Warum die Gesundheit des Pferdes von der Darmflora abhängt


Bild vergrößern Pferd in der Sonne (Darmflora)

Eine stabile Darmflora beim Pferd ist die Grundlage für eine gesunde Verdauung und ein starkes Immunsystem. (© Christiane Slawik)

Das Darmmikrobiom des Pferdes hat einen erheblichen Einfluss auf die Verdauung, das Immunsystem und den Schutz vor Krankheiten. Doch die noch wenig erforschte Miniaturwelt gibt ihre Geheimnisse nur langsam preis.

Im Darm des Pferdes existiert ein eigenes kleines Universum. Hier wohnen Milliarden von Bakterien in direkter Nachbarschaft zu Viren, Pilzen und Einzellern. Die meisten besiedeln den Dickdarm, da hier der Großteil des Verdauungsvorgangs stattfindet, und erfüllen in diesem Organ lebenswichtige und gesundheitsfördernde Aufgaben.

Die Kleinstlebewesen helfen dabei, Nahrung zu zersetzen sowie Verdauungsprozesse zu fördern und sorgen für eine gesunde Darmtätigkeit. Sie versorgen den Körper mit Nährstoffen und stellen Vitamine, Botenstoffe sowie Hormone her. Sie verhindern, dass Erreger in den Darm eindringen können, bringen entzündungshemmende Stoffe hervor und bauen schädliche Stoffe ab. All das geschieht in einem versteckten Miniökosystem namens Mikrobiom. Es ist der beste Gesundheitstrainer für das Immunsystem des Pferdes.

Pferd Darmflora Mikrobiom Grafik

Je mehr, desto besser: Ein bunter Mix an Mikroorganismen hält das Pferd gesund. (© Michelle Dargatz)

Bakterien im Darm

„Ohne die Mikroorganismen wäre das Pferd nicht überlebensfähig, es könnte seine rohfaserreiche Nahrung wie etwa Heu gar nicht verdauen. Butyrat ist dabei z. B. ein ganz besonders wichtiges Stoffwechselprodukt. Es versorgt die Darmzellen nämlich mit Energie, stärkt die Darmbarriere und beeinflusst auch andere Organe wie die Lunge, die Leber und sogar das Gehirn. Ein Mangel an dieser Fettsäure steht mit vielen Zivilisationserkrankungen in Verbindung, unter denen unsere Pferde heutzutage leiden – u. a. Verdauungsprobleme, Insulinresistenz, Atemwegserkrankungen, Übergewicht, Hautprobleme oder Allergien“, erklärt Michelle Dargatz, Mikrobiomwissenschaftlerin und Futtermittelberaterin aus dem nordrhein-westfälischen Bielefeld.

Das Mikrobiom umfasst aber nicht nur den Darm, sondern auch alle Mikroorganismen, die einen bestimmten Lebensraum besiedeln, also auch die Haut, das Maul und die Atemwege des Pferdes. „Doch die Darmflora ist am größten und umfangreichsten von allen. Als Dickdarmverdauer und reiner Pflanzenfresser ist das Pferd auf die Bakterien im Darm angewiesen. Daher wissen wir über sie auch am meisten und sprechen beim Mikrobiom von der bakteriellen Besiedelung des Darms. Alles andere steckt noch in den Kinderschuhen. Durch neue technische Möglichkeiten nähern wir uns aber langsam dem ganzen Eisberg“, ergänzt Prof. Dr. vet. med. Angelika Schoster von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Direktorin der Pferdeklinik forscht zur Darmflora und untersucht, was sie aus dem Gleichgewicht bringt.

