„Ich schieße niemanden mit meiner Kamera ab“, sagt Gabriele Boiselle. Der Fotografin aus Speyer ist es wichtig, eine Verbindung mit dem Mensch oder dem Tier herzustellen, das sie in Szene setzt. Das sieht man ihren Bildern an, die unter anderem hunderttausende Kalenderblätter zieren. Sie erzählen Geschichten aus aller Welt.
Hunderttausende Fotos hat Gabriele Boiselle in ihrem Leben gemacht. Seit 40 Jahren bringt sie Kalender in ihrem eigenen Verlag auf den Markt. Ihre Bilder sind international bekannt, ihre Kalender und Bücher verkauften sich weltweit. Heute sind es noch acht verschiedene Kalender, die sie produzieren lässt und von Speyer aus in die Welt verschickt. Es sind Pakete im Überformat, die ihr Lager verlassen. Die Bilder von Gabriele Boiselle verdienen Platz, um zu wirken und ihre ganze Faszination zu entfalten.
„Ich fotografiere nie einfach nur ein Pferd“, sagt die 70-Jährige. Für sie ist die Pferdefotografie viel mehr.
Im Fokus steht die Verbindung zwischen Kamera und Tier. „Es ist wie ein silberner Faden, die Energie fließt zwischen mir als Fotografin und dem Pferd hin und her. Es schaut sich genau an, wer es fotografiert, nicht nur ich schaue es an. Wir berühren uns gegenseitig“, sagt Gabriele Boiselle und lehnt sich auf ihrem orangen Dreisitzer-Sofa zurück.
40-jähriges Jubiläum von Edition Boiselle
Gabriele Boiselle in ihren Büroräumen: Besondere Bilder zieren die Wände, die alten Holzpfeiler erzählen die Geschichte von mehr als 200 Jahren Voglerhof in Speyer, dem ursprünglichen Familiensitz. (© Lafrentz)
Große Kissen zieren das Sofa, ein Teddybär sitzt neben ihr. Zu ihren Füßen liegt Brunhilde, die Hündin ist die wachsame Begleiterin von Gabriele Boiselle. Hinter ihr steht ein großer Schreibtisch, ihr Arbeitsplatz im oberen Geschoss ihres Verlagsbüros. Es herrscht Wohnzimmeratmosphäre, durch die großen Fenster sieht man draußen die Regentropfen fallen.
Eine Etage tiefer sitzen Gabriele Boiselles Mitarbeiterinnen, Helium-Luftballons zeugen noch von der Geburtstagsfeier Ende Oktober. Neben ihrem 70. Geburtstag feiert Gabriele Boiselle in diesem Jahr auch 40-jähriges Jubiläum ihres Verlags, der Edition Boiselle.
Gabriele Boiselle: Nur Mut
Das Leben von Gabriele Boiselle gleicht einer Erfolgsgeschichte, die mit einem Zufall begann. 1984 reiste sie nach Ägypten, um das ägyptische Staatsgestüt EL Zahraa zu finden. Die arabischen Pferde zogen sie von da an gänzlich in ihren Bann und noch etwas passierte. Gabriele Boiselle traf Mohy Quandour, einen Mann, der ihr Leben verändern sollte.
Er lud sie ein, seine Pferde zu fotografieren. Damals noch mit einer analogen Kamera. 36 Aufnahmen pro Film. „Es war eine andere Zeit. Die Wertschätzung für die Fotografie war eine andere. Das Bild war wie es war. Es gab keine Möglichkeit der Korrektur oder der Manipulation“, sagt Gabriele Boiselle. Das ist heute anders. Die digitalen Möglichkeiten sind grenzenlos.
Ein Foto muss einen Funken in sich bergen
Nur muss ein gutes Bild nicht perfekt sein. „Ein Foto muss einen Funken in sich bergen, der etwas in einem entzündet und dieses einzigartige Gefühl der liebevollen Verbindung zu Pferden leuchten lässt“, erläutert Gabriele Boiselle. Diese besondere Verbindung ist es, die sie antreibt. Schon immer. „Mich hat es schon als kleines Mädchen in den Stall gezogen. Ich bin mit einer besonderen Sensibilität für sie geboren. Ihre Kraft, Schönheit, ihr Herz, ihre Seele berühren mich zutiefst. Sie verbinden mich mit dem Rest der Welt. Das kann kein anderes Lebewesen“, beschreibt Gabriele Boiselle ihre Verbundenheit zum Pferd.
