In einer Zeit, in der sich die Warmblutzucht immer mehr auf Dressur- und Springpferde spezialisiert, geht die Niederländerin Marlies Reibestein einen anderen Weg. Sie paart Iberer und Warmblüter. Ihr Ziel: nervenstarke, vielseitige und für Amateure geeignete Pferde. Sie sagt, der Reitsport brauche wieder mehr Pferde für die breite Basis. Einblicke in ihre Philosophie.
Die Spezialisierung in Dressur– und Springzucht hat Pferde stark verändert, ist Marlies Reibestein überzeugt. „Wir haben heute ein ‚Turbopferd‘ – es sieht toll aus und beeindruckt, ist aber für den normalen Reiter kaum noch händelbar.“ Marlies Reibestein ist Pferdezüchterin. Auf dem Gestüt De Hoge Ginkel bei Utrecht in den Niederlanden ist die 64-Jährige zu Hause – und beschreitet dort völlig neue Wege: Sie kreuzt Warmblüter mit Iberischen Pferden.
Züchter vernachlässigen die breite Masse der Reiter
Früher war Marlies Reibestein im internationalen Sport mit Warmblütern auf dem Turnier und im Gelände unterwegs. Doch etwas hat sich verändert – durch die Spezialisierung in der Pferdezucht. „Diese Spezialisierung hat die Spitzensportler bedient, aber die breite Masse der Reiter vergessen“, erklärt Marlies Reibestein. Die Pferde seien elastischer und auffälliger geworden, zugleich aber hätten sie an Alltagstauglichkeit eingebüßt. Und: Wer reitet schon Grand Prix? Ein kleiner Prozentteil.
Marlies Reibestein engagierte sich einige Zeit im Vorstand des Niederländischen Pferdesportverbands (KNHS). 2023 rüttelten folgende Zahlen sie wach: Von den rund 500.000 Reitern unter dem Dach der KNHS reiten 2.500 auf internationalen Turnieren. Für Reibestein ein Weckruf: „Rund 80 Prozent würden von einem zuverlässigen, gut händelbaren Pferd profitieren. Aufgrund von Beruf, Familie oder anderen Verpflichtungen können sie oft nicht täglich reiten – und dann ist ein Pferd, das unkompliziert im Umgang, pflegeleicht und verlässlich ist, entscheidend. Auch, um sich sicher zu fühlen.“

Marlies Reibestein mit einem ihrer Fohlen aus ihrem Zuchtprojekt, bei dem sie Iberische Stuten mit Warmbluthengsten kreuzt. (© Sanne Wiering)
Marlies Reibestein züchtet für das Gros der Reiter
Genau darin sieht sie heute die Aufgabe für ihr kleines Gestüt. Sie möchte für die große Gruppe von Reitern etwas aufzubauen: Pferde, die händelbar und trainierbar sind, die sich gut genug bewegen und dabei auch noch gut aussehen. Ein weiteres Argument sieht Marlies Reibestein beim Thema Gesundheit. „Mit der zunehmenden Spezialisierung gehen erhebliche Nachteile einher – vor allem für die Robustheit.“ Durch Kreuzungen könne man den Inzuchtkoeffizienten senken und damit widerstandsfähigere Pferde erhalten.
„Wenn man immer wieder in denselben Linien züchtet, begegnen sich die gleichen DNA-Stränge ständig neu. Auch wenn ich kein Forscher bin, bin ich überzeugt: Outcross schafft Raum für vielversprechende Kombinationen.“ Besonders am Herzen liegt ihr die Trainierbarkeit. Diese sei bei vielen extrem sensiblen Pferden fast verloren. „Es ist doch verrückt, dass so viele Menschen insgeheim ein bisschen Angst vor ihrem eigenen Pferd haben.“ Dem möchte sie also entgegenwirken. Nur, wie kam sie darauf, genau diesen Weg mit Iberern gehen zu wollen?
