Dieser Frage stellen nicht nur wir uns oft, sondern auch die Profis – zumindest die, die das Pferdewohl im Blick haben. Pferdetrainerin und Spezialistin für Freiheitsdressur Kenzie Dysli und die Team-Europameisterin in der Dressur Katharina Hemmer haben eine Vision, obwohl sie doch von außen betrachtet in zwei Welten leben. Wir haben mit ihnen über die Ziele und Wünsche gesprochen, die sie mit ihrem neuen Seminar verfolgen, und warum es zwischen ihnen doch mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gibt.
Bausteine für eine vertrauensvolle Pferd-Mensch-Beziehung
Hooforia: Wie kam es zu der Kooperation von Ihnen beiden und der Idee zu dem Seminar „Was will mein Pferd wirklich?“?
Kenzie Dysli: Das kam durch meine Freundin Nadine zustande, die den Kontakt zum Fleyenhof und zu Katharina hergestellt hat. Ich war anlässlich des 50-jährigen Jubiläums zu Gast auf dem Hof – dort bin ich mit Katharina spontan ein Pas de deux geritten. Aus diesem ersten gemeinsamen Moment entstand der Wunsch, etwas zusammen auf die Beine zu stellen.
Katharina Hemmer: Bei dem Pas de deux konnte ich beobachten, wie Kenzie mit ihren Pferden arbeitet – das fand ich sehr spannend. Im Anschluss trafen wir uns zu einem Trainingsaustausch, bei dem wir die Pferde tauschten und sowohl Kenzies als auch meine Pferde vom Boden aus gemeinsam arbeiteten. Das war unglaublich inspirierend. Da entstand die Idee, dass auch andere Pferdeleute – und damit auch deren Pferde – von diesem Austausch profitieren könnten.
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Bausteine für ein gutes Pferd-Reiter-Paar, und wie gelangt man dorthin?
Katharina Hemmer: Für ein harmonisches Miteinander zwischen Reiter und Pferd sind gute Kommunikation und Vertrauen entscheidend. Das muss man sich mit seinem Pferd erarbeiten. Schon vom Boden aus sollte man klare Kommandos und Regeln geben, sodass das Pferd Orientierung findet und Vertrauen entwickeln kann. Im Sattel gilt das Gleiche: Eine klare Hilfengebung und Struktur helfen dem Pferd, den Reiter zu verstehen. Dieses gemeinsame Erarbeiten braucht Zeit, ist aber die Grundlage für eine harmonische Zusammenarbeit.
Kenzie Dysli: Die wichtigsten Bausteine für eine gute Pferd-Mensch-Beziehung sind gegenseitiges Vertrauen, eine klare und ehrliche Kommunikation in beide Richtungen sowie eine gesunde Routine im Tagesablauf, in der auf die Bedürfnisse des Pferdes eingegangen wird. Man gelangt dorthin, indem man über Bodenarbeit und Körpersprache eine Verbindung aufbaut und eine klare Kommunikation mit dem Pferd etabliert.
Der Weg zur Kommunikation mit Pferden
So kann man eine gemeinsame Sprache entwickeln und Vertrauen schaffen, indem Missverständnisse ausgeschlossen werden. Alles, was ich mir am Boden erarbeite, nehme ich anschließend mit in den Sattel. Dort ist es meine Aufgabe, mein Pferd in klaren und kleinen Schritten – sowohl körperlich als auch mental – auf neue Lektionen, Hürden und Ähnliches vorzubereiten, damit es diese mit Vertrauen und vollem Verständnis meistern kann.
Waren Ihnen diese „Bausteine“ schon sehr früh klar, oder sind Sie erst im Laufe der Jahre zu dieser Denkweise gekommen?
Katharina Hemmer: Mir war das schon sehr früh bewusst – anfangs vielleicht eher unbewusst. Mit elf Jahren ritt ich mein erstes junges Pferd an. Es war damals noch roh, kam direkt von der Wiese und hatte kaum Menschenkontakt. Deshalb begann ich damit, erst einmal Vertrauen aufzubauen: Führen, Putzen, Beschäftigung vom Boden aus. Erst danach kam das eigentliche Anreiten, das durch diese Vorarbeit völlig unkompliziert verlief. So habe ich schon früh erkannt, wie wichtig Vertrauen und Kommunikation sind. Diese Erkenntnis hat sich mit wachsender Erfahrung und durch die Arbeit mit vielen unterschiedlichen Pferden immer mehr bestätigt.
Vertrauen als Grundlage der Beziehung
Kenzie Dysli: Im Laufe der Jahre bin ich zu dieser Ansicht gelangt – und die Pferde waren dabei meine besten Lehrmeister. Durch sie habe ich gelernt, dass die Beziehung leidet, wenn ich zu schnell vorankommen möchte und nur trainiere, ohne mir Gedanken darüber zu machen, wie es dem Pferd dabei geht. Die Lektionen haben zwar meist funktioniert, wenn auch mit Spannung – aber das Vertrauen der Pferde ging verloren.
