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So sieht Richterin Nicole Nockemann die Leitlinien im Reitsport


Bild vergrößern Portrait Nicole Nockemann

Wünscht sich mehr Austausch und Gemeinsamkeit im Reitsport: Nicole Nockemann. (© privat)

Nicole Nockemann ist internationale Richterin (Level3) und national Mitglied im Fachausschuss Dressur der Deutschen Richtervereinigung (DRV) und dort auch Gutachterin. Mit uns spricht sie darüber, wie die Leitlinien im Reitsport in die Beurteilung bei Turnieren einfließen und wie sich der mentale Stress von Turnierpferden minimieren lässt.

Neben ihren Tätigkeiten als Richterin und Gutachterin ist Nicole Nockemann selbst siegreich in der Dressur bis zur Klasse S** und Inhaberin des Goldenen Reitabzeichens.

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Status Quo der Leitlinien im Reitsport

Wie nehmen Sie die Entwicklung und Umsetzung der Leitlinien im Reitsport wahr? Was tut sich aktuell?

Nicole Nockemann: Der Tierschutz und das Wohlergehen des Pferdes unter Berücksichtigung der ethischen Grundsätze stehen an erster Stelle. Dazu gehören eine gute Versorgung und Unterbringung mit adäquaten Bewegungsmöglichkeiten und Sozialkontakt. Das Gesundheitsmanagement: hierzu zähle ich mindestens eine regelmäßige Huf– und Zahnpflege, Impfungen, Wurmkuren bis zu besonderen unterstützenden Maßnahmen (Tierarzt, Physio, Osteo, Akupunktur, technische Geräte etc.). Außerdem passende Ausrüstung und die schonende und artgerechte Ausbildung gemäß der Skala der Ausbildung sind weitere elementare Bestandteile der Leitkultur.

Wer diese Grundsätze befolgt handelt korrekt und wird mit seinem Partner Pferd gut umgehen. Im Grunde sind diese Richtlinien seit Jahrzehnten in den Richtlinien Band eins und zwei der FN beschrieben. Bedauerlicherweise werden aber diese Grundlagen weniger gelehrt und auch nicht mehr vollständig gelesen beziehungsweise verstanden. Das Wissen über die Zusammenhänge und die Erfahrung der Ausbilder muss mehr beachtet werden. Heutzutage wird lieber mal „rasch gegoogelt“ und einem modernen Mainstream gefolgt. Wer im Internet „falsch abbiegt“ ist ebenso schnell auf falschen Ausbildungswegen. Der Druck durch die sozialen Medien ist groß. Informationen und Nachrichten, die dem Pferdewohl nachhaltig schaden, müssen schnell bestraft werden. Aber leider ist das Internet auch voll von unkorrekten Informationen und das beeinflusst viele Menschen, die sich nicht vollständig tief mit den Hintergründen befassen (wollen).

Es gibt viele Stakeholder im Bereich des Pferdesports: Züchter, Ausbilder, Reiter, Richter, Tierärzte, Ausrüster, Veranstalter, Händler, Verbände – um nur einige zu nennen. Die Verbände und Vereine sollten aktiv dafür werben, dass alle Parteien ihre Verantwortung kennen und für ihre Pflichten einstehen. Reitvereine sollten die gute Reitausbildung fördern, insgesamt wünscht man sich eine breitere Basis. Die Vielfalt im Reitsport ist größer denn je, das Wohlergehen muss aber immer an erster Stelle stehen, neben den klassischen Sparten (Turnierbereich: Dressur, Springen, Vielseitigkeit, Fahren, Voltigieren und Para) folgen auch viele weitere Aktivitäten ohne direkte „Leistungsüberprüfung“.

Das Pferd ist extrem relevant in der Gesellschaft, nicht nur auf der sportlichen Ebene, sondern auch im sozialen Bereich. – Nicole Nockemann –

Inwiefern beeinflussen die ethischen Leitlinien und Tierschutzvorgaben Ihre Entscheidungen bei der Beurteilung von Pferden während eines Turniers?

