November 2023: Ein Skandal, der die Reiterwelt bewegt. Die erfolgreichste Dressurreiterin der Welt, die den Hauptakteur öffentlich in Schutz nimmt. Und nun ein millionenschwerer Schulterschluss. Die Partnerschaft von Isabell Werth und Helgstrand Dressage Germany, die ab dem 1. Januar 2026 intensiviert werden soll, hat viel Kritik ausgelöst. Was diese Allianz für den Reitsport bedeuten könnte – und warum es sich lohnt, genau hinzusehen.
Die Forderung nach mehr Pferdewohl, nach besseren Haltungsbedingungen, bewusster Fütterung und sanfter Reiterei auf der einen Seite – zusammengeschnürte Mäuler, Gertenstriemen auf dem Fell, Sporen im Bauch und aggressiver Umgang mit dem Pferd auf der anderen: Die Kluft in der Reitsportbranche ist schon lange groß.
Vor diesem Hintergrund wirkt die nun angekündigte Kooperation zwischen Isabell Werth und Helgstrand Dressage wie ein Brennglas auf dem Status quo: Zum 1. Januar 2026 verlegt Helgstrand seinen deutschen Standort auf Isabell Werths Anlage in Rheinberg. Dort entstehen neue Bürogebäude, eine EU-Hengststation sowie weitere Trainingsanlagen für Zucht- und Sportpferde. Werth behält die Standortleitung, Dr. Ulf Möller bleibt als Scout und Trainer an Bord. Auch die Zusammenarbeit mit Paul Schockemöhle beim Samenversand läuft weiter.
Große mediale Aufmerksamkeit für Werth und Helgstrand
In Rheinberg steht bereits Wendy, eines von Helgstrands früheren Erfolgspferden. Die Stute war zu Isabell Werth in den Stall gewechselt, nachdem eine Undercover-Doku die Machenschaften in Helgstrands Stall in Dänemark aufgedeckt hatte. Am 22. und 24. November 2023 strahlt der dänische Sender TV 2 die Undercover-Doku „Operation X“ aus. Die verdeckten Aufnahmen zeigen Pferde mit offenen Sporenwunden, Gertenstriemen, geritten in engster Rollkur. Ehemalige Mitarbeitende berichten, dass solche Trainingsmethoden systematisch angewendet und Verletzungen teils vertuscht werden – etwa durch das Abdecken mit Schuhcreme.

Ausschnitt aus den heimlichen Filmaufnahmen: 2023 wurde „Operation X“ veröffentlicht, Helgstrand danach gesperrt. (© TV 2)
Sperre für Andreas Helgstrand
Der dänische Reiterverband DRF schließt Andreas Helgstrand daraufhin aus dem Nationalteam und allen Team-Aktivitäten aus, die FEI spricht eine Turniersperre bis Ende 2024 aus. Nachdem dann jedoch im Juli 2024 ein Trainingsvideo publik geworden ist, in dem Helgstrands Schülerin Carina Cassøe Krüth ihr Pferd mit der Gerte schlägt und Helgstrand im Hintergrund zu hören ist („Give it a proper one“, sinngemäß: „Gib ihm jetzt richtig eine“), verhängt das Gremium eine zusätzliche dreimonatige Sperre für Helgstrand (bis 3. Januar 2025), die jedoch in die einjährige Sperre integriert wird, faktisch also keine Verlängerung ist. Außerdem soll Helgstrand eine Geldstrafe zahlen.
Isabell Werth und Helgstrand arbeiten weiter zusammen
Für Werth ist das kein Grund, mit Helgstrand zu brechen. Sie erklärt öffentlich, bei ihren Besuchen in Helgstrands Stall nie ein pferdewidriges Training gesehen zu haben, und gibt kurz nach der TV-Doku einen Lehrgang in seinem Stall in Wellington, Florida. Helgstrands Reaktion damals nach Veröffentlichung der Filmszenen: Man hätte in diesem Stall etwa 350 Pferde in Arbeit, man käme auf rund 10.000 Ritte pro Monat. Da könnten Fehler passieren.
Was er jedoch auf den Aufnahmen der Dokumentation gesehen habe, sei „schlechtes Reiten“ und „nicht akzeptabel“. Man werde darauf reagieren. Das bedeutete konkret: Es wurde ein Maßnahmenkatalog entwickelt, der auch auf der Website von Helgstrand Dressage nachzulesen ist. Dazu gehören beispielsweise Kameras in den Reithallen, engmaschige Kontrollen der Pferde auf Verletzungen sowie ein Verhaltenskodex.
Mit Smartphones und Verbänden gegen Tierquälerei
Dieser Skandal war nicht der einzige. Auch in den Jahren zuvor gab es immer wieder massive Kritik an Helgstrands Art zu reiten – auch auf öffentlichen Abreiteplätzen. Die Vergangenheit wirft Fragen auf, die mediale Aufmerksamkeit ist groß, die Omnipräsenz von Smartphones macht es schwieriger, unbemerkt gewaltsame Praktiken anzuwenden. Auch die Verbände werden intensiv in die Pflicht genommen. Die FEI erlässt beispielsweise zum ersten Mal eine 15-jährige Sperre für den Dressurreiter César Parra, der nachweislich Pferde gequält hat.

