Die Schleppjagd auf der Insel Herrenchiemsee ist eine Besondere. Auch für Toni Wiedemann. Er hat sie über viele Jahre als Master angeführt, bis das Schicksal genau an diesem Ort in sein Leben schnitt. Dennoch kehrt er immer wieder dorthin zurück. Weil ihn das Schauspiel fasziniert, das Fotografin Ludwiga von Korff mit der Kamera festgehalten hat.
Herr Wiedemann, seit 34 Jahren organisieren Sie mit dem Schleppjagverein von Bayern die Jagd auf Herrenchiemsee. Worin liegt für Sie der Reiz?
Es ist das Zusammenspiel von der Natur, in der Natur, mit der Natur. Im Hintergrund die Berge, der See. Das ist das Einmalige an dieser Jagd. Hinzukommen der Herbstwald und natürlich die imposanten Gebäude von Schloss Herrenchiemsee, das wir umrunden. Das alles versetzt einen in einen Zauber. Wenn man dafür die Augen und das Herz hat, glaubt man, man ist in einer Traumwelt.
Toni Wiedemann ritt früher selbst die Jagd auf Herrenchiemsee mit, seit 34 Jahren organisiert er sie mit dem Schleppjagdverein von Bayern. Seit seinem Unfall ist er auf den Rollstuhl angewiesen, aber ans Aufgeben hat er nie gedacht. (© Ludwiga von Korff)
Können sie sich an Ihre erste Jagd auf Herrenchiemsee erinnern?
Natürlich. Das war am 12. Oktober 1990.
Was haben sie damals erlebt?
Die Jagd gab es zuvor schon, sie war die Staatsjagd unter Franz-Josef Strauß und wurde als Fuchsjagd ausgetragen. Die Pferdefreunde Herrenchiemsee wurden unterstützt von einer Münchner Reitergruppe, die sich später dem Schleppjagverein von Bayern angeschlossen hatte. Es gab auch High Society, die Tochter von Strauß, Monika Hohlmeier, war dabei und saß mit ihrem Mann als Zuschauerin auf der Kutsche. An dem Wochenende passierte das Attentat auf Wolfgang Schäuble, und unter den Jagdreitern war sein Leibarzt, der in einer Sonderaktion direkt nach dem Ritt nach Karlsruhe gebracht werden musste.
Pferde leben auch außerhalb der Jagdzeiten auf Herrenchiemsee: Es sind Kutschpferde – oder angehende Kutschpferde der Schlossverwaltung. Denn auf Herrenchiemsee sind Pferdekutschen das einzige Transportmittel. (© Ludwiga von Korff)
Ich erinnere mich aber auch noch an die Überfahrt mit den Hunden und Pferden. Das ist ein kleines Abenteuer, wenn man das zum ersten Mal erlebt, das sind besondere Gefühle. In der Früh um sieben standen wir an der Fähre an, auf der vier Gespanne Platz hatten – und erst in der Nacht war ich wieder zu Hause, um am nächsten Tag zur nächsten Jagd aufzubrechen. Wir sind früher unheimlich viel geritten. Und jetzt, nachdem ich selbst nicht mehr aktiv dabei sein kann, organisiere und manage ich das alles.
Rote Tupfen zeichnen das Jagdfeld. Wer vorne reitet, muss springen. So die Devise beim Jagdreiten. 20 Kilometer lang ist die Strecke von Herrenchiemsee, die Pferde, Reiter und Hunde meistern. (© Ludwiga von Korff)
Seit der Jagd 2015 auf Herrenchiemsee. Dort stürzte ein Reiter, sein Pferd ging durch und stieß mit ihrem zusammen. Sie brachen sich den sechsten Halswirbel und sind seither querschnittsgelähmt. Fast ein Jahr lang lagen Sie im Krankenhaus. Sie hätten das Thema Jagd an Nagel hängen können. Warum haben Sie es nicht getan?
