Der Reitersitz ist die direkte Verbindung zu Ihrem vierbeinigen Trainingspartner. Einfach oben bleiben genügt nicht. Ein guter Sitz macht nicht nur die Zeit im Sattel für Sie und Ihr Pferd angenehmer, er dient auch als Kommunikationskanal. Grund genug, sich mit dem eigenen Sitz zu beschäftigen – mit unseren Tipps und Sitzübungen helfen wir Ihnen dabei.
Wir klären zunächst, warum Sie mehr Skateboard-Videos schauen sollten, was es mit dem Energiesparmodus im Galopp auf sich hat und was Reiten und Gehen gemeinsam haben. Dann lüften wir gemeinsam das Kreuz-Geheimnis und geben Ihnen drei praktische Sitzübungen an die Hand, die Sie Schritt für Schritt an das Reiten mit Sitzhilfen heranführen.
Das Pferde-Skateboard: Rauf aufs Brett und Reiten lernen
Können Sie Skateboard oder Longboard fahren? Falls nicht schauen Sie sich Videos an, wie Skateboardfahrer ihr Board in Kipp- und Slalombewegungen versetzen, sodass sie sich darauf fortbewegen können, ohne einen Fuß auf den Boden zu setzen. Dazu können Sie zum Beispiel nach Videos mit der Beschreibung „how to pump a longboard“ suchen.
Welches physikalische Prinzip versteckt sich dahinter? Ganz einfach: Die Gewichtsverlagerungen führen zu einem Abwärtskippen des Brettes und treiben somit das Rad darunter vorwärts. Eine einzelne Kippbewegung würde dazu führen, dass das Brett seitwärts ausbricht. Erst die synchrone gegenläufige Kippbewegung der anderen Achse ermöglicht eine Slalombewegung. Geübte Skater können so auch höhere Geschwindigkeiten erreichen.
Klar läuft Ihr Pferd nicht auf Skateboardrollen. Doch Sie können sich dessen Beine als Ecken eines Körpermasse-Brettes vorstellen. Es kann sich sowohl vertikal (auf und ab) als auch horizontal (Slalom) bewegen, analog zu einem Skateboard. Das Modell ist natürlich sehr vereinfacht, aber es hilft Folgendes zu verstehen:
- Elastische Schwingungen: Nicht nur die Bewegung von Pferden, sondern auch die von anderen vierbeinigen Lauftieren besteht aus elastischen Schwingungen des gesamten Körpers.
- Synchronisieren Sie sich als Reiter mit der Rückenbewegung des Pferdes, können Sie die elastischen Schwingung des gemeinsamen Systems beeinflussen. So als würden Sie ein Skateboard durch Gewichtsverlagerung in Bewegung versetzen.
- Um diese Gewichtshilfen zu verstehen, muss das Pferd nicht lernen. Es reagiert intuitiv.
Wie Pferde im Galopp Energie sparen
Im Galopp passiert einiges im Pferdekörper. Das sind die Besonderheiten dieser Gangart:
- Denken Sie an einen Stein, den Sie über eine Wasseroberfläche hüpfen lassen: Genauso kommt es beim Pferd nach der Flugphase zu einem flachen Aufprallwinkel. Dieser sorgt für eine Umkehr der Bewegungskurve von abwärts nach aufwärts.
- Ist die Wirbelsäule stark konvex gekrümmt (Bogen nach oben) komprimieren deren kraftvolle Sprungfedern unter der Körpermasse des Pferdes, wenn es auf den Hinterbeinen landet. Die anschließende Entladung der Federspannung wirkt wiederum beschleunigend. Dabei wird keine Stoffwechselenergie verbraucht.
- Im Galopp rollt der Körper des Pferdes mit allen vier Beinen wie über die Speichen eines Rades ab. Dabei nimmt der Rücken zwangsläufig eine konkave Form an. Die Muskeln und Faszien am Bauch sowie am bauchseitigen Rumpf werden gedehnt.
- Während der Flugphase bringt diese elastische Spannung den Rücken dann wieder in die konvexe Form wie oben beschrieben. Alle vier Beine werden unter dem Körper gruppiert. Dadurch spannen sich jetzt umgekehrt die lange Rückenmuskulatur sowie deren Faszien an.
- Der Wechsel zwischen konvexer und konkaver Körperform des Pferdes wirkt also wie ein Federmechanismus. Zudem betrifft die Rollbewegung des Pferdes im Galopp den ganzen Körper.