Was die Darmflora eines Pferdes beeinflusst

Darmflora Pferd: Grafik

Eine artenarme Ernährung und Umgebung, Medikamente und künstliche Zusatzstoffe hemmen die Darmbakterien, Vielfalt fördert sie. (© Michelle Dargatz)

Die Mikroorganismen stellen die Wissenschaft aber vor eine Herausforderung, denn sie werden von einer Vielzahl an Parametern beeinflusst. „In Neuseeland hat man für eine Studie 20 gesunde Pferde ein ganzes Jahr lang über draußen gehalten, an der Fütterung nichts verändert und alle zwei Wochen Kotproben genommen. Hier gab es extreme saisonale Schwankungen. Allein die Zusammensetzung von Gras und Heu unterliegt verschiedensten klimatischen Bedingungen, die sich auf die Bakterien auswirken“, berichtet sie.

Der Darm ist über das, was das Pferd täglich zu sich nimmt, in ständigem Kontakt mit der Umwelt. Neben der Ernährung haben auch Alter, Rasse, Geschlecht, Gewicht, Hormone, Stress, Erkrankungen, Schmerzen, Arbeitsleistung, Trainingszustand und Kontakte zu Artgenossen einen Einfluss auf das Mikrobiom. Was also ist eine normale Darmflora? Diese Frage kann man nicht pauschal, sondern nur individuell für jedes Pferd beantworten. „Wir kennen bisher die ungefähre Zusammensetzung, die bei einzelnen Pferden auf hoher Ebene ähnlich ist“, sagt sie.

Magen-Darm-Probleme

Bekannt ist außerdem, dass Pferde mit Stoffwechselstörungen (Kolik, Durchfall) oder -erkrankungen wie z. B. Cushing oder Equines Metabolisches Syndrom Unterschiede im Mikrobiom im Vergleich zu gesunden Pferden aufweisen. Sie verfügen über eine geringere Anzahl an Bakterien oder besitzen Bakterien in einer anderen Häufigkeitsverteilung. Beides stört das empfindliche Miniatursystem. Doch nicht immer ist klar, was zuerst da war – die Henne oder das Ei?

„Hat die Erkrankung dazu geführt, dass sich die Darmflora negativ verändert hat, oder hat das Pferd schon immer eine andere Darmflora gehabt und deswegen eine Erkrankung entwickelt?“ Dieses Rätsel muss noch gelöst werden. Eine Ausnahme bildet übrigens das Kotwasser. „Hier konnten wir keine Veränderungen feststellen“, merkt die Wissenschaftlerin an.

Wirkungslos: Die Darmflora vom Pferd sanieren

Pferde fressen Heu

Defizite in der Heuqualität wirken sich negativ auf die Darmgesundheit aus. (© Slawik)

Da viele Pferde an Magen-Darm-Problemen leiden, bietet der Markt eine breite Produktpalette zur sogenannten Darmsanierung an. Doch die Expertinnen raten von Probiotika und anderen Mitteln ausdrücklich ab. „Besonders Pro- und Präbiotika stammen ursprünglich aus dem Humanbereich. Aber sie lassen sich nicht so einfach auf das Pferd mit seinem hochspezialisierten Verdauungstrakt übertragen. Beim Pferd fehlt größtenteils der wissenschaftliche Nachweis für eine positive Wirkung.

In Studien hat man sogar festgestellt, dass vor allem Milchsäurebakterien und ihre Präbiotika mit Erkrankungen wie Magengeschwüren und Hufrehe einhergehen. Es gibt daher keine einfache Darmsanierung, die einmal durchgeführt wird und dann ein gesundes Mikrobiom garantiert. Diese Vorstellung ist zwar verbreitet, greift aber viel zu kurz“, betont die Biotechnologin. Viele Mikroorganismen, die für ein gesundes Mikrobiom entscheidend sind, lassen sich derzeit zudem weder kultivieren noch kommerziell herstellen. Das sei aber auch nicht notwendig, meint sie, weil die Natur theoretisch alles hergeben würde.