Das waren die ersten Gedanken, aber aufgeben war für mich nie eine Option. Der Verein musste weiterleben, das hat mich motiviert. Ich hatte ein paar Jahre zuvor eine neue Anlage gebaut – gezwungenermaßen, weil es auf dem Gutshof, auf dem wir 22 Jahre eingemietet waren, einen Generationswechsel gab. Die neue Anlage konnte ich mit Eigenkapital, einem Bankdarlehen, und mit zinslosen Mitgliedsdarlehen finanzieren. Als ich nach meinem Unfall aufgewacht bin, habe ich gesagt: die Leute haben mir vertraut, der Sport muss weitergehen, jeder kriegt sein Geld zurück und ich kämpfe dafür, solange ich schnaufen kann und klar im Kopf bin.
Sisi Wiedemann legt seit dem schweren Unfall ihres Mannes als Huntslady die Fährte für die Hunde. Mit aller Passion und Liebe zur Jagdreiterei, die sie mit Toni Wiedemann teilt. (© Ludwiga von Korff)
Es macht mich stolz, meine Frau als Huntslady zu sehen und wie sie alles mit den Pferden und Hunden managt. Sie war früher meine engste Mitarbeiterin und wir haben uns das schön aufgeteilt, jetzt kann ich sie nicht groß entlasten. – Toni Wiedemann –
Sie sind mit knapp 500 Mitgliedern im Schleppjagdverein von Bayern gut aufgestellt. Worauf legen Sie wert und machen womöglich manches anders als andere?
Ich bin ein PR-Mann, aber keiner, der sich in den Vordergrund stellt, sondern die Sache. Ich verkaufe immer unseren Sport. Als Tradition, als Brauchtum, als Kultur, als Verantwortung für die Natur, als Verantwortung für die Kreatur und für artgerechte Haltung und artgerechtes Arbeiten. Für das, für was der Hund geboren ist, für das, für was das Pferd geboren ist. Das Pferd ist gerne beschäftigt – und im Gelände ist es immer gut beschäftigt, weil es aufpassen muss, vielseitig eingesetzt wird, mit vielen Umwelteinflüssen zu tun hat.
Und dazu gehört auch die entsprechende Haltung mit Weidegang. Wenn man heute in die Reitställe schaut, stehen da 100 Pferde, aber ausreiten tun vielleicht zwei. Und was die Leute unter Ausreiten verstehen, ist ein Reiten einmal um die Anlage. Und das neueste Reiten heißt ja eher Führen. Ich kann nur diejenigen Ausbilder ermahnen, die etwas zu sagen haben: Macht nicht den Fehler und vermittelt nur den Streichelzoo. Am besten ist immer noch das korrekte Reiten, das ist der beste Tierschutz.
Vor dem Schloss Herrenchiemsee kommt das Jagdfeld samt Meute zum Halali zusammen. Das Schloss ist ein Baudenkmal und wurde 1878 bis 1886 durch König Ludwig II. von Bayern erbaut. Als architektonisches Vorbild diente Schloss Versailles. (© Ludwiga von Korff)
Von wem haben Sie Ihr Wissen über die Hunde, die Pferde und das Jagdreiten?
Ich habe alle alten Bücher, die es gibt, gelesen. So viele gibt es ja gar nicht. Und dann in Gesprächen mit alten Mastern und vornehmlich mit Franz Jandrey, das war der Gründer und Master der Cappenberger Meute. Er ist im Frühjahr 1983 verstorben. Aber ich konnte mit ihm ungefähr sieben Jahre zusammenarbeiten und habe ihn erlebt. Er hat mir viel erzählt, ich habe ihm viel zugehört.
Zwei Reiterinnen der Wittelsbacher Meute. Seite an Seite galoppieren Generationen nebeneinanderher über das üppige Grün der Insel Herrenchiemsee. (© Ludwiga von Korff)
Aber ich habe auch andere alte Master und Leute von der Kavallerie kennengelernt, meine ersten Reitlehrer, damals im Reitclub Augsburg. Ich habe viel zugeschaut und habe Pferde von Bekannten mitgeritten, bis ich mir mit 19 mein erstes Pferd gekauft habe. Seit über 50 Jahren bin ich von der Jagdreiterei fasziniert. Sie lässt mich nicht mehr los.
Entlang am Wasser, querfeldein über Wiesen, durch Wälder. Es geht über die ganze Insel Herrenchiemsee. Ein Fest für die Sinne. Die Natur erstrahlt in den schönsten Farben. (© Ludwiga von Korff)
Vielen Dank für das Gespräch!