Ähnliche Beckenbewegungen beim Reiten und Gehen
„Das Pferd bewegt das Becken und damit den ganzen Rumpf des reitenden Menschen annähernd so, wie wenn dieser zu Fuß gehen würde“, erklärt Dr. Brigitte Kaluza. „Damit hat das menschliche Kleinhirn einen ersten Ansatz, um die Bewegung beim Reiten zu interpretieren“.
Der Mensch balanciert als Einziger seinen Rumpf mit senkrechter Wirbelsäule aufrecht über seinem Becken. „Diese Fähigkeit, mit aufrechtem Oberkörper zu laufen, ist gleichzeitig die Grundlage für einen balancierten Reitersitz“, sagt unsere Expertin. Der Reiter sitzt mit senkrechter Wirbelsäule auf der horizontalen Wirbelsäule des Pferdes. Dadurch wird sein Becken in Bewegung und Rotation versetzt, diese entsprechen der menschlichen Geh- oder Laufbewegungen.
„Du wirst vom Pferd gelaufen – lass es zu! Halte dich senkrecht auf den nach unten weisenden Sitzbeinhöckern, als wenn du selbst auf dem Boden stündest!“ – Dr. Brigitte Kaluza –
Das Kreuz-Geheimnis: Diese Sitzübung hilft gegen Rückenschmerzen
„Kreuz anspannen!“ heißt es immer wieder im Reitunterricht. Doch was steckt eigentlich wirklich dahinter? Bei dem geheimnisvollen „Kreuz-Anziehen“ oder „Kreuz-Anspannen“ kommt die Rumpfmuskulatur zum Einsatz. Leider wird das Ganze häufig falsch verstanden und nicht nur Reiter, sondern auch Pferde kämpfen mit Rückenschmerzen.
Das Kreuz-Anspannen wird meist als statische Haltung losgelöst vom Bewegungsrhythmus des Pferde erklärt. Zum Beispiel als Vorgang, bei dem der Reiter mit seinem Becken Kraft auf das Pferd ausübt. Dann wird das Becken abgekippt und mit dem Oberkörper geschoben, als würde der Reiter eine Schaukel zum Schwingen bringen. Prinzipiell ist es biomechanisch korrekt, dass durch das Kippen des Beckens in Verbindung mit der Schwungmasse eine Sitzwirkung erzeugt wird. Nur sollten Sie dazu wissen:
- Wir sind nicht in der Lage unsere Rumpfmuskulatur so fein koordiniert und im Sekundenbruchteil anzusteuern, dass eine Einwirkung in einem sich ständig bewegenden System (Pferd-Reiter) gelingen kann.
- Dennoch können wir über unseren bewussten Verstand und entsprechende Konzentration annähernd beobachten, was unsere Rumpfmuskulatur tut.
- Um mit dem Sitz einzuwirken, führt das Becken wirklich Kippbewegungen aus. Allerdings bewegt sich bzw. kippt der Pferderücken auch ohne Reiter permanent. Und zwar nicht nur vor und zurück, sondern auch in seitlichen Wellenbewegungen.
- Der Reiter muss die Bewegungen seines Beckens mit denen des Pferderückens synchronisieren. Erst dann kann er mit seiner Rumpfmuskulatur gezielte Impulse in den passenden Momenten geben. Dazu muss er den Bewegungsablauf fühlen.
- Synchronisieren Sie sich zunächst durch Ihre eigene Losgelassenheit mit der Pferdebewegung und erhöhen Sie dann die Körperspannung im Rumpf.
- Der Oberkörper dient zwar als Schwungmasse, jedoch nicht als aktive. Vielmehr liefert er der Rumpfmuskulatur als passive Masse das Widerlager für den Antrieb des Beckens.
- Die Einwirkung mit dem Sitz erfolgt nicht kontinuierlich. „Der Normalzustand des Reiters ist losgelassene Synchronität, aus der heraus zum richtigen Zeitpunkt eine Sitzhilfe erfolgt“, so unsere Expertin. Das Bild des Skateboardfahrens solle nicht dazu verleiten, ständig den Pferderumpf mit dem Becken antreiben zu wollen – das Pferderücken-Skateboard habe seinen eigenen Antrieb, es müsse nur noch kontrolliert und gesteuert werden!
„Losgelassenheit ist auch beim Zügelkontakt essenziell. Wenn der Reiter mehr Kraft am Zügel aufbringen muss als lediglich die seiner Finger, wird die Balance seines Sitzes gestört.“ – Dr. Brigitte Kaluza –
Sitzübung 1: I feel you
Nehmen Sie sich die Zeit, ein Gefühl für sich und Ihr Pferd zu entwickeln. So können Sie Veränderungen aber auch Fortschritte immer besser wahrnehmen.