Zurück ins Jahr 1984, nach Ägypten. Mohy Quandor bat Gabriele Boiselle auch die Pferde einer Freundin zu fotografieren. Sie sagte zu und stand – ohne es zu wissen – vor dem Gestüt der königlichen Hoheit Prinzessin Alia al Hussein von Jordanien. Sie fotografierte ihre Pferde, bekam den Auftrag einen Kalender für sie zu produzieren und die Edition Boiselle war geboren. Zufall?
Ich glaube, dass jeder Mensch sein Schicksal hat. Wir aber über die Abzweigungen selbst entscheiden können. – Gabriele Boiselle –
Die blonde Frau, die einst Kommunikationswissenschaften studierte und als Journalistin tätig war, hat ihr Leben schon immer selbst in die Hand genommen. Alleine zu reisen? „Das Beste.“ In fremde Länder zu reisen? „Hat mich sehr viel Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Menschenliebe erfahren lassen. Meine Reisen, mein Leben ist voll davon. Ich kann also die miesen Menschen gar nicht aufzählen, weil ich sie vergessen habe. Und wenn ich doch einen getroffen habe, tat er mir leid, weil er eigentlich immer in der Unfähigkeit verhaftet war, sich selbst zu relativieren.“ Gabriele Boiselle glaubt an das Gute im Menschen.
Ihr Herz schlägt für Pferde: Gabriele Boiselle
Als sie begann, Pferde in aller Welt zu fotografieren, fiel sie auf. Eine junge, blonde Frau mit wachem, neugierigem Blick. „Natürlich habe ich Aufmerksamkeit auf mich gezogen, besonders außerhalb Europas. Doch als Fotografin beobachte ich auch. Ich bin stille Teilhaberin. Und die Menschen vergessen nie, dass ich da bin. Ehe ich ein Foto mache, nehme ich mit meinem Blick Kontakt auf. Die Menschen reagieren darauf“, sagt sie und ihre blauen Augen leuchten. Die Begeisterung für ihren Beruf ist ihr anzumerken. Was sie tut, war für Gabriele Boiselle nie Arbeit, sondern Leidenschaft. Und sicherlich ist auch dies ein Grund, warum sie in ihrem Leben nicht nur viel, sondern vor allem erfolgreich gearbeitet hat.
Macht das zufrieden? „Die Zufriedenheit liegt in meinem Leben. Ich brauche kein gutes Bild machen, um zufrieden zu sein. Ich bin zufrieden, wenn ich bei den Pferden bin, wenn ich reisen kann. Meine Zufriedenheit liegt in dem, was ich tue“, sagt Gabriele Boiselle.
Geschichten einfangen: Tausende Dias
Pure Freude: Brunhilde ist seelig, als ihr Frauchen die Treppe wieder hochkommt. Jene führt zum Archiv der Fotografin. (© Lafrentz)
Brunhilde atmet tief aus. Ihr Schnaufen mutet einem Seufzer an. Gabriele Boiselle lächelt. Sie hat schon immer große Hunde gehabt. Wolfshunde, Doggen. „Ich mag die Ruhe, die sie ausstrahlen“, sagt sie lächelnd und wirft einen Blick durch das Fenster in den grauen Novemberhimmel. Der Ort, an dem ihr Schreibtisch nun steht, war einst der Heuboden. Ihr Verlag ist auf dem Bauernhof ihrer Großeltern beheimatet, mitten in Speyer. Der Voglerhof ist mehr als 200 Jahre alt, beherbergte einst Kühe und andere Tiere. Nun ist er die kreative Ideenschmiede von Gabriele Boiselle.
