Die Aufforderung im Training, das Pferd „mehr von hinten nach vorne“ zu reiten, kann zu einem Kreislauf aus Dauertreiben, Verspannungen und Sitzfehlern führen. Das Problem: Viele Standardsätze im Reitunterricht werden falsch verstanden. Die Ausbilderinnen Brigitte Lenz und Nicole Künzel erklären, warum ständiges Treiben weder pferdegerecht noch effektiv ist und wie es richtig geht.
Es gibt einige Standardsätze im Reitunterricht, die falsch verstanden oder irgendwie nach bestem Wissen interpretiert werden. Über deren Bedeutung und Zusammenhänge, etwa wenn es darum geht, Pferde richtig zu treiben, wird jedoch nicht weiter gesprochen. Ein gutes Beispiel dafür ist: „Mehr von hinten nach vorne“.
Klar, der Motor des Pferdes ist hinten, und der Reiter möchte diesen Motor aktiv halten oder das Pferd zum Beispiel mehr zur Lastaufnahme anregen. Was wir dann häufig sehen, sind Reiter, die intensiver mit dem Schenkel einwirken oder eben auch mit Gerte und Sporen.
Pferde richtig treiben – und nicht blockieren
Entgegen den Erwartungen entstehen nun aber nicht durchweg positive Bilder von Pferden, die aktiv über den Rücken an das Gebiss herantreten. Das Pferd verspannt sich, anstatt loszulassen, es kann zu Taktfehlern oder sogar Widersetzlichkeiten kommen. Manche Pferde stumpfen am Bein ab.
Nicht selten leidet zudem der Sitz des Reiters unter dem ständigen Treiben. So wird das Gegenteil von dem erreicht, was eigentlich gemeint ist. Der Rücken blockiert, die Verbindung zur Reiterhand kann nicht mehr fein sein und das Pferd nicht mehr durch den Körper schwingen.

Manchmal muss der Ausbildungsplan grundsätzlich überdacht werden, um weitere Ursachenforschung zu betreiben. (© Slawik)
Irrglaube: „Viel hilft viel“
Warum sich der Irrglaube „Viel hilft viel“ im Reitsport so hartnäckig hält, erklärt Ausbilderin Brigitte Lenz:
- Missverständnis der Hilfen: Viele Reiter sehen Hilfen eher als Befehle, die stark gegeben werden müssen, um Wirkung zu zeigen. Dabei wird übersehen, dass Hilfen feine Signale sein sollten. Zu starkes beziehungsweise falsch verstandenes Treiben erzeugt oft Unwillen oder Widerstand.
- Hohe Erwartungen und Leistungsdruck: Reiter wollen alles richtig machen und setzen sich selbst und ihr Pferd unter Druck. Mehr Hilfen sollen „Probleme“ im Training schneller lösen und Erfolge bringen. Sie führen aber oft zu Verspannungen bei Reiter und Pferd und damit zu einer schlechteren Kommunikation.
Pferde durch Kommunikation richtig treiben
- Innere Bilder und Denkmodelle: Die Überzeugung, nur durch viel Einsatz oder Druck zum Ziel zu kommen, hält sich hartnäckig, weil es überall in Reithallen so zu hören ist – mehr tun statt zu fühlen und zu verstehen.
- Fokus auf Kontrolle statt Partnerschaft: Manche Reiter möchten durch viel Körpereinsatz Kontrolle über das Pferd gewinnen, anstatt eine partnerschaftliche Kommunikation aufzubauen. Das führt zu einem Übermaß an Hilfen, und Frustration ist oft die Folge.
- Mangelnde Selbstreflexion: Fehler werden oft zuerst beim Pferd gesucht. Reiter schieben die Verantwortung auf das Pferd oder den Trainer oder machen die Umstände verantwortlich, statt sich selbst und die Hilfengebung zu hinterfragen.
Das Pferd besteht nicht nur aus der Hinterhand
Natürlich soll der natürliche Vorwärtsfluss von hinten nach vorne durch den Pferdekörper erhalten bleiben und in einer feinen Anlehnung münden. Das sieht auch die Ausbilderin Nicole Künzel so. Doch was, wenn die treibenden Hilfen nicht durchgehen und ein aktives Hinterbein fehlt?