- Nehmen Sie schon beim Aufsteigen über Ihr Gesäß Kontakt zu Ihrem Pferd auf.
- Bleiben Sie dazu einen Moment stehen und atmen Sie ganz bewusst ein paar Mal ein und aus. Ihr Pferd darf das Atemgeräusch ruhig hören. Was bemerken Sie?
- Beim Anreiten im Schritt schwingen Sie locker mit der Mittelpositur mit. Spüren Sie den Schritt Ihres Pferdes.
- Stoppen Sie dann bewusst die Bewegungen Ihres Beckens, indem Sie es feststellen und beobachten Sie, wie Ihr Pferd reagiert.
- Gerade der Schritt ist eine gute Gangart zum Lernen, aber auch, um möglich Fehler aufzudecken. Ein Pferd kann nur ehrlich durch den Körper schreiten, wenn der Reiter es durch seinen Sitz zulässt.
- Spüren Sie, wie sich Ihre Beckenknochen bewegen, wenn Sie sich auf die Bewegungen Ihres Pferdes einlassen. Sie können auch abwechselnd eine Hand an Ihr Becken, auf den unteren Bauch und an den hinteren Rücken legen.
Sitzübung 2: Leichter in den Schritt
Übergänge vom Leichttraben in den Schritt sind eine gute Übung, um das Reiten mit Sitzhilfen zu lernen:
- Viele Pferde machen sich im Trab im Rücken fest(er), sobald der Reiter aussitzt. Sie können Ihr Pferd aber bereits im Leichttraben durch Ihre Sitzhilfen abfangen, ohne stark mit der Hand zu werden. Machen Sie sich groß und verlangsamen Sie Ihr Tempo beim Aufstehen und Hinsetzen, so dass Sie das Gefühl haben, Ihr Pferd tanzt mit Ihnen und passt sich Ihrem Rhythmus an. Ist es dann bei Ihnen und kurz vor dem Durchparieren, nutzen Sie den Moment, sitzen aus und reiten den Übergang zum Schritt.
- Wenn Sie bisher nur wenig mit Sitzhilfen geritten sind, geben Sie sich und Ihrem Pferd Zeit, zu lernen. Stellen Sie sich beim Parieren vor, wie Ihr Pferd auf Ihre Sitzhilfe zurückkommt und Sie einen Übergang ohne Handeinwirkung reiten können.
- Wenn das gelingt, spielen Sie auch innerhalb der Gangarten mit dem Tempo am Sitz. Reiten Sie nicht direkt Mitteltrab, sondern legen Sie nur ein wenig zu, so dass Sie selbst weiterhin gut sitzen können. Es geht darum, die Kommunikation mit dem Pferd zu verfeinern.
Übung 3: Sitzhilfen steigern
So lassen sich die Sitzhilfen in ihrer Intensität steigern:
- Das reine „Mitlaufen“ ist die mildeste treibende Hilfe des Reiters. Dabei wird die Bewegung, die sich über die Sitzbeinhöcker auf Ihren Körper überträgt, zugelassen. Ihre Gesäßmuskeln sowie die Innenseiten Ihrer Oberschenkel folgen den Pferdebewegungen passiv.
- Setzen Sie als Reiter Ihre Rumpfmuskulatur ähnlich einem Sprinter beim Beschleunigen ein, bringen Sie dadurch automatisch mehr Druck im Rhythmus der Bewegung auf Ihre Gesäßhälften. So nehmen Sie aktiv Einfluss auf die „Hinterachse des Pferderücken-Skateboards“.
- Durch eine zusätzliche Erhöhung des Knieschlusses erreichen Sie die höchste Intensität der Sitzhilfe. Dabei wirken Sie mit Ihrer Muskulatur und Ihrem Körpergewicht gleichzeitig auf Vor– und Hinterhand ein, wodurch eine intensive treibende Hilfe entsteht. Der Knieschluss darf aber immer nur kurz intensiviert werden und nicht zum Klemmen mit dem Bein führen.
- Nur wenn Sie mit der Bewegung Ihres Pferdes synchronisiert sind, können Sie Ihre Rumpfmuskulatur zur Hilfengebung einsetzen.
ACHTUNG: Blockieren Sie hingegen die Bewegungen des Pferdes durch Ihre Muskulatur, dann wirkt das wie eine intensive Parade.