Ein Bild aus 2015: Damals stand Andreas Helgstrand, hier auf der Stute Tørveslettens Stamina, wegen der Rollkur in der Kritik. (© epona.tv/ Archiv)
Kein Problem für die Karriere
Februar 2025: Helgstrand kehrt mit seinem Hengst Jovian beim nationalen dänischen Turnier in Hjallerup zurück in die Turnierszene. Er gewinnt die Grand-Prix-Prüfung, wird vom Publikum mit tosendem Applaus belohnt. In Herning im März geht es weiter: Auch hier ist Jovian mit seinem Reiter siegreich.
Das internationale Turnier in Dänemark werten Kritiker in den sozialen Medien als eine Art Rehabilitations-Event für Andreas Helgstrand: Eine begeisterte Atmosphäre, viel Applaus. Seiner reiterlichen Karriere hat die negative Berichterstattung offenbar nicht nachhaltig geschadet. Dennoch gibt es nach dem Ritt mit Jovian im Nachgang verbale Prügel für Andreas Helgstrand in den sozialen Medien. Kritiker bemängeln, dass Jovian taktunrein ging, die Skala der Ausbildung nicht erfüllt sei und das Pferd generell unglücklich gewirkt habe.
Die Zusammenarbeit von Werth und Helgstrand
August 2025: Isabell Werth und Andreas Helgstrand verkünden die Nachricht vom Zusammenschluss. Es hagelt erneut Kritik in den sozialen Medien. Isabell Werth reagiert: Sie veröffentlicht ein Video-Statement, stellt klar, dass die Zusammenarbeit mit Andreas Helgstrand kein „neues Phänomen“ sei, sondern „eine seit Jahren bestehende Zusammenarbeit“.

In den sozialen Medien: Isabell Werth hatte auf Instagram gemeinsam mit dem Account von Andreas Helgstrand die intensivierte Kooperation verkündet. (© Screenshot Instagram)
Neben Wendy gebe es schon seit Längerem weitere Pferde von Helgstrand, die bei ihr im Stall stehen. Neu sei lediglich die Erweiterung der Kooperation in Form einer Hengststation. Es habe viele sachliche, kritische, negative wie auch positive Kommentare gegeben – und diese seien willkommen, sagt sie öffentlich. „Aber es hat auch viele Kommentare gegeben, die die Grenze dessen überschritten haben, was akzeptabel ist.“ Es gebe viele junge Leute, die an solchen „Hasstiraden“ verzweifeln und zerbrechen – „das tue ich sicher nicht“.
Sie wolle jedoch ein Zeichen setzen und erwarte, dass man sich angemessen äußere. Auf die inhaltliche Kritik geht sie nicht ein. Auf unsere Anfrage vor der EM ließ Isabell Werths Kommunikationsbeauftragte Franca Lehfeldt mitteilen, dass die Dressurreiterin ihre Medienarbeit zugunsten der sportlichen Vorbereitung reduzieren müsse. Inzwischen ist die EM erfolgreich absolviert – eine nachvollziehbare Prioritätensetzung. Umso mehr hoffen wir, dass nun Zeit für die Antworten bleibt.

Drei Tage nach dem ersten Post veröffentlicht sie ein Videostatement und reagiert auf die Kritik. (© Screenshot Instagram)
Unsere Fragen an Isabell Werth
Hier veröffentlichen wir einen Auszug der Fragen.
- Wie genau fügt sich die Ansiedlung von Helgstrand Dressage in Ihre eigene sportliche Vision ein?
 - Mit Ihrem Eintritt in die Global Equestrian Group sind Sie künftig Teil eines Netzwerks, das einige der größten Namen und Unternehmen im internationalen Pferdesport vereint. Was hat Sie überzeugt, diesen Schritt zu gehen?
 - Wie wollen Sie sicherstellen, dass Ihre Trainingsphilosophie auch unter wirtschaftlichem Druck konsequent das Wohl der Pferde in den Mittelpunkt stellt?
 - Gibt es für Sie persönlich Themen, bei denen Sie sagen: Hier habe ich in den letzten Jahren gelernt und etwas verändert – und das wird sich in dieser Partnerschaft mit Andreas Helgstrand auch widerspiegeln?
 