Falscher Ansatz bei der Darmsanierung

Prof. Dr. vet. med. Angelika Schoster erklärt: „Die meisten Produkte verfügen nur über irgendwelche Zusatzstoffe, die irgendwelche Bakterien irgendwann zum Wachsen bringen sollen. Und auch wenn es sich um echte Probiotika mit lebenden Bakterienstämmen handelt, müssen diese zunächst durch die Magensäure, die Galle und den Dünndarm bis in den Dickdarm gelangen. Dort treffen sie auf eine Milliarde anderer Bakterienstämme und sollen sich hier etablieren. Das ist wie ein Bauer in einem Schachspiel, der hat nicht viele Möglichkeiten.“

Und Lactobazillen, auf die man sich fokussiert habe, würden im Dickdarm des Pferdes nur eine untergeordnete Rolle spielen. „Man zieht also auch noch den falschen Bauern heran.“ Inzwischen ist klar, dass beim Pferd völlig andere probiotische Bakterienstämme wichtig sind als beim Menschen und dass nicht nur einzelne Bakterienstämme betrachtet werden müssen, sondern ganze Bakteriengemeinschaften.

schwarzes Pferd

Eine gestörte Darmflora kann zu Verhaltensänderungen wie erhöhter Nervosität führen. (© Slawik)

Nutzlose Kotprobe: Keine Info über die Darmflora

Wie einfach wäre es, wenn sie alle im Kot des Tieres abgebildet werden könnten. Doch: „Es ist momentan nicht möglich, via Kotprobe festzustellen, ob das Pferd eine gesunde Darmflora hat, weil wir nicht wissen, welches Mikrobiom für dieses individuelle Tier normal wäre. Genau das bieten aber verschiedene Firmen an. Hier geben Pferdebesitzer umsonst Geld aus.“

Auch die Mikrobiomwissenschaftlerin sieht darin keinerlei Nutzen. „Weil wir nur wenige Mikroorganismen kultivieren können, sehen wir einen winzigen Bruchteil der tatsächlichen Vielfalt. Wenn man das Mikrobiom wirklich beurteilen will, braucht es sogenannte erbgutbasierte Sequenzierverfahren, die die Grundlage aller wissenschaftlichen Untersuchungen zum Darmmikrobiom sind.“

Das Mikrobiom durch Ernährung und Haltung verbessern

Um die Ursachen einer gestörten Darmflora zu finden, empfehlen beide eine ehrliche Bestandsaufnahme. Wie steht es um die Fütterung und die Managementmaßnahmen? Helfen oder schaden sie dem Mikrobiom? Für Michelle Dargatz weist die moderne Ernährung aus mikrobieller Sicht zwei zentrale Mängel auf: „Es fehlt an Vielfalt, und es sind zu viele antimikrobielle Substanzen in Fertigfuttermischungen enthalten. Viele Pferde erhalten überwiegend artenarmes Raufutter, wenig frische Pflanzen und kaum sekundäre Pflanzenstoffe.

Hinzu kommen hohe Gehalte an synthetischen Mineralstoffen sowie Zusatzstoffen wie Konservierungsmitteln, die häufig hemmend auf Bakterien wirken, welche wiederum wichtig für das Mikrobiom sind. Das wird dadurch nicht nur unterversorgt, sondern regelrecht aus dem Gleichgewicht gebracht“, bemängelt sie. Hinzu kommen ungünstige Umweltfaktoren. Versiegelte Flächen, monotone Vegetationen, Pestizide, Herbizide und fehlende Sozialkontakte würden die natürlichen Quellen verringern und dem Mikrobiom ebenso schaden wie Medikamente (Antibiotika, Entwurmungsmittel).

fressendes Pony

Mit einer abwechslungsreichen Fütterung kann der Mensch die Darmflora beim Pferd unterstützen. (© Slawik)

Die Darmflora des Pferdes gezielt unterstützen

Mit ihrem Start-up „Natural Equibalance“ hat sich die Biotechnologin auf die Entwicklung mikrobiomfreundlicher Futtermittel spezialisiert. Die gezielte Fütterung von Butyrat kann ihrer Meinung nach sinnvoll sein, um der Darmschleimhaut kurzfristig Energie bereitzustellen und die Ansiedlung butyratproduzierender Bakterien zu unterstützen.