Sie haben mir den Hintern zugedreht, wenn ich kam, und sind mir nicht mehr frei überallhin gefolgt. So habe ich erkannt, dass man genauso viel Zeit in den Beziehungsaufbau investieren muss wie in das körperliche Training. Und dass man beim Training niemals außer Acht lassen darf, wie es dem Pferd in der jeweiligen Situation gerade geht.
Hemmer und Dysli über Kommunikation mit Pferden
Über den Tellerrand hinausschauen und sehen, was man von anderen Disziplinen lernen kann, ist das Ziel der beiden Profis. (© Maximilian Woyack)
Kenzie, Sie sagen, Freiheit, Vertrauen und Kommunikation mit Pferden seien die Basis, die man brauche, um zusammenzuarbeiten. Können Sie sich dazu äußern, und passt aus Ihrer beider Ansicht die Leistungsorientierung dazu?
Katharina Hemmer: Da stimme ich Kenzie vollkommen zu – auch meine Erfahrung zeigt das. Leistungsorientierung kommt erst im nächsten Schritt. Ein Pferd kann keine Leistung bringen, wenn es mir nicht vertraut oder die Kommunikation nicht funktioniert. Sportliche Erfolge entstehen nur durch harmonisches Zusammenspiel.
Ohne Vertrauen und klare Kommunikation ist Leistung nicht möglich. Gleichzeitig ist es wichtig, das Pferd im Sattel gymnastizierend und gesunderhaltend zu arbeiten, damit es die nötige Muskulatur entwickelt, um Lektionen auch in der Freiarbeit ausführen zu können. Beide Bereiche ergänzen sich – Freiarbeit und Sport profitieren voneinander.
Balance zwischen Leistung und Pferdewohl
Kenzie Dysli: Leistung ist natürlich in unserem Job sehr wichtig, da wir von der Arbeit mit unseren Pferden leben. Hierfür ist es wichtig, Pferde für die Arbeit zu selektieren, die leistungsfähig sind, um dieses Showpensum halten zu können. Trotzdem muss man natürlich immer schauen, dass man einen Ausgleich findet, um den Pferden die Zeit zu geben, die Seele baumeln zu lassen und einfach mal ein Pferd auf der Weide zu sein, das spielt, sich schmutzig macht und den ganzen Tag machen kann, was es möchte.
Nicht jedes Pferd ist als Showpferd geeignet, da dies zeitweise sehr arbeitsintensiv sein kann. Umgekehrt ist aber auch nicht jedes Pferd für ein reines Freizeitleben geeignet. Wie bei uns Menschen auch gibt es welche mit einem sehr großen Bewegungsdrang sowie eher gemütlichere Vertreter.
Unterschiedliche Wege zur Kommunikation mit Pferden
Was sind die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Ausbildung der Pferde von Ihnen beiden?
Katharina Hemmer: Die Ziele sind ähnlich: Es geht immer um eine gute Kommunikation mit dem Pferd. Der Unterschied liegt in der Art der Hilfen. In der Freiarbeit gibt es keine Gewichts-, Schenkel– oder Zügelhilfen, daher erfolgt die Kommunikation auf anderen Wegen. Doch das Ziel bleibt gleich: Das Pferd soll die Hilfen verstehen und darauf vertrauen können.
Kenzie Dysli: Ein grundsätzlicher Unterschied ist natürlich, dass ich viel mehr vom Boden aus arbeite – an der mentalen Verbindung zum Pferd und an der Kommunikation über die Körpersprache. Hingegen wird in der Dressur ein größerer Fokus auf das Reiten gelegt sowie auf den körperlichen Aufbau und die Bewegung des Pferdes.
Hemmer über die Veränderungen der letzten Jahre
Katharina Hemmer: Was wir gemeinsam haben, ist, denke ich, dass wir beide sehr routiniert mit unseren Pferden arbeiten und ein festes Ziel vor Augen haben. Eine große Gemeinsamkeit ist auch, dass wir beide versuchen, beides umzusetzen – sprich: eine gute Kommunikation mit unseren Pferden zu haben und sie gesund zu gymnastizieren. Also im Klartext: dass wir beide gewillt sind, uns die guten Dinge aus anderen Disziplinen anzuschauen und dazuzulernen, und dass es uns wichtig ist, wie es unserem Pferd bei der Zusammenarbeit geht.
Gab es aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren eine Veränderung, wie Menschen zum Pferd stehen, wie das Pferd genutzt wird, wie gelehrt wird?
Katharina Hemmer: Ja, ich denke schon. Einerseits gibt es immer mehr Menschen, die Pferde halten, ohne wirklich Pferdeverstand zu haben. Daraus entsteht oft eine falsch verstandene „Pferdeliebe“. Die klassischen Pferdeleute werden seltener. Andererseits hat sich vieles verbessert, etwa in der Haltung, der Ausrüstung und im Training. Es ist wichtig, dieses Wissen möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen.