Unsere Fragen an Andreas Helgstrand
Auch bei Andreas Helgstrand haben wir um ein Interview gebeten. Darauf hat er innerhalb von drei Wochen nicht reagiert. Wir haben unter anderem diese Fragen gestellt:
- Sie bezeichnen die Zusammenarbeit mit Isabell Werth als „wahr gewordenen Traum“. Welche strategischen Vorteile sehen Sie in dieser Partnerschaft? Warum haben Sie sich gerade für Isabell Werth entschieden?
 - Ihr Wechsel nach Rheinberg fällt mit einer Phase zusammen, in der Helgstrand Dressage international unter genauer Beobachtung steht. Wie wollen Sie hier ein Signal für Qualität und Verantwortung setzen?
 - Angesichts kritischer Stimmen aus der Reitsportszene zu Vorwürfen rund um den Tierschutz und zu hohen Leistungsanforderungen: Wie wird sichergestellt, dass bei den Hengst- und Verkaufspferden am neuen Standort ein artgerechtes und stressfreies Trainingsumfeld gewährleistet ist?
 - In der Vergangenheit gab es wiederholt Debatten zu Überbelastung oder problematischen Trainingsmethoden im Spitzensport, auch auf Ihrer Anlage. Wie planen Sie, Ihrem gesellschaftlichen Auftrag gerecht zu werden und sicherzustellen, dass das nicht mehr vorkommt?
 
Mehrteilige Recherche
Die jetzt voranschreitende Entwicklung ist mehr als nur ein Kapitel in der Biografie zweier Spitzensportler: Was bedeutet die Kooperation für das Ansehen des Sports? Welche Botschaft sendet dieser Zusammenschluss, und welche Auswirkungen wird er haben? Kritiker sehen sich bestätigt: Selbst gravierende Verstöße gegen das Tierwohl haben keine dauerhaften Konsequenzen, wenn der sportliche oder wirtschaftliche Nutzen groß genug ist.

Arbeiten ab Januar 2026 noch enger zusammen: Isabell Werth und Andreas Helgstrand. (© Stefan Lafrentz)
Aber es könnte auch anders sein, und der jetzige Zeitpunkt markiert möglicherweise einen Prüfstein, der aufzeigt: Was wurde aus der Vergangenheit gelernt? Wir wollen kritisch, aber konstruktiv hinschauen – und auch zeigen, wenn sich dadurch tatsächlich etwas zum Positiven verändert. In einer mehrteiligen Recherche werden wir deshalb herausfinden…
- was wirtschaftliche Verflechtungen in der Reitsportbranche bewirken.
 - was das mit dem Turniersystem und dem Richtsystem zu tun hat.
 - welche Auswirkungen das auf die Vermarktung junger Pferde und Auktionen hat.
 - welche Rolle Sponsoren im Turniersport spielen.
 - wie Tierwohlstandards im Spitzensport durchgesetzt (oder umgangen) werden.
 - wie der Nachwuchs- und Amateursport auf eine Branche blickt, die Vorbilder dringend braucht.
 
Unser Ziel: Zusammenhänge transparent machen und Diskussionen anstoßen, die der Reitsport lange vor sich hergeschoben hat. Denn die Hoffnung, dass im Spitzensport pferdefreundlich gearbeitet wird, darf nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben. Wir von Hooforia stehen klar für #doitride. Und das bedeutet:
- Das Wohl des Pferdes steht über allen anderen Interessen.
 - Wir benötigen ein tiefes Verständnis für die Natur des Pferdes.
 - Wir achten seine Grundbedürfnisse.
 - Wir sind ständig bereit, für das Pferd zu lernen.
 - Wir begegnen dem Partner Pferd mit Respekt und Verantwortung.
 