Um Richter zu werden muss man eine mehrjährige Ausbildung absolvieren. Neben sportlichen Erfolgen werden vielfältige Theorie- und Praxiseinheiten vorausgesetzt, bevor die Prüfung ansteht. In dieser Ausbildung und auch danach sind die LPO sowie die Richtlinien für Reiten und Fahren die Grundlage unseres Handelns.

Meine Aufgabe beim Richten einer Prüfung (ich spreche hier für den Bereich Dressur) sehe ich darin, dass ich die Anforderungen an das Pferd beziehungsweise den Reiter entsprechend der gestellten Aufgabe überprüfe und zwar mit dem Wissen zur Skala der Ausbildung und deren Zusammenhänge. Hierbei ist dann zu unterscheiden, ob ich die Vorstellung mit einer Gesamtwertnote oder jede der geforderten Lektionen bewerte und um welche Art der Prüfung es sich handelt.

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Bei einer Gesamtwertnote werde ich im besten Fall in einem mündlichen Kommentar zum Ritt dem Reiter Feedback geben und über eine Wertnote den gezeigten Leistungsstand für den Tag ausdrücken. Allein die Zahl ist nicht hilfreich genug, eine schriftliche oder mündliche Erläuterung ist obligatorisch. Gebe ich jeder Lektion eine eigene Bewertung, kann ich das Paar deutlich differenziert bewerten. Lektionen, die nicht befriedigend ausgeführt werden, sind immer zu begründen. Hinweise zur Verbesserung gebe ich soweit es möglich ist. Takt, Losgelassenheit und Anlehnung sind die ersten Punkte der Skala der Ausbildung. Anhaltende Mängel oder deutliche Störungen können daher nicht zu guten Gesamtbeurteilungen führen.

Zudem wird auf dem Turnier zwischen Vorbereitungsplatz und Prüfungsplatz unterschieden. Bereits auf dem Vorbereitungsplatz wird die Aufwärmphase der Pferde überwacht. Nachhaltige Verstöße gegen das korrekte Aufwärmen werden dort bereits geahndet. Und der Reiter kann im Wiederholungsfall oder bei extremen Verstößen ausgeschlossen werden. Nur ausgebildete Richter dürfen hier Aufsicht haben. Die Ausrüstung wird – soweit möglich – ebenfalls mit in Augenschein genommen. Wenn der Veranstalter hier in einen weiteren Kollegen „investiert“ dann ist es sogar möglich, dass ein Richter alle Reiter sorgfältig prüft bezüglich Zäumung und Hilfsmittel und für Fragen von Zuschauern zur Verfügung steht.

Der mentale Stress von Turnierpferden

Wie gehen Sie mit den physischen und psychischen Anforderungen der Pferde im Hochleistungssport um? Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht wichtig, um das Wohl der Pferde zu gewährleisten?

Egal ob Freizeitpferd, Reitpferd, Turnierpferd mit wenigen oder häufigen Einsätzen: Jedes Pferd ist individuell auf seine Aufgabe fair vorzubereiten. Physis, Kondition, Kraft und Beweglichkeit sowie Lern- und Leistungsfähigkeit, ein stabiles Interieur und Vertrauen sind hier sehr wichtige Grundlagen, um ein gesundes und resilientes Pferd auszubilden.

Im sogenannten „Hochleistungssport“ werden die Sportpferde in der heutigen Zeit soviel besser betreut als früher. Zum Beispiel durch: Exzellentes Futter, medizinische Top-Versorgung durch regelmäßige Vet-Checks, häufig einen persönlichen Pfleger für die Betreuung und als Kontaktperson, regelmäßige Impfungen, individuell angepasste Ausrüstung, Wellness-Equipment (Physio, Osteo, Magnetfeld, etc), standardisierte Boxen mit Mindestgröße und hohe hygienische Anforderungen, gut organisierte Transporte, limitierte Starts auf Turnieren / Mindestalter für Prüfungen. Pferde, die hier an den Start gehen werden über einen langen Zeitraum aufgebaut.