Mehr Bewusstsein in der Kommunikation mit Pferden
Kenzie Dysli: Ich finde schon, dass sich in den letzten Jahren mehr Bewusstsein fürs Pferd entwickelt hat, aber dass man aufpassen muss, dass es nicht umschlägt und das Pferd vermenschlicht wird. Das Pferd ist heute in allererster Linie ein Freizeitpartner. Früher war das Pferd viel mehr ein Teil der täglichen Arbeit – ein reines Nutztier. Die Pferde haben aktiv dazu beigetragen, dass die Menschen ihre Brötchen verdienen konnten. Heute ist das Pferd vermehrt ein Freizeitpartner und Familienmitglied – und bei manchen Wenigen sogar ein Luxusgut.
Glauben Sie, dass ein Wandel diesbezüglich möglich ist, oder denken Sie, dass dieser vielleicht gar nicht nötig ist? Falls ja, warum?
Katharina Hemmer: Ja, absolut. Entscheidend ist, dass kompetente Trainer zur Verfügung stehen und mehr echter Pferdeverstand vermittelt wird. Das verbessert die Kommunikation zwischen Mensch und Pferd und steigert die Lebensqualität auf beiden Seiten. Es ist eine Frage der Ausbildung und der Offenheit, sich weiterzubilden.
Kenzie Dysli: Ein Wandel besteht ja quasi immer – nichts kann leben ohne Bewegung oder Veränderung. Wie man ja schon vermehrt gesehen und gehört hat, passiert gerade sehr viel, und es ist definitiv nötig. Jetzt liegt es an uns, in welche Richtung wir diesen Wandel lenken – und damit sind wir alle gefragt.
Offenheit für andere Trainingsweisen
Wie war Ihr Kontakt zur Reit- und Trainingsweise der jeweils anderen vorher? Und wie ist Ihr Eindruck jetzt?
Katharina Hemmer: Vielleicht nicht in dem klassischen Sinne, aber ich habe mich als Kind auch schon viel mit meinen Pferden vom Boden aus auseinandergesetzt. Ich konnte meine Pferde zu mir rufen, und sie sind mir gefolgt. So haben wir im Kleinen ein bisschen Freiheitsdressur gemeinsam gemacht. Natürlich nicht in dem Maßstab, in dem Kenzie das macht. Aber ich habe mich schon früh für Freiarbeit begeistert und habe es immer wieder mit meinen Pferden ausprobiert.
Kenzie Dysli: Es geht nicht darum, ob es ein Dressur-, Spring– oder Westernreiter ist, es geht generell um die Reiterwelt. Wir sollten alle zusammenhalten, um diesen Wandel in die richtige Richtung zu lenken, damit unser Partner Pferd uns noch lange erhalten bleibt. Darüber hinaus ist es meiner Meinung nach wichtig, dass wir alle etwas mehr über den Tellerrand hinausschauen und so bestimmt feststellen, dass wir das ein oder andere noch voneinander lernen können.
Inspiration für die eigene Kommunikation mit Pferden
Eine gute Kommunikation und Vertrauen sind Voraussetzung für ein Gelingen der Show. (© Adrian Jaime Pandelet Barco)
Was war für Sie neu oder besonders interessant bei der Arbeit der anderen? Und was können Sie davon lernen?
Katharina Hemmer: Als ich Kenzie das erste Mal bei unserem Jubiläumsturnier sah, war ich beeindruckt, wie ihr Pferd in einer fremden und aufregenden Umgebung vollkommen auf sie fokussiert war. Das hat mich fasziniert – und ich dachte, dass man davon bestimmt auch für den Sport profitieren könnte. Grundsätzlich halte ich es im Alltag für unerlässlich, dass die Basics der Bodenarbeit sitzen. Das macht den Umgang sicherer und angenehmer.
Kenzie Dysli: Was definitiv sehr interessant war zu verfolgen, ist die Genauigkeit in den vielen kleinen Schritten, die eingehalten werden müssen, bevor es zu einer fertigen Lektion kommt. Außerdem noch einmal die Wichtigkeit der Losgelassenheit bei der Gymnastizierung, den richtigen Punkt der Balance zu finden, damit das Pferd sich in der Übung leichter tut und die richtige Kadenz entwickelt.
Dysli und Hemmer über Bodenarbeit
Wie ist Ihre Erfahrung oder auch Ihr Gefühl zum Thema Dressurreiten und Bodenarbeit – denken Sie, dass viele Reiter auch fit in der Bodenarbeit sind, die reiterlich sportlich aktiv sind?
Katharina Hemmer: Das ist sehr unterschiedlich. Viele, die professionell oder intensiv mit Pferden arbeiten, sind fit in der Bodenarbeit, weil sie für einen sicheren und reibungslosen Ablauf unerlässlich ist. Es gibt aber auch Reiter, bei denen dieses Grundwissen fehlt. Ein Grund, dass dies noch zu kurz kommt, ist vermutlich oftmals Unwissenheit und das Fehlen von Vorbildern im direkten „Blickfeld“.
Kenzie Dysli: Mein Gefühl ist, dass sich beide sehr gut ergänzen und von der jeweiligen Arbeit profitieren könnten. Ich finde schon, dass ein kleiner Wandel bereits angefangen hat, dennoch ist hier noch Luft nach oben. Zu den Themen Partnerschaft, gegenseitiges Vertrauen und Respekt sowie für Körpersprache und Kommunikation mit Pferden gibt es leider keine richterliche Bewertung.