Trotzdem sollten weitere Managementmaßnahmen für ein gesundes Mikrobiom umgesetzt werden. Ansonsten fällt der Effekt schwächer aus. Übertrieben gesagt: Wenn ein Mensch ein Nahrungsergänzungsmittel für seinen Darm einnimmt und gleichzeitig immer Fastfood isst, darf er sich auch nicht wundern, warum der Effekt ausbleibt. – Michelle Dargatz –

Die Direktorin der Pferdeklinik warnt zusätzlich vor einer zu kraftfutterreichen und zuckerhaltigen Fütterung. „Diese erhöht die Produktion von Entzündungszellen im Darm. Im Gegenzug liegen die Bakterien, welche die pflanzliche Zellulose aufspalten, nur noch in einer geringeren Menge vor.“ Hat ein Pferd Probleme mit der Verdauung, sollten zunächst alle Zusatzfuttermittel gestrichen werden. „Zurück zu den Basics. Nur noch Heu. Raufutter bringt immer Stabilität in die Darmflora“, so Prof. Dr. vet. med. Angelika Schoster.

Aktuelle Therapieansätze für Pferde mit gestörter Darmflora

Ein gesundes Mikrobiom ist aber noch aus einem anderen Grund erstrebenswert: Studien geben erste Hinweise darauf, dass es eine Verbindung zwischen der Ernährung und dem Verhalten von Pferden gibt. Vor allem stärkereiches Futter kann – ausgelöst durch eine gestörte Darmflora – zu Verhaltensänderungen wie Anspannung und Nervosität führen. Denn: Gehirn und Darm sind direkt über Nerven und im Blut zirkulierende Botenstoffe verbunden. Damit beeinflussen die Mikroorganismen auch die kognitiven Fähigkeiten.

Ein verändertes Futtermanagement ist übrigens nur notwendig, wenn das Pferd wirklich Symptome einer Dysbiose zeigt und andere Ursachen wie z. B. Magengeschwüre oder Probleme mit der Leber oder Niere ausgeschlossen werden können. „Ist all dies nicht der Fall, und leidet das Pferd weiterhin beispielsweise an akutem oder chronischem Durchfall, kann eine Fäkaltransplantation hilfreich sein.

Pferd am grasen

Wiesenflächen sind häufig sehr artenarm – es mangelt ihnen an Vielfalt. (© Slawik)

Fäkaltransplantation beim Pferd: Darmflora verbessern

Wir forschen aktuell in diese Richtung und transplantieren den Kot von gesunden Tieren via Schlundsonde in die Mägen von erkrankten. Mit dieser Methode haben wir gute Erfahrungen gemacht. Sie ist sehr alt, aber wieder neu aufgeflammt, als Personen nach Antibiotikagaben im Krankenhaus sehr schwere Durchfallerkrankungen entwickelten. Damit gab es eine über 90-prozentige Heilungschance“, erläutert die Wissenschaftlerin.

Doch das ist nur übergangsweise eine Therapie. „Welche Hauptakteure dominieren den Dickdarm des Pferdes? Und wie können wir sie im Labor nachzüchten? Wenn wir diese Fragen beantworten können, sind wir unserem Ziel schon sehr nah. In der Humanmedizin ist man hier bereits einen Schritt weiter.“

Forschung und Ausblick

Beim Menschen gelingt die fäkale Mikrobiomtransplantation über das Einnehmen einer Kapsel, in der sich die im gesunden Spenderstuhl vorhandenen lebenden Mikroorganismen befinden. Und auch die Zusammenhänge zwischen einzelnen Bestandteilen der Ernährung und einer gestörten Darmflora sind bei uns Zweibeinern besser erforscht.

Bis es auch in der Tiermedizin so weit ist, liegt ein gesundes Mikrobiom in den Händen der Pferdebesitzer. „Entscheidend ist ein langfristiges, ganzheitliches Dranbleiben – und wenn notwendig ein Umdenken“, so Michelle Dargatz abschließend.

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