Neuanfang mit einem Iberer
Der persönliche Wendepunkt kam für die internationale Vielseitigkeitsreiterin mit 50. Sie stand auf einem Turnierplatz, schaute sich um und sah gefühlt nur noch Mitte-20-Jährige. „Da wusste ich: Irgendwann muss ich hier aufhören.“ Nach manchem Geländeritt fragte sie sich: „Hat mir das überhaupt noch Spaß gemacht?“
Reibestein verkaufte ihr letztes Buschpferd, kaufte zwei Springpferde und ritt nur noch Springen. Doch etwas fehlte: „Die familiäre Atmosphäre, gemeinsame Wochenenden, Barbecues. Beim Springen reitet man 70 Sekunden und fährt wieder nach Hause. Das war nicht meine Welt. Ich war zu spät in diese Szene eingestiegen.“ In dieser Zeit erfüllte sie sich einen Kindheitstraum: einen schwarzen PRE-Hengst, den sie nur von einem Video kannte. „Keine besonders rationale Entscheidung“, sagt sie und lacht, „aber ich habe es nie bereut.“

Erstes Putzen nah bei Mama: Die Vorbereitung der Fohlen auf ihr späteres Leben baut Marlies Reibestein in den Alltag ein. (© Sanne Wiering)
Marlies Reibesteins erste PRE-Erfahrungen
Schon nach wenigen Longeneinheiten saß Marlies im Sattel – und ritt in den Wald. „Im Wald ist es einfacher als in der Bahn: Man folgt dem Weg zwischen den Bäumen, reitet Schritt, Trab oder Galopp. Ganz unkompliziert“, erzählt sie, als wäre es das Normalste der Welt. Dennoch, mit diesem PRE-Hengst war es anders als mit all jenen Pferden, die sie zuvor geritten hatte: „Er dachte mit, war unfassbar brav. Ich war völlig erstaunt.“
Nach ein paar Wochen rief sie den spanischen Züchter an und fragte: „Wie kann ein vierjähriger Hengst so gehorsam und zuverlässig sein?“ Der spanische Züchter erklärte ihr den Grund: „Wir züchten seit Hunderten von Jahren auf Arbeitswillen und Umgänglichkeit. Nur Pferde, die mitarbeiten, bleiben.“ Diese Pferde seien unglaublich intelligent und aufmerksam gegenüber dem Menschen, erzählt Marlies Reibestein über ihre PRE. „Sie treten dir nicht auf die Füße, achten auf dich, und wenn man mit ihnen im Wald reitet, halten sie von selbst Abstand zu Ästen und Bäumen.“
Dann kam der Lusitano-Hengst Galitto
Die Erfahrungen mit ihren ersten PRE-Pferden hätten ihr die Augen geöffnet. Mehr noch, Marlies Reibestein veränderte ihre Pferdezucht, sie kreuzte nun PRE-Stuten mit Warmbluthengsten. So entstehe ein Pferd mit stabilem Charakter und gleichzeitig mit Talent für den Sport, war sie überzeugt. Noch stärker wurde diese Überzeugung, als sie begann, sich intensiver mit der Iberischen Zucht zu befassen. Sie kaufte einen weiteren Hengst, dieses Mal einen Lusitano: Galitto.
„Er war noch besser. Er ging bis Grand Prix, war ein Master in Working Equitation, sprang Parcours über einen Meter und lief solide Geländeprüfungen. Er konnte einfach alles – und hatte an allem Freude“, erzählt Marlies Reibestein. „Da wusste ich: Das ist der Typ Pferd, den man haben möchte – einer, der bei jeder spannenden Herausforderung mit einem inneren Ja antwortet. Galitto wurde zur Inspirationsquelle für mein gesamtes Kreuzungsprojekt.“

Autorin Adriana van Tilburg im Gespräch mit Marlies Reibestein über deren Zuchtphilosophie. (© Sanne Wiering)
Marlies Reibestein und der Oldenburger Pferdezuchtverband
Für ihr Projekt suchte Marlies Reibestein einen Verband, der zu ihrer Vision passte. „Das KWPN konzentriert sich stark auf Grand-Prix-Sportpferde – das ist nicht mein Ziel“, erklärt sie. Fündig wurde Reibestein beim Oldenburger Pferdezuchtverband. Dort wurden ihre PRE-Stuten ins Hauptstutbuch aufgenommen.
