Sie stehen im Rampenlicht, feiern Erfolge im großen Sport, aber dienen die Spitzenreiter der heutigen Zeit auch als Vorbild? Worauf achtet die junge Generation, wenn sie sich ein Beispiel nehmen möchte?
Welche Erwartungen haben junge Reiter und Reiterinnen an ihre Idole im Reitsport? Wonach suchen sie? Ja, suchen sie überhaupt noch in der reitsportlichen Spitze ihre Vorbilder? Oder geht es um andere Qualitäten, ganz abseits des Turniererfolgs? Diese Frage ist so aktuell wie komplex.
In der vergangenen Ausgabe der Hooforia haben wir über den Zusammenschluss von Isabell Werth und Andreas Helgstrand berichtet. Damals haben wir angekündigt, uns im nächsten Schritt mit dem Thema Idole zu beschäftigen: Wen nimmt sich die junge Generation im Reitsport heute eigentlich zum Vorbild – und was erwarten Kinder und Jugendliche von diesen Persönlichkeiten?
Leistung allein genügt nicht mehr
Nachwuchsreiter suchen Orientierung, wie es in der Natur eines jungen Menschen nun mal liegt. Profireiter sind mit wachsender öffentlicher Erwartung konfrontiert – Tierwohl ist das Stichwort der heutigen Zeit –, und eine neue Studie zeigt, was eigentlich die Gesellschaft im Allgemeinen von Spitzensportlern erwartet. Die kurze Antwort darauf: mehr als Medaillen.
Besagte Studie ist wenige Monate alt, wurde im Juli dieses Jahres veröffentlicht und zeigt, welche Erwartungen die Gesellschaft an den Leistungssport hat. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und der Verein Athleten Deutschland haben die Studie beim SINUS-Institut im Frühsommer 2024 beauftragt – die Zahlen basieren auf einer Online-Befragung von mehr als 1.500 Menschen.
Idole im Reitsport tragen Verantwortung
Herauskam, dass die Bevölkerung in Deutschland einen leistungsstarken, sauberen und fairen Sport wünscht. Medaillen sind willkommen, aber sie sind nicht das zentrale Maß. Akzeptanz entstehe laut dieser Untersuchung nur, wenn Breitensport, Integrität und Vorbildwirkung gewährleistet seien. Lässt sich das auf den Reitsport übertragen? Allerdings!
Auch im Reitsport übernehmen Topreiter oft eine Vorbildrolle – ob sie wollen oder nicht. Nur dass ihre Rolle besonders komplex erscheint, weil sie eben nicht nur für sich allein die Verantwortung tragen, sondern auch für ihren Partner Pferd. Damit verknüpft ist weiter die Verantwortung für die Zukunft des Sports und der nachrückenden Generation.

Er dankte seinen Erfolg bei der Europameisterschaft nicht nur seinem Pferd United Touch, sondern auch seiner Pflegerin Felicitas Wallin: Richard Vogel hängte ihr die Goldmedaille um. Szenen, die Wirkung haben. (© Lafrentz)
Vorleben für das Morgen
Eine internationale Studie zeigt: Rund 85 Prozent der befragten Athleten nehmen sich selbst als Vorbilder wahr, besonders dann, wenn sie selbst in ihrer Jugend inspirierende Persönlichkeiten hatten. Dieser Kreislauf scheint entscheidend für die Nachhaltigkeit des Sports zu sein: Nur wer selbst inspiriert wurde, gibt Inspiration weiter.
Gleichzeitig verändert sich die Gesellschaft. Junge Talente wünschen sich mehr Offenheit, weniger Konkurrenzdenken und mehr Austausch auf Augenhöhe. Kritik am Reitsport wird ernst genommen, doch es wächst auch der Wunsch, positive Entwicklungen sichtbar zu machen – etwa in der Ausbildung, dem Tierwohl oder im Dialog mit der Öffentlichkeit.
Echte Idole im Reitsport zeigen Haltung
Am Ende bleibt die Frage: Können Spitzenreiter all diese Erwartungen erfüllen? Vielleicht nicht in Gänze. Wer kann das schon? Aber sie können Orientierung geben, eben nicht durch Perfektion, sondern durch Haltung und durch die Bereitschaft zuzuhören, zu lernen und den Sport gemeinsam weiterzuentwickeln. Nachwuchs und Gesellschaft fordern nicht nur Siege, sondern Wertevermittlung, Authentizität und Integrität. Für den Reitsport heißt das: Idole im Sattel müssen nicht perfekt sein, aber glaubwürdig. Im deutschen Reitsport geht es längst um mehr als Technik, Noten und Medaillen.
Die Gesellschaft schaut genauer hin: Wie wird mit Pferden gearbeitet? Wer setzt Maßstäbe? Und wer erfüllt heute noch die Rolle eines echten Vorbilds? Eine Frage, die nicht nur die Öffentlichkeit beschäftigt, sondern auch die Akteure im Zentrum – Spitzensportler, Nachwuchs und Experten. Und vielleicht auch diejenigen, die gar nicht anstreben, eines Tages Olympiasieger zu sein.
Alltagsidole statt Spitzensportler
Für viele junge Menschen kann Inspiration im „Normalen“ liegen, in dem, was sie in alltäglichen Situationen erleben: in der Trainerin, die den respektvollen Umgang mit Pferden vermittelt und auf Details achtet, im Reitlehrer, der Geduld und Verständnis vor Leistung stellt, oder in vertrauten Menschen, die das Miteinander mit dem Pferd vorleben und zeigen, dass es manchmal nur darauf ankommt. Nicht aufs Reiten, nicht auf den Sport, nicht auf das Weiterkommen, sondern nur auf das gemeinsame Sein und eine freundschaftliche Basis.