Es wird dabei oftmals übersehen, dass das Pferd ja nicht nur aus einer Hinterhand besteht. Vielmehr gilt es, den gesamten Rumpftrageapparat in seinem komplexen Zusammenspiel zu verstehen. – Nicole Künzel –
Was es bedeutet, Pferde richtig zu treiben

Wenn treibende Hilfen nicht durchgehen und ein aktives Hinterbein fehlt, gilt es, den gesamten Rumpftrageapparat zu verstehen. (© Slawik)
Eine korrekte Kopf-Hals-Position und eine gut aktivierte Bauchmuskulatur hätten zum Beispiel einen bedeutenden Einfluss darauf, wie frei sich das Pferd bewegen könne.
Nicole Künzel gibt außerdem zu bedenken: „So individuell unsere Pferde in Exterieur und Interieur sind, so gilt es auch immer wieder, individuelle, auf das Pferd zugeschnittene Trainingsreize zu setzen. Kann ich das eine Pferd im gleichmäßigen Rhythmus an eine ruhig stehende Hand herantreiben, und es schwingt fleißig vor sich hin, so muss ich das andere Pferd vielleicht zunächst in einem ruhigeren Rhythmus reiten, um es zu balancieren. Ein anderes wiederum benötigt hierfür gegebenenfalls übergangsweise ein etwas höheres Grundtempo“.
Daraus ergibt sich auch, dass es eben nicht sinnvoll ist, jedes Pferd einfach in einem mehr oder weniger hohen Tempo Runde um Runde zu reiten, nur um „die Hinterhand zu aktivieren“.
Ausbildungsplan überdenken
Nicole Künzels Ziel ist, ihr Pferd immer so fein wie möglich an den Hilfen zu haben und am Schenkel mit Impulsen zu arbeiten. „Muss ich eine Hilfe kurzfristig verstärken, darf das auch wirklich nur kurzfristig, ohne Schmerzreiz und für das Pferd nur absolut verständlich erfolgen“, betont sie. Für sie steht gar nicht zur Debatte, ein Pferd mit Kraft und ständigem Treiben reiten zu wollen.
Wenn etwas nicht klappe, beispielsweise ein frisches Vorwärts oder aktives Hinterbein, sei es von Bedeutung, seinen Ausbildungsplan grundsätzlich zu überdenken. Außerdem kann man dem Pferd seine Idee besser erklären oder auf weitere Ursachenforschung zu setzen. Damit ein Pferd besser auf Schenkelhilfen reagiere, müsse es in der Lage sein, sie durch den Körper durchzulassen.
Verstehen statt verstärken: So lassen sich Pferde richtig treiben
„Das bedeutet, nur ein ausbalanciertes Pferd wird den Reiterhilfen auch auf minimale Impulse hin Folge leisten können“, so unsere Expertin. Neben dem körperlichen Aspekt gelte es auch, dem Pferd die treibenden Hilfen gut erklärt zu haben. „Dies beginnt bereits bei der Bodenarbeit und setzt sich über die Arbeit an der Hand und an der Longe fort. Viele Pferde haben die treibenden Hilfen einfach schlichtweg nicht verstanden. Oder sie wurden so inflationär gebraucht, dass das Pferd gelernt hat, dass sie keine Bedeutung haben“, so Nicole Künzel.
Pferde sind Lauftiere. Wenn sie nicht mehr vorwärtsgehen möchten oder die Hinterhand auf einmal weniger aktiv ist, sollte nach möglichen Ursachen gesucht werden. Nicht nur im Hinblick auf die Ausbildung, sondern auch auf Gesundheit, Equipment sowie Haltung. Manche Pferde verlieren außerdem mit der Zeit die Sensibilität für feine Hilfen.

