Die Bundeschampionate in Warendorf sind Jahr für Jahr eine der wichtigsten Veranstaltungen im Pferdebereich, denn sie sind Zucht-, Leistungs- und Verkaufsplattform in einem. Das weiß auch Dr. Henrike Lagershausen, die leitende Veterinärin der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). Was sie von der Kritik am Sport mit jungen Pferden hält, wie die Pferdekontrollen vor Ort verlaufen und welche Verbesserungen in Richtung Pferdewohl sie in den vergangenen zehn Jahren miterlebt hat, danach haben wir sie im Interview gefragt.
Hooforia: Was ist bei den Bundeschampionaten Ihre Aufgabe?
Dr. Henrike Lagershausen: Gemeinsam mit dem gesamten Vet-Team, das über die Tage der Bundeschampionate etwa dreizehn Personen umfasst, kümmern wir uns bei der Anreise der Pferde um die Kontrolle der Pässe und der korrekten Impfungen. Influenza halbjährlich ist Pflicht. Die ganzen Tage über ist es so, dass die Pferde das Gelände nicht verlassen dürfen; die Stallzelte werden dauerhaft bewacht.
Es gibt Stallrundgänge zu verschiedenen Zeiten um frühzeitig eingreifen zu können, sollte ein Pferd Koliksymptome oder extreme Unruhe und Stress zeigen, husten oder anders auffällig werden. Natürlich wird auch darauf geachtet, dass alle Reiterinnen und Reiter gut mit ihren Pferden umgehen.
Und was genau passiert bei der Veranstaltung?
Während der Veranstaltung steht das Vet-Team in erster Linie dafür bereit, im Notfall ein Pferd schnell tierärztlich versorgen zu können oder wenn sich Richter oder Stewards bei einem Pferd unsicher sind, dann können wir gemeinsam schnelle Entscheidungen treffen. Außerdem führen wir Tierärzte während der gesamten Veranstaltung Medikations- und Pferdekontrollen durch.
Die Richter und Stewards führen bei jedem startenden Pferd eine Ausrüstungskontrolle durch und beobachten die Pferd-Reiter-Paare auf dem Vorbereitungsplatz. Neu ist der FEI-Nasenkeil, den wir hier das erste Jahr verwenden, um die Zweifinger-Regel zu kontrollieren. Das ist ein Pilotprojekt, von dem ich mir aber wünsche, dass wir es künftig flächendeckend nutzen.
Der Keil muss auf dem Nasenrücken durch das Reithalfter des Pferdes gesteckt werden, sodass sichergestellt ist, dass die Riemen nicht zu eng verschnallt sind. Ist ein junges Pferd skeptisch, darf der Reiter oder die Reiterin den Messkeil in Ausnahmefällen auch unter Aufsicht des Stewards selbst anwenden. Das Gute an diesem standardisierten Keil ist, dass er ein genormtes Messinstrument ist und sich jegliche Diskussionen dadurch erübrigen.
Wie wird insbesondere bei den drei- und vierjährigen Pferden sichergestellt, dass sie der Herausforderung der Bundeschampionate auch gewachsen sind?
Die Pferde, die es bis hierher geschafft haben, haben schon im Vorfeld unter Beweis gestellt, dass sie den Anforderungen gewachsen sind. Aus tierärztlicher Sicht ist viel wichtiger, wie mit jungen Pferden gearbeitet wird, anstatt immer nur darauf zu schauen, wie früh sie in Arbeit genommen werden.
Natürlich kommt es vor, dass besonders die jüngeren, unerfahrenen Pferde mal aufgeregter sind, aber ich bin hier viel am Reitpferdeplatz unterwegs gewesen und finde: Das haben sowohl die Stewards als auch die Reiterinnen und Reiter gut im Griff. Sobald ein Pferd Überforderung zeigt oder sich nach einem Schreck-Moment nicht mehr beruhigen lässt, wird der Reiter angesprochen. In der Regel sind alle dahingehend sehr sensibilisiert.
Kein Reiter möchte, dass das Pferd aus Stress oder Überforderung einen schlechten Auftritt hinlegt, deswegen ist man sich meistens sehr schnell einig und ein Pferd wird freiwillig zurückgezogen. Falls das nicht im Einvernehmen passiert, wird das Pferd disqualifiziert. Im Regelfall reicht eine Ansprache. Und ja, die Stewards sind natürlich im Falle des Falles auch dafür da, bestimmt einzugreifen, wenn es nötig ist. Aber das habe ich den vergangenen zehn Jahren vielleicht zweimal erlebt.
Die meisten Reiterinnen und Reiter sind sehr einsichtig und möchten, dass es ihren Pferden gut geht. Es geht bei diesem Job nicht darum, immer nur rote Karten zu zeigen, sondern die richtigen Impulse zu setzen und in einen konstruktiven Austausch zu kommen.
Wie stehen Sie zu der Diskussion, dass Dreijährige noch nicht auf einem Turnier vorgestellt werden sollten?
Es ist legitim, darüber zu diskutieren und diese Diskussion ist auch schon sehr alt. Aber wie schon erwähnt: meiner Meinung nach ist das „wie“ zu jedem Zeitpunkt wichtiger als das „wann“. Mir ist es wichtig, diese Frage objektiv und auf Basis von Fakten zu diskutieren.
