominiert. Mit der Umstellung auf das Kurzformat haben wir jedoch einen erheblichen Zustrom von Warmblütern erlebt. Diese Warmblüter sind im Allgemeinen von einem anderen Typ als die für die Dressur gezüchteten Pferde. Bei Vielseitigkeitspferden wird oft die Trainierbarkeit über die Bewegungsqualität priorisiert. Zwar kann ein gutes Bewegungstalent einen Unterschied machen, doch ist die Beständigkeit der Schlüssel.
Nehmen Sie zum Beispiel La Biosthetique Sam von Michael Jung. Er war kein Bewegungstalent, aber unter der Ausbildung von Michael Jung war er unglaublich beständig. Obwohl er möglicherweise keine 8,5 für die Bewegung erzielte, fiel er selten unter eine 7 oder 7,5, da er kaum teure Fehler machte. Seine Leistungsbereitschaft, Einstellung und Beständigkeit machten ihn zu einem hervorragenden Beispiel für ein Top-Vielseitigkeitspferd.
Gibt es Trends in der Pferdezucht, die Ihrer Meinung nach das Wohlergehen und die Leistungsfähigkeit negativ beeinflussen?
Im Dressursport scheint der aktuelle Trend stark davon geprägt zu sein, was von Richtern belohnt wird. Das ist ein entscheidender Punkt. Wenn Richter bestimmte Merkmale bevorzugen, werden Züchter und Trainer zwangsläufig darauf hinarbeiten, Pferde zu züchten, die in diesen Bereichen besonders hervorstechen. Zum Beispiel belohnen Richter oft Pferde mit überdurchschnittlichen Bewegungen, aber das kann auch Nachteile mit sich bringen. Viele dieser Pferde werden in kurzen Halsrahmen präsentiert, mit Köpfen hinter der Senkrechten, offenen Mäulern und herausgestreckten Zungen.
Dieser Trend ist besorgniserregend, da er nicht nur das Wohlbefinden der Pferde beeinträchtigt, sondern auch deren Verletzungsanfälligkeit erhöht. Um dies zu ändern, darf die Verantwortung nicht allein bei den Züchtern und Trainern liegen. Auch Richter müssen die negativen Auswirkungen erkennen, die die Bevorzugung solcher Merkmale mit sich bringt, und ihre Bewertungsstandards entsprechend anpassen. Es bedarf einer Bildung auf allen Ebenen der Branche, um gesündere und nachhaltigere Zucht- und Trainingspraktiken zu fördern.
Die aktuellen Trainingspraktiken sind grundlegend fehlerhaft, insbesondere in den frühen Entwicklungsphasen eines Pferdes. – Dr. Sue Dyson –
Anstehende Verbesserungen hinsichtlich der Spezialisierung der Warmblutzucht
Wie können veterinärmedizinische Forschung oder biomechanische Studien dazu beitragen, Zuchtstrategien zu verbessern?
Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Bereichen der Branche ist entscheidend für Fortschritte. Ohne Kommunikation kann es keine Veränderung geben. Ich habe zum Beispiel eine Studie durchgeführt, die eine hohe Prävalenz von mehrfachen Verletzungen der Fesselträgerbänder bei Pferden unter fünf Jahren aufzeigte. Das ist ein ernstes Problem, da diese Verletzungen nicht direkt mit der Intensität der Arbeit zusammenhängen. Es ist jedoch schwierig, solche wissenschaftlichen Erkenntnisse an Züchter und andere Endnutzer weiterzugeben.
Züchter insbesondere können resistent sein gegenüber der Idee, dass ihre Praktiken zu diesen Problemen beitragen könnten. Die Situation ist anders, wenn das Problem offensichtlich und unbestreitbar ist, wie beim Warmblood Fragile Foal Syndrome (WFFS). Wenn Fohlen mit empfindlicher Haut geboren werden, die leicht aufreißt, ist das Problem klar erkennbar, und die Züchter sind gezwungen, darauf zu reagieren. Wenn sich das Problem jedoch erst später im Leben manifestiert, wie zum Beispiel in Form von Lahmheiten, ist es für die Züchter weniger offensichtlich.
Infolgedessen bleiben diese weniger sichtbaren, aber genauso bedeutenden Probleme oft unbeachtet. Die veterinärmedizinische Forschung und biomechanische Studien müssen sich darauf konzentrieren, diese Lücke zu schließen, indem sie sicherstellen, dass ihre Ergebnisse für Züchter, Trainer und Richter zugänglich und umsetzbar sind. Nur durch gemeinsame Anstrengungen können wir eine nachhaltigere Zukunft für die Pferdezucht und -ausbildung schaffen.
Werden denn heute überhaupt noch genügend Pferde für Amateure und Freizeitreiter gezüchtet?
Nein, das denke ich nicht. Amateure und Freizeitreiter haben oft Schwierigkeiten, passende Pferde zu finden. Viele kaufen Pferde mit bestehenden Problemen des Bewegungsapparats, weil diese ruhiger und einfacher zu reiten sind. Obwohl sie nicht offensichtlich lahmen, sind diese Pferde für Amateure leichter zu handhaben. Im Gegensatz dazu sind gesunde Pferde, die für den Spitzensport gezüchtet werden, oft ungeeignet für Amateurreiter. Ihr Temperament, kombiniert mit ihrer extravaganten Bewegung – sei es als Spring- oder Dressurpferde – macht sie für die meisten Reiter zu schwierig.
Dies führt zu Angst und dem Einsatz von einschränkenden Hilfen, was die Pferde verwirrt und einen Teufelskreis aus Spannung und Missverständnissen schafft. Es gibt einen klaren Bedarf, dass Züchter Pferde züchten, die dem Großteil des Marktes, den Amateur- und Freizeitreiter, entsprechen. Diese Pferde sollten weniger spektakuläre Bewegungen und ein trainierbareres Gemüt haben, was sie sicherer und angenehmer für diese Zielgruppe macht.
Welche Veränderungen würden Sie gerne bei der Bewertung von Pferden während Körungen und Selektionen sehen, um langfristige Gesundheitsprobleme zu vermeiden?
Das hängt von der Art der Bewertung ab. Beispielsweise belohnen Richter bei Körungen oder Jungpferdeprüfungen oft die extravaganten Bewegungen. Manchmal belohnen sie sogar Gangarten, die laut FEI-Definitionen gar nicht korrekt sind. Das unterstreicht erneut die Rolle der Richter. Wenn sie weiterhin Eigenschaften wie extreme Bewegungen über funktionelle Korrektheit stellen, werden Züchter und Trainer weiterhin Pferde produzieren, die diesen Standards entsprechen. Eine Anpassung dessen, was von Richtern belohnt wird, ist ein entscheidender Schritt, um gesündere und nachhaltigere Zuchtpraktiken zu fördern.
Das Interview führte Adriana van Tilburg.