Gerade diese Alltagsvorbilder können zeigen, dass Werte wie Fairness, Achtsamkeit und Freude am Pferd ebenso prägend sein können wie große sportliche Erfolge. Wir haben bei den diesjährigen Bundeschampionaten Jugendliche gefragt: Wer ist ihr Idol und warum? Und sind es für sie nur die Erfolge, die im Vordergrund stehen?

Vorbild vieler Reiter, auch in unserer Umfrage: Ingrid Klimke. Was sie selbst stets nach außen trägt: vielseitige Ausbildung, Freude am Reiten und Teamgeist. (© Lafrentz)
So denken Jugendliche über Idole im Reitsport
Viktoria, 14 Jahre:
Hast du allgemein Idole im Reitsport?
Semmieke Rothenberger und Ingrid Klimke. Ingrid, weil sie in allen drei Disziplinen so erfolgreich ist. Semmieke, weil ich selbst schon das Glück hatte, bei ihr reiten zu dürfen. Sie macht das wirklich toll, auch mit ihren Ponykindern.
Wenn du selbst ein Vorbild wärst, was sollten andere an dir sehen?
Das, was ich gerne auch an anderen Leuten sehen möchte: Dass das Tierwohl an erster Stelle steht. Wenn sie mich sehen, sollen sie das mit etwas Positivem verbinden.
Stell dir vor, du könntest dein Vorbild etwas fragen: Was wäre das?
Wie diese Person mit Niederlagen oder Tiefschlägen umgeht, was sie dazu bringt, trotzdem weiterzumachen, und wie sie es schafft, so erfolgreich zu sein.
Mylie, 12 Jahre:
Hast du allgemein Idole im Reitsport?
Ich finde Isabell Werth toll. Nicht nur, weil sie so erfolgreich ist, sondern weil sie mit ihren Pferden ein Duo ist. Ich finde sie auch sehr sympathisch.
Was ist dir bei deinem Vorbild wichtig?
Dass diese Person immer gut mit ihren Pferden umgeht und sie zu nichts zwingt. Und es auch keinen Anschiss gibt, weil sich ein Pferd mal erschreckt oder Angst hat.
Was wünschst du dir für diesen Sport in der Zukunft?
Dass weiter gut mit den Pferden umgegangen wird und sie nicht mit Doping vollgespritzt werden.
Alice, 13 Jahre:
Hast du allgemein Idole im Reitsport?
Ingrid Klimke und Jessica von Bredow-Werndl. Sie vermitteln die Freude am Reitsport und zeigen die Fairness ihren Pferden und anderen Reitern gegenüber.
Wenn du selbst ein Vorbild wärst, was sollten andere an dir sehen?
Jemanden, der – egal, wie eine Runde war – reflektiert und stolz auf einen ist. Jemand, der generell gut mit anderen ist.
Was wünschst du dir für diesen Sport in der Zukunft?
Dass der Reitsport sich so entwickelt, dass es mehr ein Miteinander und weniger ein Gegeneinander gibt.
Merlitt, 14 Jahre:
Was ist dir bei deinem Idol wichtig?
Fairness dem Pferd gegenüber und Grenzen erkennen können.
Stell dir vor, du könntest dein Vorbild etwas fragen, was wäre das?
Wie sie mit Stresssituationen umgehen können.
Was wünschst du dir für diesen Sport in der Zukunft?
Dass der Reitsport sich zum Positiven wendet und mehr ein Miteinander wird.
Philine, 15 Jahre:
Hast du allgemein Idole im Reitsport?
Meinen Papa auf jeden Fall, Richard Vogel und Sophie Hinners. Papa kann mir einfach in jeder Situation helfen, und ich sehe, wie viel Mühe er sich mit den Pferden gibt. Bei Sophie Hinners und Richard Vogel kann man sehen, dass sie ihre Pferde auch lieben. Richard Vogel hat bei der Euro seine Medaille seiner Pflegerin gegeben, weil er allen in seinem Umfeld dankt und den Erfolg nicht nur auf sich bezieht.
Was ist dir bei deinem Vorbild wichtig?
Dass sie eine positive Einstellung haben, aber auch die negativen Seiten zeigen. Dass sie nicht alles schönreden, sondern einem auch zeigen, wie sie Fehler beheben können.
Stell dir vor, du könntest dein Vorbild etwas fragen, was wäre das?
Mich interessiert, ob sie auch so viel Druck in sich selbst spüren. Man denkt oft, dass für sie alles superleicht ist. Aber ich frage mich, ob sie sich nicht auch selbst Druck machen.
Was wünschst du dir für diesen Sport in der Zukunft?
Ich wünsche mir, dass der Reitsport nicht mehr so sehr in der Kritik steht, indem wir mehr die positiven Seiten zeigen und die negativen Seiten mehr aufklären und offen besprechen. Ich wünsche mir, dass nicht mehr so viel Neid und Hass vorherrschen. Zwischendurch erlebt man schon, dass da ganz schön viel Konkurrenzkampf ist. Klar muss man das als Sport sehen, und man ist ja auch Konkurrenz, aber ich wünsche mir mehr Miteinander und dass man sich gegenseitig mehr hilft.