Es gibt eine Metaanalyse von Prof. Uta König von Borstel zum Einfluss früher Nutzung auf Nutzungsdauer und Gesundheit von Pferden, die 21 Studien ausgewertet hat. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein früher Nutzungsbeginn von Pferden durchaus auch von Vorteil sein kann – immer vorausgesetzt, es wird mit Augenmaß und Fachwissen betrieben und die Haltung der Pferde passt. Die Sehnen, Bänder und die Knochen können sich so früh sehr gut auf sportliche Belastung einstellen.
Natürlich kann ich auch ein Pferd erst fünfjährig anreiten, dass es dadurch jedoch gesünder und länger sportlich einsetzbar wird, ist fraglich. Aus tierärztlicher Sicht ist es vor allem wichtig, dass grundsätzliche Management und die Haltung der Pferde sinnvoll und pferdegerecht zu gestalten. Dabei spielt die tägliche freie Bewegung eine entscheidende Rolle.
In der Untersuchung kam zum Beispiel heraus, dass eine Weidehaltung gemeinsam mit moderatem Training die beste Grundlage für ein stabiles Sportpferd schafft und deshalb empfehle ich auch niemandem, erst extrem spät anzufangen, ein Pferd in Arbeit zu nehmen.
Ich habe ein Problem damit, wenn kategorisch und pauschal gesagt wird, ein Dreijähriger dürfe niemals geritten werden. Es kommt immer auf die individuellen körperlichen Voraussetzungen und das Interieur des Pferdes an sowie auf die Frequenz und Intensität des Trainings. – Dr. Henrike Lagershausen –
Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass sich einige Pferde fürs Bundeschampionat qualifizieren, aber gar nicht an den Start gebracht werden. Zudem wissen wir durch eine Auswertung der in 2015 geborenen Pferde, dass nur vier Prozent von ihnen 2018 als Dreijährige bei einem Turnier an den Start gegangen sind.
Der allergrößte Teil der Pferde, die bereits dreijährig in Reitpferde- oder Gewöhnungsprüfungen gestartet werden, gehen nur ein- oder zweimal an den Start. Darüber hinaus dürfen diese Pferde gem. LPO erst ab dem 1. Mai in Prüfungen vorgestellt werden. Auch die Vierjährigen werden im Hinblick auf die Anzahl an Starts mit Bedacht eingesetzt.
Was hat sich in den zehn Jahren, die Sie das Bundeschampionat begleiten, verändert?
Das ist viel. Die Sensibilität für das Thema Tierschutz und Tierwohl hat sich insgesamt deutlich erhöht. Es wird kontinuierlich daran gearbeitet, für die jungen Pferde top Rahmenbedingungen zu schaffen. Für die Jüngsten wurden die die Prüfungsanforderungen immer wieder angepasst.
Die Prüfungen für Dreijährige enthalten beispielsweise bereits seit einigen Jahren keinen Fremdreitertest mehr und auch das Tritte verlängern wurde nun herausgenommen, um die Prüfungszeit weiter zu verkürzen und die Anforderungen zu verringern. Der Beurteilung der Qualität der Pferde und ihrer Grundgangarten tut das keinen Abbruch.
Ganz generell wird auf allen Plätzen auf eine altersgerechte Vorstellung geachtet. Außerdem ist der Kriterienkatalog für den Vorbereitungsplatz nach wie vor ein wichtiges Tool für Stewards, Richter und Aktive und jeder Pferdesportler muss sich an den Kriterien messen lassen können.
Darüber hinaus wird nicht nur bei jedem Pferd eine Ausrüstungskontrolle inklusive Messkeil durchgeführt, sondern auch die Anzahl der Pferdekontrollen hat sich erhöht. In der LPO gab es immer wieder Anpassungen im Hinblick auf das Tierwohl, z.B. durch die Einführung der sog. „Blutregel“.
Bei Blut oder Verletzungen im Einwirkungsbereich, wie dem Maul und der Schenkellage gibt es keinen Ermessensspielraum. Wir informieren außerdem über die „Top 5 Tipps für mehr Hygiene auf dem Turnier“ an den Stallzelten.
Wie ist denn ihr Eindruck auf den Bundeschampionaten, gibt es mehr oder weniger Verstöße als auf regulären Turnieren?
Für die meisten Aktiven hier in Warendorf ist das Reiten der Beruf. Sie sind entsprechend professionell und wissen, was sie tun. Natürlich gibt es auch hier immer mal schwarze Schafe, deren Verhalten nicht akzeptabel ist. Das ist aber die Ausnahme. Die Reiterinnen und Reiter stellen sich hier ohne Aufforderung bei den Richtern und Stewards zur Ausrüstungskontrolle vor und die Durchführung von Pferde- sowie Medikationskontrollen wird als selbstverständlich wahrgenommen.
Viele kommen auch proaktiv mit Fragen auf uns zu, wenn sie sich unsicher sind. Dann gehen wir in den direkten Austausch, wir Tierärzte können das „Problem“ bewerten und gemeinsam mit den Richtern und Aktiven entscheiden, ob das Pferd starten sollte oder nicht. Das Bewusstsein für das Thema Pferdewohl wird immer größer und das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