„Die lineare Beschreibung nutze ich heute als Werkzeug bei der Hengstauswahl. Alle Nachkommen werden automatisch registriert“, erzählt Marlies Reibestein. Dass inzwischen auch Lusitano-Hengste mit Olympia-Erfahrung anerkannt sind, wertet sie als Fortschritt. „Die Oldenburger denken mit, lassen den Züchtern Freiraum und schaffen Platz für alternative Linien.“
Vorbilder und Vordenker für die Allrounder-Zucht
Wie findet man seinen Weg in einer Zuchtrichtung, die kaum betreten ist? Inspiration findet Marlies Reibestein bei Züchtern wie dem Franzosen Sylvain Massa. „Er kreuzt seit vielen Jahren Lusitanos mit Warmblütern – und das mit großem Erfolg. Von den sechs Lusitano-Kreuzungen, die derzeit international laufen, stammen vier aus seiner Zucht.“ James Bond de Massa und Ultra Blue de Massa starteten zuletzt bei den Europameisterschaften 2023 in Riesenbeck.
Auch der Portugiese Vasco Freire mit seinem Gestüt Dressage Plus gilt ihr als Vorbild: „Er züchtet Warmblüter, Lusitanos und Kreuzungen – alle von außerordentlicher Qualität. Hit Plus trat mit Maria Caetano bei den Olympischen Spielen an.“ Marlies Reibestein sucht den Austausch in dieser Gemeinschaft, lässt sich dort inspirieren und inspiriert andere. So wie den bekannten Influencer Matt Harnacke.

Traumhafte Kulisse – der Ort, an dem Marlies Reibestein Pferdezucht neu denken möchte: das Gestüt De Hoge Ginkel. (© Sanne Wiering)
Das PRE-Fohlen von Matt Harnacke und Marlies Reibestein
Mit ihm startete sie ein einmaliges Projekt: das erste Fohlen seines PRE-Hengstes Emporio aus ihrer Stute Viena de Susaeta. Es bleibt eine Ausnahme: „Wenn ich kreuze, bleibt die Mutterstute spanisch, und der Vater ist ein Warmblut. Dieses Fohlen war jedoch ein 100-Prozent-PRE.“ Ein Herzensprojekt aus einer Freundschaft heraus.
Viena de Susaeta wurde beim ersten Versuch tragend, hatte eine unkomplizierte Geburt – und seither sind Matt Harnacke und sein Partner Jesse Drent regelmäßige Besucher in Marlies Reibesteins Idyll. Für sie ist dieses Fohlen besonders: „Ich kenne ihre Kreuzungsfohlen gut, aber dieses ist unglaublich ruhig und in sich ruhend. Unser Ziel war ein typvolles, barockes PRE-Fohlen mit innerer Ruhe – und das ist uns wirklich gelungen.“
Project X von Secret: ein besonderes Pferd
Will sie ihre Zucht in Richtung Spitzensport entwickeln? „Ganz bestimmt nicht“, sagt Marlies Reibestein entschieden. Und doch ertappt sie sich manchmal dabei, den Erfolg an sportlichen Leistungen zu messen. „So schnell denkt man: Ich will zeigen, dass meine Pferde das auch können – und schon sitzt man wieder in der Falle.“
Ihr erstes Kreuzungsfohlen, Projekt X von Secret, verkörpert für sie die neue Linie. Der Falbe verlor früh das Sehvermögen auf einem Auge – doch seine Gelassenheit beeindruckt. „Er hat eine fantastische Ausstrahlung und ein Herz aus Gold“, berichtet Reibestein. Sie erzählt von einem Turnier, auf dem Projekt X gleich für mehrere Pferde das Führpferd gab: „Es war so rührend. Er hatte grenzenloses Vertrauen in seine Reiterin.“
Neue Besitzerin: „Als ob sie ihn schon ewig kennen würde“
Projekt X startete unter anderem beim Pavo-Cup, dem niederländischen Äquivalent zum Bundeschampionat – „zwischen lauter hochgezüchteten Warmblut-Dressurpferden. Einfach, um zu zeigen: Unsere Pferde haben auch vier Beine und einen Schweif“, erzählt sie lachend.
Vor Kurzem wurde Projekt X verkauft – an eine Reiterin in Südafrika. Bis zu seiner Abreise stand er noch bei Para-Dressurreiterin Philippa Johnson in Belgien. Johnson, selbst Südafrikanerin, gewann bei den Olympischen Spielen in Athen zwei Silbermedaillen und in Peking zwei Goldmedaillen. Insgesamt nahm sie an sechs Olympischen Spielen teil, zuletzt in Paris. „Ich war erst ein wenig besorgt – schließlich war er noch jung. Aber sie stieg einfach auf und ritt los, als ob sie ihn schon ewig kennen würde. Das hat mich tief beeindruckt“, erzählt Reibestein.