Guter Turniersport beginnt weit vor dem Start – und zwar zu Hause. Gangarten, Anlehnung, Kriterien der Lektionen sind zu trainieren, dabei ist die mentale Stärke ebenso wichtig. Auf dem Turnierplatz in einer Prüfung habe ich als Richterin aber nur eingeschränkte Möglichkeiten auf zum Beispiel eine Stressreaktion zu reagieren.

Guter Turniersport beginnt weit vor dem Start – und zwar zu Hause. – Nicole Nockemann –

Was können Reiter und Trainer tun, um den physischen und mentalen Stress für ihre Pferde während der Turniersaison, aber auch generell, zu minimieren?

Hier halte ich mich selbst an die Regel: „lernen von Experten“ – soll heißen, dass erfahrende Reiter und Trainer ihr Wissen teilen sollten, um Tipps zu geben und positive Möglichkeiten aufzuzeigen. Von meiner Seite gebe ich gerne zwei Anmerkungen: Vertrauen ist die Basis von allem und das Pferd braucht eine Umgebung, in der es mit Vertrauen sein kann sowie auf dem Turnier wird nichts „geübt“, dass zu Hause nicht klappt. Beispiel: wenn der fliegende Galoppwechsel noch nicht sicher klappt, dann reite ich auf dem Turnier nicht in der Klasse M und sag als Resümée: „der Rest war aber ganz gut“. Die sichere Selbstreflektion erwarte ich von Reitern und Trainern. Wir als Richter können den aktuell gezeigten Leistungsstand bewerten.

Was ist Ihre Vision für den zukünftigen Reitsport?

Jeder, der sich mit einem Pferd beschäftigt, muss dies mit Respekt und Verantwortungsbewusstsein tun. Der Umgang mit so wunderbaren Lebewesen ist ein Privileg, das Vertrauen dieser gutmütigen Kreaturen darf nicht gebrochen werden. Und gleichsam ist es wichtig, dass wir den Sachverstand haben und erlernen, dass wir ein circa 600 Kilogramm schweres Lebewesen durch klare, strukturierte Ausbildung als Partner für uns gewinnen. Demnach ist Vision 1: Respekt und Sachverstand, Lernen von Experten und schonende Ausbildung.

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Berechtigte Kritik an falschen Ausbildungswegen oder schlechter Umgang sind scharf zu ahnden. Kein Zweifel hieran. Aber es muss unterschieden werden, ob das Pferd klar geschützt werden muss, oder ob es eine „schlechte Lektion / Situation“ gibt. Keine Frage, auch das will man vermeiden, aber in einer Prüfung kann es zu einer Störung kommen, so kann es auch für Momente mal „schlechtere Bilder geben“. Eine momentane Unterbrechung der generellen Harmonie ist zu unterscheiden von durchgängigem Stress. Hier braucht es mehr sachliche Basis. Vision 2 also: mehr Austausch zwischen Reitern, Trainern, Züchtern, Richtern und Interessierten – mehr Gemeinsamkeit als „jeder gegen jeden“.

Und Vielfalt: wir Reiter und Richter sind schnell in unserer eigenen „Bubble“. Aber eine Akzeptanz der anderen Sparten (so sie sich an die ethischen Grundsätze halten) und eine gewisse Offenheit ist zielführend, wenn wir die Pferde in unserer Gesellschaft etabliert halten wollen. Die permanent ansteigenden Kosten sowohl für den Kauf und als auch für den Unterhalt eines Pferdes sind mit der Grund, dass Menschen zwar fasziniert sind von unseren Pferden, aber vor der Gesamtaufgabe Pferd dann doch zurückschrecken. Daher gibt es auch immer weniger klassische Reitschulen, was ich sehr bedaure. Meine dritte Vision: Vielfalt, Akzeptanz und Emotion.

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