Im Untergeschoss ist ihr Bildarchiv. Tausende Dias warten in Hängeregistern verstaut. „Ich habe schon viel weggeschmissen“, sagt Gabriele Boiselle. Ihr Archiv lässt sie nachdenklich wirken. All die Bilder sind ihr Leben, bereits gelebtes Leben. Sie zeugen von Reisen zu Pferden auf der ganzen Welt, von Staatsgestüten, königlichen Hoheiten, Pferdemenschen, die es überall gibt. „Die innige Beziehung zwischen Mensch und Pferd wird in diesen Schränken sichtbar“, sagt Gabriele Boiselle und zieht einzelne Dias heraus. Es ist eine Zeitreise. Ein Ort, an dem man sich in Geschichten verlieren kann. Ein Ort, an dem Menschen und Pferde zu sehen sind, die nicht mehr leben.
Ihre Pferde, ihre Freude – Gabriele Boiselle
Bea und Gabriele Boiselle. Die Stute ist bei ihr zur Welt gekommen. „Ich kann kein Pferd verkaufen. Das ist, als ob ich meine Mutter verkaufen würde“, lacht Gabriele Boiselle. (© Lafrentz)
Es ist ein Blick zurück. Gabriele Boiselle schaut gern nach vorn, plant Neues. Sie geht die Treppe hoch, oben wartet freudig Brunhilde auf sie. Im Treppenhaus hängen einige ihrer Kalender. Von Arabern über Friesen, Haflinger und Schwarzwälder Füchse. Sie selbst hat ihr Herz früh an eine Trakehnerstute verloren: Feenwind. Sie zog bei ihr ein, als sie 14 Jahre alt war.
Nun steht die fünfte Generation im Stall: Bea und Noel. Beides rüstige Senioren. Halbgeschwister und Nachkommen ihres Seelenpferds Falkenwind, genannt Fritz. 37 Jahre haben die beiden gemeinsam verbracht. Gabriele Boiselle war in der ersten und in der letzten Stunde seines Lebens dabei. „Er hat mir alles beigebracht. Wenn ich in Gedanken noch im Büro war, hat er mich in den Sand gesetzt. Er war schön, athletisch, leicht zu reiten, eigenwillig – ein Traum von einem Pferd. Wir waren eine Einheit und ich durfte ihn selbst züchten“, erinnert sie sich voller Dankbarkeit.
Pferde sind Lebensenergie und Freude
Ihr Stall liegt nur wenige Fahrminuten vom Voglerhof entfernt. Wenn sie von einer Reise nach Hause kommt, gehe sie immer zuerst in den Stall. Sie setze sich zu ihren Pferden in die Box, ihre Freude. „Denn wer das Glück hat, mit Pferden sein zu dürfen, der hat das große Los im Leben gezogen. Pferde sind pure Lebensenergie, einfach Lebensfreude. Immer wieder, jeden Tag.“
Wenn Gabriele Boiselle über Pferde spricht, redet sie mit ihrem ganzen Körper. Die Hände gestikulieren, ihren Mund umgibt ein Lächeln, ihre Augen strahlen, ihre Worte wählt sie mit Bedacht, ihre Stimme ist klar und zugleich nahezu besonnen. Sie lebt für ihre Faszination. Pferde unterschiedlichster Rassen begeistern sie. Es ist die Aura der Tiere. „Wer die Energie einer Pferdeherde einmal gespürt hat, vergisst sie nie mehr“, sagt Gabriele Boiselle. Die Anmut der Tiere festzuhalten, die den Menschen und seine Kultur seit Jahrtausenden prägen, hat sie sich zur Lebensaufgabe gemacht. Es ist ihr Ansporn und ihre Motivation, mutig neue Wege zu gehen.
Gabriele Boiselle – Exot in der Pferdefotografie
Fotografen unter sich: Gabriele Boiselle spielt mit der Kamera von unserem Fotografen Stefan Lafrentz. (© Lafrentz)
„Ich war schon immer der Exot in der Welt der Pferdefotografen. Reise durch die Welt. Lehne sehr hochdotierte Aufträge ab, wenn mir nicht gefällt, wie mit den Pferden umgegangen wird und ich habe mich bewusst gegen die Sportfotografie entschieden. Ich konnte zu vielen Pferden nicht mehr in die Augen schauen.“ Zugleich ist sie eine Pionierin ihrer Kunst. Sie gibt seit 30 Jahren Foto-Workshops.
