Stiller Schmerz, den viele übersehen – mehr als jedes zweite Pferd leidet an Magengeschwüren, oft unerkannt: Gähnen, Fresslaunen, Unruhe beim Füttern. Was harmlos wirkt, kann ein stiller Hilferuf sein. Unsere Tierärztin bringt Sie auf den aktuellen Stand.
Was hat denn mein Pferd nun schon wieder? Wieso ist es beim Futter plötzlich so wählerisch? Wieso gähnt es ständig? Und wieso ist mein Pferd im nächsten Moment so zickig? Wenn dein Pferd plötzlich zur Diva wird, wählerisch frisst, öfter gähnt oder beim Füttern ungeduldig wird, steckt vielleicht mehr dahinter als schlechte Laune oder eine Marotte.
Oft sind Magenprobleme die Ursache, doch das Problem ist: Magenprobleme haben ein breites Spektrum an Symptomen, und daher sind diese oft auf einen Blick nicht zu erkennen. Ein amerikanisches Forscherteam hat nun einmal genauer hingeschaut und festgestellt: Bestimmte Verhaltensmuster sind fast so eindeutig wie eine Gastroskopie!
Unterschätze Erkrankungen: Magenprobleme bei Pferden
Magenprobleme gehören zu den häufigsten, aber auch zu den am meisten unterschätzten Erkrankungen bei Pferden. Studien zeigen erschreckende Zahlen: Je nach Untersuchung leiden zwischen 50 und 90 Prozent aller Pferde an Magengeschwüren, auch EGUS (Equines Gastrisches Ulkus-Syndrom) genannt. Das Tückische daran: Diese Erkrankungen bleiben oft lange unerkannt, weil viele Symptome übersehen werden.
Die Symptome sind meist unspezifisch – sie schleichen sich leise ein und können leicht übersehen oder fehlinterpretiert werden. Während Kolik-Symptome nach dem Füttern schnell die Alarmglocken schrillen lassen, sind andere Anzeichen weniger bekannt: häufiges Gähnen, Zähneknirschen, ungeduldiges Verhalten beim Füttern, wählerisches Fressverhalten, stumpfes Fell, Leistungsabfall oder sogar leichter Gewichtsverlust. All das kann auf Magenprobleme hinweisen – muss es aber nicht. Eine eindeutige Diagnose ist bislang nur per Gastroskopie möglich, also durch eine Magenspiegelung.
Aufbau des Pferdemagens: Schleimhaut und Säure
Der Magen des Pferdes teilt sich in zwei Bereiche auf: Der erste ist die drüsenlose Schleimhaut (Pars nonglandularis). Diese befindet sich im oberen Bereich für die erste Verdauung von Zucker und Stärke mithilfe von Mikroben. Der zweite Bereich besitzt drüsenhaltige Schleimhaut (Pars glandularis). Diese befindet sich im unteren Bereich, wo Magensäure produziert wird. Dazwischen befindet sich der Magenrand (Margo plicatus).
Die drüsenhaltige Schleimhaut ist normalerweise vor der Säure geschützt. Stimmen die körpereigenen Schutzfunktionen jedoch nicht mehr, kann die Säure die Schleimhaut angreifen. Ist vermehrt Säure vorhanden, kann diese in den drüsenlosen Teil gelangen und die Schleimhaut dort schädigen. Auch der Übergangsteil zwischen beiden Schleimhäuten kann betroffen sein.
Magenprobleme durch vermehrten Säureausschuss
Magensäure wird vermehrt ausgeschüttet bei:
- Stress
- stärkereicher Fütterung
- langen Fresspausen
- Futterumstellung
- bei einigen Medikamenten
Abgepuffert wird die Magensäure durch Speichel, denn dieser ist alkalisch. Wenn ein Pferd also lange kauen muss, wie bei Heu– oder Strohaufnahme, wird viel Speichel produziert.
Beweis durch Videoüberwachung
Ein Forscherteam rund um Dr. Sue McDonnell von der renommierten School of Veterinary Medicine der University of Pennsylvania hat nun eine spannende Studie veröffentlicht. Ziel war es, sogenannte „Signature Behaviours“, also typische, wiederkehrende Verhaltensmuster zu identifizieren, die zuverlässig auf Magenprobleme beim Pferd hinweisen könnten.
Dafür wurden 30 Pferde über 24 Stunden videoüberwacht, während sie fraßen, tranken oder auf Futter warteten. Zusätzlich wurden sie klinisch untersucht und mittels Gastroskopie auf Magenerkrankungen hin überprüft. Das Ergebnis: Bei 26 der 30 Pferde wurden tatsächlich Magenprobleme festgestellt – in Form von Magengeschwüren oder Magenverstopfungen. Und diese Tiere zeigten mit hoher Übereinstimmung spezifische Verhaltensweisen!
Erste Warnzeichen für Magenprobleme:
Dies folgenden typischen Verhaltensmuster („Signature Behaviours“) waren besonders auffällig:
- Stupsen oder Treten gegen den vorderen Bauchraum: Dieses Verhalten wurde bei ganzen 96 Prozent der betroffenen Pferde beobachtet.
- Tiefes, bewusstes Strecken des Bauches – zu sehen bei etwa 33 Prozent der Fälle.
- Gezieltes Beschnuppern oder ein konzentrierter Blick auf den Bereich unterhalb des Ellenbogens, also ebenfalls auf den Bauch bezogen, trat bei 29 Prozent der Pferde auf.
Diese Verhaltensmuster traten nicht zufällig auf, sondern zeigten sich vor allem beim Warten auf Futter, in Fresspausen oder im Zusammenhang mit Fütterungssituationen – also immer dann, wenn der Magen aktiv ist oder gereizt wird.
