May Britt Siegmund hat jahrelang zwei Intensivpflegehöfe geführt und eröffnet nun auf Föhr einen neuen Hof. Wir haben nachgefragt, was ihrer Erfahrung nach bei der Betreuung unheilbar kranker Pferde besonders wichtig ist.
Redaktion: Sie kümmern sich seit Jahren um unheilbar kranke Pferde. Warum haben Sie sich auf diese Gruppe spezialisiert?
May Britt Siegmund: Wie im Humanbereich auch werden die heutigen Pferde und Ponys durch die rasanten Fortschritte in der medizinischen Versorgung sowie der Entwicklung von Futterarten, die von alten Pferden sehr gut aufgenommen und verwertet werden können, immer älter. Die Pflege kranker Pferde rückt somit zunehmend in den Fokus.
Das Pferd wird von vielen Besitzern als ein gleichwertiges Familienmitglied angesehen. Für einen Großteil der Pferdemenschen gehört es sich einfach, das alternde Pferd bestmöglich zu versorgen, zu pflegen und zu füttern, um ihm damit für die zurückliegende „aktive“ Zeit des Reitens zu danken. In konventionellen Pferdeställen ist die Berücksichtigung der Bedürfnisse alternder und chronisch kranker Pferde häufig (verständlicherweise) eher schwierig.
Viel Auslauf und Rückzugsmöglichkeiten in den Stall – so sieht ein Teil des Recovery Stalls aus. (© Siegmund)
Siegmund über ihr Stall- und Pflegeangebot
Aus diesem Grunde habe ich mich für das Stall- und Pflegeangebot ausschließlich für chronisch kranke und alternde Pferde entschlossen. Die Entwicklung chronischer Krankheiten kann aus meiner Sicht durch eine angepasste Haltung, eine angepasste Fütterung und möglicherweise Therapie deutlich verlangsamt werden.
Was zeichnet Ihre Pflegehöfe aus?
Der Recoverystall von Horse Support zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass hier nur ältere oder chronisch kranke Pferde aufgenommen werden. Die Infrastruktur kann sich ganz auf deren Bedürfnisse ausrichten. Das oberste Ziel ist die (Wieder-)Anpassung an ein artgerechtes Leben in jeglicher Hinsicht und damit einhergehend eine Stressreduktion. Dauerstress ist ein wichtiger Punkt beim Alterungsprozess und spielt in der Pferdehaltung eine enorme Rolle.
Ein Beispiel: Die Pferde leben bei uns so oft wie möglich und wie sie es möchten im Herdenverband (offenstallähnlich). Sie können aber für separate Fütterungen oder auch über Nacht in eigene, großzügige Boxen gestellt werden. Der Hintergrund: Alte Pferde brauchen länger beim Fressen und sollten dies ungestört und in Ruhe tun können. Außerdem nutzen Senioren die Nacht tatsächlich sehr häufig für lange, ausgedehnte Liege- und Schlafphasen, um ihre Knochen und Gelenke zu entlasten und wieder fit für den nächsten Tag zu machen.
Tägliche Kontrollen: Pflege kranker Pferde
In einer reinen Offenstallhaltung im Herdenverband bestünde die Gefahr, dass sich die Pferde nicht genug hinlegen, damit zu wenig schlafen und/oder sich z. B. arthrotische Veränderungen verschlimmern und Schmerzen entstehen. Das würde den Stresspegel wieder erhöhen. Unsere großen Boxen sind direkt an den Offenstallauslauf angeschlossen und unvergittert. Dadurch ist jederzeit Sichtkontakt zu allen anderen Pferden sowie direkter Nüsternkontakt zu den Nachbarn links und rechts in den Boxen möglich.
Im Sommer ist dann natürlich auch Weidegang möglich. Wir bieten den Pferden einen klug angelegten Auslauf mit vielen Beschäftigungsmöglichkeiten, um „in Gang“ zu bleiben. Ein stabiles Leben im Herdenverband mit der Möglichkeit, jederzeit zu separieren. Die Pferde stehen täglich unter intensiver Kontrolle, sodass evtl. Therapieanpassungen ggf. mit der Unterstützung der hiesigen Fachtierärztin für Pferde sofort umgesetzt werden können.