Nimmt das Pferde treibende Hilfen nicht oder schlecht an, so können auch Schmerzen eine Rolle spielen. (© Slawik)
Wenn auch der Sitz leidet
Doch Sensibilität entsteht nicht nur beim Pferd. Auch der Reiter selbst spielt eine entscheidende Rolle – insbesondere durch seinen Sitz und die eigene Balance. Ständiges Treiben wirkt sich negativ auf den Sitz aus. Gutes Dressurreiten bedeutet, das Pferd nach den Punkten der Ausbildungsskala altersgerecht auszubilden und die Hinterhand zwar zu aktivieren, es aber nicht unter Dauertreiben erzwingen zu wollen. Treibende Hilfen sollen kein Dauerfeuer sein.
Ziel ist es, mit immer feineren Signalen zu reiten. Pferd und Reiter entwickeln gemeinsam eine sensiblere Kommunikation – auf Basis von Timing, Gefühl und Vertrauen. Voraussetzung dafür, dass Hilfen korrekt und genau gegeben werden können, ist ein unabhängiger, ausbalancierter Sitz. Nur wer selbst in Balance ist, kann dem Pferd helfen, ebenfalls sein Gleichgewicht zu finden. Sitz und Einwirkung dürfen nicht zum Störfaktor werden.
Rhythmus fühlen: Pferde richtig treiben
Die Ausbilderin Brigitte Lenz hat sich intensiv mit dem Thema Sitz und Hilfengebung beschäftigt. Sie erklärt das Konzept der integralen (verbindenden) Hilfen. „Dieser Begriff beschreibt beim Reiten einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem die Hilfen harmonisch, pferdegerecht und sowohl auf natürliche Bewegungsabläufe des Menschen als auch des Pferdes abgestimmt eingesetzt werden.“
Im Mittelpunkt stehe die Idee, dass Hilfen nicht nur klar und möglichst eindeutig, sondern auch fein, unsichtbar und im Einklang mit der natürlichen Pferdebewegung wirken sollen, um eine vertrauensvolle und harmonische Beziehung zwischen Reiter und Pferd zu fördern. Laut der Ausbilderin basiert effektives Treiben auf dem genauen Timing. Das heißt auf dem Erspüren von Bewegungsablauf und Bewegungsrhythmus, um das Pferd nicht zu stören oder zu verunsichern.
Über den Rücken
Ja, beim Treiben spielt der Rücken des Pferdes eine entscheidende Rolle. Wir wollen, dass unser Pferd durch den Körper schwingt und von hinten nach vorne an das Gebiss herantritt. Doch hat das Pferd immer noch einen Reiter auf dem Rücken, der diesen Bewegungsfluss zulassen muss.
Der Reiter kann spüren lernen, wann sich die Rückenlinie des Pferdes hebt (Spannungsbogen verkürzt sich) und wieder senkt (Spannungsbogen verlängert sich). Reitersitz (Becken) und Hand folgen diesem wechselnden Spannungszustand des Pferderückens. – Brigitte Lenz –
Über den Sitz lernen, Pferde richtig zu treiben
Genauer erklärt: „Senkt das Pferd den Rücken, verlängert sich die Oberlinie. Das Reiterbecken richtet sich auf, die Hand geht leicht vor. Umgekehrt verkürzt sich die Oberlinie, wenn das Pferd den Rücken hebt. Das Reiterbecken kippt, die Sitzbeine gleiten also nach vorne, und die Hand kommt in die Ausgangsstellung zurück“. Dabei hängen die Schenkel ganz entspannt aus der Hüfte heraus herab und holen sich sozusagen durch die Pendelbewegung des Pferderumpfes selber einen Impuls ab.
„Aktiv treibend werden sie immer nur für einen kurzen Moment eingesetzt, wenn Tempo oder Takt verändert werden sollen, und das auch nur als Unterstützung für den Sitz“, sagt die Ausbilderin. Alleine dieses lockere Mitschwingen über den Sitz in die Bewegungsrichtung und das rhythmische Zulassen nach vorne durch die Hand habe treibende Wirkung. „Richtig verstandenes Treiben verbessert Anlehnung, Schwung und Balance, statt das Pferd mit unnötigem Druck schraubstockartig einschließen zu wollen und ihm die Gehfreude zu nehmen“, betont Brigitte Lenz.