Ihre Bilder haben Wiedererkennungswert. So lichtete sie vor 20 Jahren 101 Pferde innerhalb von drei Tagen im Fotostudio ab. Jenes hatte sie auf der Messe Hansepferd eingerichtet. Die Bandbreite der Motive reicht von klassischen Porträts und Standaufnahmen über freie Pferde ohne Zaumzeug und Sattel bis hin zu hoher Dressur und rasanten Kunststücken auf kleinstem Raum. Es war ihr erstes Shooting dieser Art, mit vielen Unterstützern an ihrer Seite.
Pferdefotografin aus Leidenschaft
Gabriele Boiselle liest ganz spontan, mitten im Lager, aus ihrem neuesten Buch vor. Es ist ein Blick auf ihr Leben als Pferdefotografin. (© Lafrentz)
„Und unglaublich viel Arbeit. Doch es war ein Geschenk des Universums. Ich durfte so viele tolle Pferde und Menschen fotografieren und konnte bei dieser Herausforderung sehr viel lernen“, sagt Gabriele Boiselle im Nachhinein. Aus dem Studioprojekt ist ein Buch entstanden, zum 20-jährigen Jubiläum der Edition Boiselle. 20 Jahre später hat Gabriele Boiselle ein weiteres Buch veröffentlicht, es ist ein Blick auf ihr Werk. Auf ein Leben als Pferdefotografin aus Leidenschaft.
„Die Pferde geben mir Energie. Ihre Lebensenergie wischt alles weg. Wenn ich Rückschläge erlebt habe, haben mir die Pferde immer geholfen. Sie sind meine Lebenstherapie. Ich kann mir nicht vorstellen, keine Pferde mehr zu fotografieren. Pferde zu fotografieren, ist für mich Leben, pures Leben. Ich werde noch mit dem Rollator auf die Koppel gehen“, sagt Gabriele Boiselle und lächelt.
Traum vom eigenen Gnadenhof
Am liebsten ist Gabriele Boiselle ihren Pferden ganz nah. So wie hier der Tigerscheck-Stute Glory. „Meine Pferde haben mich gesucht“, lacht Gabriele Boiselle als sie kurzerhand vor dem Shetty auf dem Boden sitzt. (© Lafrentz)
Ihr Lieblingsplatz ist an ihrem Stall. Ein Wärmestrahler hängt über einer kleinen, weißen Bank. Kissen tummeln sich darauf und Gabriele Boiselle beobachtet hier am liebsten ihre elf Pferde. Vom Shetty bis zum Warmblut ist alles dabei. Die Pferde laufen in gemischten Herden. Brunhilde mittendrin. „Früher war hier überall Wald drumherum, nun wurde alles zugebaut“, sagt Boiselle.
Ihr Traum ist es daher, einen Hof zu kaufen. Sie möchte einen Gnadenhof für Pferde aufbauen. Es soll ein Ort sein, an dem Menschen von und mit den Pferden lernen können, Zeit verbringen können und „in die Aura der Pferde eintauchen können“. Gabriele Boiselle möchte den Pferden etwas zurückgeben. „Ich fühle mich bereit für ein neues Kapitel, ohne meine bisherigen Tätigkeiten aus den Augen zu verlieren. Ich bin noch voller Tatendrang. Es ist ein guter Zeitpunkt“, sagt Gabriele Boiselle.
Gabriele Boiselle: Ihr Ansporn sind Pferde
Ihr Blick schweift hinüber zum Haus. Dort lebt ihre Mutter, Margarete Boiselle, 102 Jahre alt und eine Frau der Tat. Sie baute das Kieswerk Vogler auf und arbeitete ihr Leben lang dafür. „Von ihr habe ich meinen Pragmatismus“, sagt Gabriele Boiselle schmunzelnd. Ihren Vater, der aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, beschreibt sie als außergewöhnlichen Mann, als einen Visionär.
„Von meinen Eltern habe ich mein Urvertrauen, das mich auf meinen Reisen – auch in die als gefährlich geltenden Länder der Welt – begleitet hat.“ Ihr Vater sagte einst zu ihr: „Du musst an das Gute im Menschen glauben, dann passiert dir nichts.“ Das ist ihr Leitsatz. Seit jeher. Ihr Ansporn sind die Pferde. Daran ändern auch abertausende Bilder im Archiv nichts.