Was ist aus Ihrer Sicht bei der Betreuung chronisch kranker Pferde besonders wichtig?
Wenn ich bei der Betreuung eines chronisch kranken Pferdes eine Verbesserung oder Stabilisierung des Gesundheitszustandes und einen sich langsamer entwickelnden Krankheitsverlauf anstrebe, brauche ich Geduld und Zeit. Je nach Ausgangslage des aktuellen Krankheitsbildes ist eine lebenslange medikamentöse Therapie nötig. Z.B. beim Cushing-Syndrom oder auch bei einer fortgeschrittenen Arthrose.
Andere Pferde brauchen zu Beginn der Umstellung medikamentöse Unterstützung (z. B. einen Schleimlöser bei einer Lungenproblematik oder eine Kortisonsalbe bei hochgradigem Sommerekzem). Diese kann in dem Zuge wieder langsam heruntergefahren werden, indem ich die Rahmenbedingungen ändere und anpasse (Fütterung, Haltung, Stressreduktion). Das ist immer unterschiedlich und sollte zusammen mit dem behandelnden Tierarzt entschieden werden.
„Die Kombination aus Schulmedizin und artgerechter Haltung ist der Schlüssel zu einem
lebenswerten, schmerzlosen Lebensabschnitt des Pferdes“ (© Siegmund)
Welchen Tipp geben Sie Besitzern, die sich selbst um ihr unheilbar krankes Pferd kümmern möchten?
Vorneweg sage ich immer: Alles, was hier im Recoverystall auf Föhr für das Pferd getan wird, ist auch zuhause leistbar. Die Nordsee-Luft ist zwar schön und gut, aber nach meinen Erfahrungen nicht der ausschlaggebende Faktor für eine Stabilisierung des Gesundheitszustandes des Pferdes. Aber der zeitliche, finanzielle und zum Teil körperliche Einsatz kann hoch sein, darüber muss man sich im Klaren sein.
Dies ist am Beispiel des lungenkranken Pferdes gut zu verdeutlichen. Man braucht zunächst eine Box mit Fenster/Paddock, die mit einer Strohalternative eingestreut werden sollte. Viele Pensionsbetriebe bieten zwar Späne, Miscanthus o. ä. (gegen Aufpreis) an, erwarten dann aber häufig, dass der Besitzer selbst mistet.
Welches Futter? Pflege kranker Pferde
Das Hauptthema stellt das Raufutter und seine Qualität dar. Entweder schafft man sich einen Heubedampfer an, um auch etwas staubigeres Heu in einen fütterbaren Zustand versetzen zu können, oder man ordert zweifach entstaubtes Heu, welches in vielen Fällen auch trocken gefüttert werden kann. Beide Varianten sind recht kostspielig.
Beim Krippenfutter kann ich viel bewirken, indem ich auf synthetische Zusatzstoffe komplett verzichte, Kräutermischungen, Mineralien und verschiedene Salzlecksteine anbiete und auch mal Knabberäste mit in die Box hänge. Auf dem Gebiet kann man sich unglaublich viel anlesen und sich Anregungen holen – das kostet jedoch auch wieder sehr viel Zeit und man muss in der Lage sein, Blödsinn von sinnvollen Maßnahmen unterscheiden zu können.
May Britt Siegmund betreibt das Portal Horse Support und eröffnete schon drei Intensiv- Pflegehöfe für Pferde (© Privat)
Erhöhtes Angebot – Erhöhte Preise
Alternativ lässt man sich von einem qualifizierten Futterberater bei der Zusammenstellung unterstützen. Führen diese Maßnahmen nicht zum gewünschten Erfolg (da z. B. die restliche Stallgasse weiterhin mit schimmelpilzbelastetem Stroh eingestreut wird), kann man sich als Nächstes einen Inhalator anschaffen.
Und dann steht noch die Frage im Raum: Wer übernimmt die umfangreiche Versorgung, wenn man mal eine Auszeit benötigt? Je mehr Leistung also ein Pensionsstall auf dem Gebiet anbietet, desto besser ist es für das eigene Seelenheil. Einige Ställe erkennen den Bedarf und erhöhen ihr Angebot – dann erhöht sich aber logischerweise auch der Pensionspreis.