-> Bei Fragen oder Anmerkungen, melden Sie sich gern unter redaktion@hooforia.com.
Global Equestrian Group: Das Helgstrand-Imperium
Andreas Helgstrand ist nicht nur ein international erfolgreicher Dressurreiter, sondern auch einer der größten Pferdehändler der Welt. Mit seinem Unternehmen Helgstrand Dressage (Sitz in Uggerhalne, Dänemark) betreibt er einen Handelsstall mit rund 700 Pferden sowie Ausbildungszentren in Deutschland und den USA. 2022 war ein Rekordjahr: Laut Proff.dk erzielte die Firma rund 71 Mio. Euro Umsatz, bei einem Gewinn von etwa 20 Mio. Euro.
Zum Imperium gehören außerdem die Helgstrand Stallion Collection, eine der weltweit größten Hengststationen (über 6.000 Bedeckungen pro Jahr) sowie die Event-Sparte Helgstrand Event, die internationale Turniere wie den FEI Nations Cup oder die Dänischen Meisterschaften im Dressurreiten ausrichtet. Ergänzt wird das Geschäft durch Lifestyle-Marken wie Helgstrand Jewellery (geführt von Ehefrau Marianne) und die Reitsportmodemarke Kingsland Equestrian.
Seit 2021 ist Helgstrand Teil der Global Equestrian Group (GEG), die von Waterland Private Equity mitgegründet wurde. Unter ihrem Dach sind auch die Beerbaum Stables (Springreiten), Riesenbeck International, die Danish Christmas Show, World Cup Herning sowie seit 2022 die Outstanding Stables von Patrik Kittel und Lyndal Oatley angesiedelt. Die GEG beschäftigt über 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und erwirtschaftet nach eigenen Angaben rund 175 Mio. Euro Jahresumsatz. Durch ihre Kooperation mit Andreas Helgstrand wird nun auch Isabell Werth ab dem kommenden Jahr Teil der GEG sein.
Interview: Werth und Helgstrand aus Sicht der FN
Hooforia: Wie bewertet die FN im Rahmen ihrer Verbandsethik die enge Kooperation zwischen Isabell Werth, Helgstrand Dressage und deren Einbindung in die Global Equestrian Group?
FN-Präsident Martin Richenhagen: Isabell Werth ist eine erfahrene Reiterin, die sich ihrer Verantwortung gegenüber den Pferden sehr bewusst ist. Wir gehen immer davon aus, dass sich unsere Kaderreiter nach den ethischen Grundsätzen des Verbandes richten und ihr Handeln daran ausrichten. Kooperationen liegen in der Verantwortung der Beteiligten. Wir erwarten, dass die Leitlinien des Pferdesports eingehalten werden.
Sehen Sie in dieser Konstellation – mit mehreren international bedeutenden Reitern und Betrieben unter einem Unternehmensdach – eher Chancen für den Sport oder auch Risiken?
Kooperationen dieser Art zeigen, dass der Pferdesport auch wirtschaftlich und strukturell weiterdenkt. Maßgeblich bleibt dabei aber immer, dass die Verantwortung für das Pferd an oberster Stelle steht – in der Haltung, der Ausbildung und im sportlichen Einsatz. Nur wenn dieser Anspruch konsequent gewahrt wird, können Chancen wirklich zum Wohle des Sports und seiner Pferde genutzt werden.
Helgstrand Dressage und weitere GEG-Mitglieder standen in der Vergangenheit im Fokus von Tierschutzdebatten. Inwieweit überprüft die FN, ob weiterhin im Einklang mit den ethischen Grundsätzen des Pferdesports gehandelt wird?
Wie gesagt, wir erwarten, dass sich unsere Kaderreiter ihrer besonderen Verantwortung bewusst sind und ihr Handeln konsequent an den Regeln und Grundsätzen des Pferdesports ausrichten. Dies ist die Basis, an der wir unser gesamtes Tun messen. Und natürlich haben wir die entsprechenden Diskussionen sehr aufmerksam verfolgt.
Gerade in sensiblen Diskussionen um das Tierwohl im Spitzensport spielt die öffentliche Kommunikation eine große Rolle. Welche Verantwortung sehen Sie bei prominenten Reitern wie Isabell Werth?
Jeder, der mit Pferden oder anderen Tieren umgeht, trägt eine große Verantwortung – jede einzelne Handlung zählt im direkten Kontakt mit dem Tier. Gerade prominente Reiterinnen und Reiter stehen zusätzlich in der Öffentlichkeit und prägen das Bild des Pferdesports entscheidend mit. Sie haben daher eine besondere Vorbildfunktion: Von ihnen erwarten wir neben einem vorbildlichen Verhalten im täglichen Umgang mit Pferden auch eine öffentliche Kommunikation, die klar und glaubwürdig für das Tierwohl steht.
Und sehen Sie als FN selbst die Notwendigkeit, auf die Reitsport-Community zuzugehen?
Unsere Angebote richten sich an Reiter, Züchter, Ausbilder und Pferdebegeisterte, wir gehen seit Jahren auf die Menschen, Vereine und Betriebe zu. Die FN bietet der Reitsport-Community vielfältige Möglichkeiten, sich weiterzubilden – von praxisnahen Seminaren über Richtlinien für Reiten und Fahren bis hin zu Informationen auf unserer Website und den Social-Media-Kanälen. Gerade bei sensiblen Fragen wie dem Tierwohl suchen wir aktiv den Dialog – auch mit kritischen Stimmen. Wir setzen zunehmend auf offene Diskussionsformate, um direkt mit der Reitsport-Community ins Gespräch zu kommen.
			
			
			