Magenprobleme bei Pferden zeigen sich im Verhalten
Besonders interessant: Die vier Pferde, bei denen in der Gastroskopie keine Magenprobleme festgestellt wurden, zeigten auch keines dieser Verhaltensmuster. Das lässt die Vermutung zu, dass man bei genauer Verhaltensbeobachtung – in Kombination mit einer gezielten Videoanalyse – in Einzelfällen sogar auf eine invasive Gastroskopie verzichten könnte.
Natürlich müssen diese ersten Ergebnisse noch in größeren Studien überprüft werden. Doch sie bestätigen einen Eindruck, den die Wissenschaftler schon länger haben: Magenbeschwerden zeigen sich oft in ganz bestimmten, wiederkehrenden Verhaltensweisen – man muss nur genau hinschauen.
Die Studie von Dr. McDonnell und ihrer Kollegin Dr. Catherine Torcivia eröffnet damit spannende neue Möglichkeiten in der Diagnostik und Beobachtung von Magenproblemen beim Pferd – und sie zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, auch die kleinen Signale ernst zu nehmen, die uns unsere Pferde senden.
Interview mit Fütterungsexpertin Constanze Röhm
Man könnte denken, dieses Pferd ruht sich einfach nur aus, doch das Schmerzgesicht zeigt: Dieses Pferd hat ein Problem. (© Kathmann)
Die Diagnose ist da: Magenpatient. Was mache ich nach der medizinischen Therapie? Ab jetzt kein Getreide mehr füttern? Viele Besitzer machen sich Sorgen, ihren Magenpatienten im Alltag richtig zu versorgen. Geht es wirklich nur um das reine Futter oder steckt in der Langzeittherapie noch viel mehr dahinter? Wir haben mit der Fütterungsexpertin Constanze Röhm gesprochen.
Das richtige Futter für Pferde mit Magenproblemen
Hooforia: Was muss ich generell bei der Fütterung von magensensiblen Pferden beachten?
Constanze Röhm: Das Wichtigste vorweg: Fütterung, Haltung und Management greifen ineinander. Auch das hochwertigste Futter kann Stress durch schlechtes Training, falsche Aufzucht, Isolation, Bewegungsmangel oder unregelmäßige Abläufe nicht ausgleichen. Ein Pferd mit Magenproblemen braucht nicht nur die richtige Ration, sondern vor allem einen verlässlichen, artgerechten Alltag mit Struktur, Bewegung und sozialen Kontakten.
Getreidefrei oder melassefrei – was ist wichtiger bei der Futterauswahl?
Wichtiger als der Begriff „getreidefrei“ ist die tatsächliche Stärkemenge in der Ration. Auch getreidefreie Futtermittel können hohe Stärkegehalte aufweisen. Für magenempfindliche Pferde gilt: so wenig Stärke wie möglich, egal aus welcher Quelle. Ein Stärkelieferant, der zum Beispiel nicht zum Getreide gehört, sind Erbsenflocken.
Melassefrei kann eine Option sein, ist aber nicht zwingend notwendig. Melasse ist ein sehr hochwertiger Futtermittelstoff, eine Energie- und Geschmacksquelle. Melasse ist in Maßen kein Problem. Entscheidend ist die Gesamtrationgestaltung – nicht ein einzelner Inhaltsstoff.
Röhm über die sozialen Bedürfnisse von magensensiblen Pferden
Gibt es etwas, was bei der Fütterung häufig übersehen wird?
Größere Mengen an „Einzelsupplementen“ sind ein No-Go für magenempfindliche Pferde! Dazu gehören kristalline Eiweiße ohne Trägerstoffe, Vitamin C oder Vitamin E aus dem Humanbereich, wie es so oft in den sozialen Netzwerken empfohlen wird.
Was müsste sich Ihrer Meinung nach grundlegend ändern in der Langzeittherapie von Magenpatienten?
Was mich beim Thema Magen wirklich ärgert, ist der oberflächliche Umgang mit der Erkrankung. Pferden wird oft viel zu wenig Zeit zur echten Rekonvaleszenz gegeben, sowohl körperlich als auch seelisch. Ihre sozialen Bedürfnisse werden dabei häufig völlig übergangen. Es wird selten hinterfragt, warum ein Pferd überhaupt krank wurde.
Stattdessen konzentriert man sich nur auf das sichtbare Magengeschwür und verpasst es, das Pferd ganzheitlich zu betrachten. Haltung, Training, Stressbelastung, aber auch die Aufzucht – all das wird viel zu selten in die Ursachenanalyse einbezogen. Dabei liegt genau dort oft der Schlüssel zur Heilung.
Vielen Dank für das Interview!
Bei Pferden mit empfindlichem Magen ist nicht nur die Futterauswahl wichtig, sondern auch, wann und welche Menge gefüttert wird. (© Slawik)
Drei Tipps gegen Magenprobleme bei Pferden
Hier sind drei Tipps zur Fütterungsroutine von Magenpatienten:
- Ständiger Zugang zu Raufutter: Die kontinuierliche Möglichkeit zur Futteraufnahme ist entscheidend, weil der Pferdemagen dauerhaft Magensäure produziert. Dies heißt allerdings nicht unbedingt Heu ad libitum: Auch kleine Mengen Blätter oder Zweige können hier helfen.
- Gleiche Abläufe: Eine feste Fütterungszeit und ein ruhiger Tagesablauf helfen Magenpatienten. Pferde sind Gewohnheitstiere – ein verlässlicher Rhythmus reduziert Stress und unterstützt die Magengesundheit.
- Tägliche Bewegung und Sozialkontakt mit Artgenossen gehören zur Routine!