Erinnerungen an frühere Erfolge im Sattel. Marlies Reibestein war internationale Vielseitigkeitsreiterin. (© Sanne Wiering)
Marlies Reibestein hat die Allround-Pferde im Blick
Was Marlies Reibestein am meisten Freude bereitet, ist die bewusste F1-Kreuzung: „Eine echte Outcross-Verbindung zwischen einer Iberischen Stute und einem Warmbluthengst. Und dabei bleibt es auch.“ Trotzdem beobachtet sie bei sich eine leichte Verschiebung in ihrer Pferdezucht: „Ich merke, dass ich mich vom Züchten rittiger Dressurpferde in Richtung allroundtauglicher Pferde bewege. Denn rittige Dressurpferde sind schön – aber noch schöner wäre es, wenn man damit auch ein bisschen mehr machen könnte.“
Weg vom hohen Vollblutanteil
Die ersten Pferde aus ihrem Zuchtprogramm sind unter dem Sattel – und der Unterschied zwischen Warmblütern, Iberern und ihren Kreuzungen ist für sie deutlich spürbar. Für die Vielseitigkeit hatte sie früher vorwiegend Warmblüter mit einem hohen Vollblutanteil im Pedigree – eine bewusste Entscheidung für diese Disziplin.
„Diese Pferde sind in der Regel etwas sensibler und reaktiver. Aber die Pferde, die ich heute züchte, sind anders“, ist ihre Erfahrung. In ihre Fohlen bringt sie gezielt etwas „Blut“ über ausgewählte Warmbluthengste ein. Aber: „Ich wähle nur Hengste, die im Charakter eine Neun oder Zehn erhalten haben – denn für mich ist ein verlässliches Pferd das A und O.“ Diese Entscheidung zahlt sich ihrer Ansicht nach aus: „Nach einer guten Aufzucht sind die jungen Pferde hervorragend im Umgang.“
Marlies Reibestein zündet den Allrounder-Turbo
Im Winter nimmt sich Marlies Reibestein Zeit, um mögliche Hengste gründlich zu recherchieren. Namen wie Secret, Fürsten-Look oder Morricone tauchen in den Pedigrees auf. Wer weiß, wen sie als nächstes für ihre Iberischen Stuten entdeckt? Ihren neuen Weg hat Marlies Reibestein jedenfalls längst eingeschlagen. In dieser Hinsicht hat sie selbst den Turbo gezündet. Allerdings nicht für den Spitzensport, sondern für mehr Allrounder und mehr Freude – für die 80 Prozent.

Die Pferde leben bei Marlies Reibestein in Robusthaltung – ein Plus für Geschick und Gelassenheit. (© Sanne Wiering)
Robust und genügsam: Das Management der Iberer
Pferde aus Spanien und Portugal gelten als leichtfuttrig. Das ist wichtig zu wissen für das Haltungsmanagement dieser Pferde. Marlies Reibestein: „Man muss sich wirklich umstellen. Diese Pferde sind extrem sparsam im Futterbedarf. Sie kommen fast ausschließlich mit Heu aus – Kraftfutter ist nur in sehr geringen Mengen nötig.“
Ihre Pferde stehen auf sandigem Boden, der von Natur aus nährstoffarm ist. „Ich muss zwar regelmäßig Heu zufüttern, aber sie stehen nie bis zu den Fesseln im Gras – das verhindert viele Probleme von vornherein.“ Gerade im Winter neigen Iberer dazu, schnell zuzulegen. „Wenn die Stuten ein Fohlen bei Fuß haben, bekommen sie etwas zusätzliches Kraftfutter – aber selbst davon werden sie schnell rund. Ich achte deshalb sehr genau auf die Menge.“
Alle Zuchtstuten sind im Winter rund um die Uhr draußen – mit ungefütterten Regendecken als Schutz vor Nässe. Eine überdachte Auslaufbox dient als Rückzugs- und Futterplatz. Reibestein ist wichtig, dass ihre Pferde durch die Haltungsform genügend Bewegung haben – sie spielt eine zentrale Rolle, auch für die Geburt. „Ich hatte bisher keine Komplikationen. Das letzte Fohlen kam draußen im Paddock zur Welt, auf weichem Sand, ganz natürlich und völlig problemlos. Wenn sie mal stürzen, dann weich.“
